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(CICERO ONLINE, Screenshot) Google+ ist wie Facebook, nur eleganter

Soziales Netzwerk - Google+ ist keine Revolution

Google+ ist zwar keine Revolution aber reizvoll genug, um Nutzer länger innerhalb der Google-Welt zu beschäftigen als je zuvor. Für Facebook bedeutet das zwar nicht die Gefahr, bei den Nutzern plötzlich abgemeldet zu sein. Der neue Konkurrent aber könnte für die Online-Werbung unangenehm interessant werden.

Die entscheidende Zahl nannte Mark Zuckerberg am Mittwoch, aber er wollte nicht den Eindruck erwecken, als sei sie ihm besonders wichtig: 750.000.000. So viele Nutzer hat Zuckerbergs Online-Imperium Facebook mittlerweile. Die Zahl ist für Zuckerberg eigentlich uninteressant. Sie steigt sowieso jeden Tag. Gegen diese 750 Millionen ist selbst Google machtlos – und daran wird auch die neue Plattform Google+ so bald nichts ändern.

Dabei kann man dem Suchmaschinen-König nicht einmal schwere Vorwürfe machen. Google+ wird von so ziemlich allen gelobt, die in der vor wenigen Tagen gestarteten Testphase einen Zugang ergattert haben. Endlich, so scheint es, hat Google etwas zustande gebracht, das aussieht wie ein durchdachtes, funktionelles Soziales Netzwerk. Wie Facebook, nur eleganter.

Aber die große Frage bleibt: Reicht das, um einen Großteil der 750 Millionen hinüberzuziehen auf die andere Seite? Ist Google+ so attraktiv, dass Millionen von Nutzern ihr Facebook-Netzwerk aufgeben und es an anderer Stelle noch einmal von vorne aufbauen würden? Die Antwort ist ein klares Nein.

Auch wenn Google mit einem Gruppen-Videochat lockt, den Facebook noch nicht eingeführt (aber schon angekündigt) hat, auch wenn das Verwalten der verschiedenen Freundeskreise und Kontakte über die sogenannten Circles deutlich einfacher ist als bei Facebook, auch wenn Web-Inhalte mindestens genauso leicht mit anderen geteilt werden können und auch wenn Google beim Thema Datenschutz sensibler vorgehen sollte – Google+ ist keine Revolution, die den Marktführer alt aussehen lässt.

Genau genommen hat Google+ sogar deutlich weniger zu bieten als Facebook, so lange es keine Schnittstelle für Entwickler von Apps gibt, die das Ganze aufbohren können. Und wie das neue Produkt aussehen wird, wenn erst einmal Unternehmen ihre eigenen Profile bekommen und Google beginnt, Werbung einzubetten, ist nur zu erahnen. Schöner dürfte es aber wohl eher nicht werden.

Facebook kann sich, was die Nutzerzahlen angeht, derzeit nur selbst schlagen. Aber da keiner der ungezählten Datenschlampereien bislang zu einem nennenswerten Nutzer-Exodus geführt hat, bräuchte es dazu schon einen kapitalen Bock. Google kennt diese Situation gut. Auf dem Suchmaschinenmarkt spielt es selbst diese Rolle. Nur hat man in Mountain View erkannt, dass die Suche für immer mehr Internetnutzer nicht mehr der wichtigste Weg ist, durchs Netz zu navigieren. Dass immer mehr Menschen den Google-Algorithmus links liegen lassen und dem vertrauen, was ihnen ihre Bekannten empfehlen und weiterleiten.

Natürlich wird Google-Chef Larry Page nicht damit rechnen, Facebook mit einem Schlag abzulösen. Aber die zentralen Bestandteile von Google+ haben zumindest das Potenzial, auf dem Weg zu einem umfassenden Sozialen Netz einige andere mitunter große Player der Internetbranche in Bedrängnis zu bringen. Der erste ist Skype. Google Videochat überzeugt bislang alle Tester und kann sogar bis zu zehn Leute gleichzeitig miteinander reden lassen. Das kann Skype noch nicht. Der Internettelefonie-Spezialist, der demnächst Microsoft gehören wird,  muss also nachrüsten und wird das auch tun. Denn Skype hat den neuen Videochat für Facebook entwickelt, der am Mittwoch von Zuckerberg vorgestellt wurde. Und Microsoft ist wiederum an Facebook beteiligt und hat dementsprechend ein großes Interesse daran, dass der Videochat konkurrenzfähig ist.

Auch Twitter könnte unter Google+ leiden, vermutet zum Beispiel Sascha Lobo. Sparks heißt die entsprechende Funktion von Google: Sie funktioniert wie eine Suchmaschine, die Texte, Bilder und Videos zu jedem gewünschten Thema findet und es ermöglicht, diese verschiedenen Inhalte sehr schnell zu bewerten und mit anderen zu teilen. Außerdem laufen in einmal eingerichtete Sparks automatisch neue Inhalte aus den Weiten des Webs ein. So entstehen individualisierte Nachrichtenkanäle – bislang die Stärke von Twitter.

Diese Ideen von Google sollen letztlich dazu führen, dass möglichst viele Internetnutzer möglichst viel ihrer Onlinezeit innerhalb von Google+ verbringen: Mit den Sparks als Infokanälen, dem Videochat als Telefonersatz, den Circles zum Verbreiten von Web-Fundstücken – und später mit allen bekannten Google-Diensten, die noch integriert werden dürften. Dass all das auch mobil über Android-Geräte sehr geschmeidig laufen wird, darf man bei Google voraussetzen. Sollte dieser Plan aufgehen, wird Google+ für die Werbung extrem interessant: Je mehr Zeit die Nutzer innerhalb der Google-Angebote verbringen, desto attraktiver werden diese als Werbeplattformen. Und letztlich wird es Google genau darum gehen.

Was dabei eher zweitrangig werden könnte, ist ein Kernstück von Facebook: Das Status-Update. Google+ ist möglicherweise zu professionell, um es nur zum Verbreiten von Launen und schnellen Gedanken zu nutzen. Bislang sind die „Nerds“ in Google+ noch unter sich und testen mit Inbrunst, wie sinnvoll sich die neuen Funktionen nutzen lassen. Das aber könnte sich ändern, wenn Google+ seine Schleusen öffnet und jeden hereinlässt, der es benutzen will. Twitter ist das beste Beispiel dafür, dass Nutzer ein Portal ganz anders verwenden, als es die Macher ursprünglich geplant hatten. Aus dem „What are you doing?“ ist bei Twitter das „What’s happening?“ geworden, weil die Seite mittlerweile nicht mehr als Microblog, sondern vor allem als Nachrichtenkanal genutzt wird. Im Falle von Google+ könnte es umgekehrt sein: Aus dem potenziell mächtigen Informationsverbreitungswerkzeug könnte ein Geschwätz-Zentrum werden, das seine Nutzer genauso nervt wie Facebook.

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