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Freihandelszone USA-EU - Keine Festung Atlantik

Abschottung, Neoliberalismus, Genmais: Die geplante Freihandelszone zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten ruft viele Kritiker auf den Plan. Was ist dran an den Vorurteilen?

Autoreninfo

Dr. Stormy Mildner ist Mitglied der Institutsleitung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

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Barack Obamas Deutschlandbesuch hat die Debatte über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft erneut angekurbelt. Befürworter versprechen sich durch den Abbau von Handelsbarrieren hohe Wachstumseffekte. Gegner warnen, dass sie der Welthandelsorganisation (WTO) den Todesstoß versetzt. Was bringt das Abkommen wirklich?

Die Wirtschaftsexpertinnen Stormy-Annika Mildner und Claudia Schmucker stellen vier geläufige Thesen über die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) auf den Prüfstand.

Für die transatlantische Integration braucht es kein solches Vertragswerk.

Doch!

Eine engere transatlantische Integration führt zu steigenden Handels- und Investitionsströmen und verspricht hohe Wohlfahrtsgewinne. Sie stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der USA und der EU-Staaten gegenüber den aufstrebenden Schwellenländern wie China, Brasilien und Indien. Seit den 90er Jahren gab es mehrere Versuche, die transatlantische Integration durch ein Freihandelsabkommen voranzutreiben – mit bescheidenem Ergebnis. Oftmals blieben die Verhandlungen auf der Arbeitsebene stecken. Eine wirtschaftliche Integration, die komplexe gesetzliche und regulatorische Änderungen verlangt, muss von höchster Stelle vorangetrieben werden. Und sie muss mehrere Sektoren umfassen. Die Verhandlungen, deren Startschuss vergangene Woche beim G8-Gipfel fielen, bieten die Chance hierzu.

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USA und EU brauchen die WTO nicht mehr

Das stimmt nicht!

Aufgrund der wirtschaftlichen Größe von EU und USA besteht die Sorge, dass die Gründung einer Handelszone die WTO als Institution entwerte und sich beide Partner von ihr abwenden könnten. Doch auch in Zukunft sind die USA zur Liberalisierung des Welthandels und zur Schlichtung von Streitfällen auf die WTO angewiesen. Trotz ihrer engen Handelsbeziehungen wickeln USA und EU mehr als 80 Prozent ihres Güterhandels mit Drittländern ab. Auch beim Dienstleistungshandel ist der Anteil am Handel mit Drittländern hoch. Der Zollabbau im Güterhandel und die Liberalisierungen im Dienstleistungsbereich der Schwellen- und aufstrebenden Entwicklungsländer können nur durch multilaterale Verhandlungen auf WTO-Ebene gelingen.

EU und USA haben zwar zahlreiche Abkommen mit Schwellen- und Entwicklungsländern geschlossen. Doch mit den großen BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) gibt es bisher keine erfolgversprechenden Verhandlungen. Zudem steigen die Handelskonflikte mit den selbstbewusster agierenden Schwellenländern. Die USA klagen zurzeit in 29 Fällen gegen unfaire Handelspraktiken von Drittstaaten vor der WTO. China ist in knapp der Hälfte aller Fälle der Adressat. Die EU hat 55 offene Klagen. EU und USA sind somit weiterhin auf eine durchsetzungsstarke Streitschlichtung unter der WTO angewiesen.

Die Handelszone wird eine Festung Atlantik  

Muss und darf nicht sein!

Freihandelsabkommen bauen zwar Handelsbarrieren zwischen den Partnern ab. Dies führt aber in vielen Fällen auch zur Diskriminierung von Drittstaaten, indem der Handel mit Waren und Dienstleistungen zu den Ländern eines Abkommens umgelenkt wird. Damit es nicht zu einer Abschottung gegenüber Drittstaaten kommt, muss die Handelszone offen für neue Mitglieder sein. Mittelfristig wäre es sinnvoll, auch die NAFTA-Region einzubeziehen. Dies bietet sich umso mehr an, als die EU bereits ein Freihandelsabkommen mit Mexiko hat und mit Kanada verhandelt. Im nächsten Schritt könnte man diejenigen Staaten in das Abkommen integrieren, die bereit sind, sich den hohen transatlantischen Standards zu unterwerfen. Dadurch kann eine Festung Atlantik vermieden werden.

Die Freihandelszone ist wichtiger als Doha 

Falsch!

Die EU und USA würden erheblich von der Abschaffung von Zöllen und dem Abbau von nicht-tarifären Handelshemmnissen profitieren. Das renommierte Center for Economic and Policy Research in Washington hat die Wohlfahrtseffekte einer Freihandelszone für verschiedene Liberalisierungsszenarien errechnet. Ergebnis: Die Einkommenseffekte hängen von den politischen Ambitionen ab. Werden 98 Prozent aller Zölle, 25 Prozent aller nicht-tarifären Handelshemmnisse im Güter- und Dienstleistungshandel und 50 Prozent im öffentlichen Beschaffungswesen abgebaut, erwarten die Autoren einen jährlichen Wachstumsimpuls von bis zu 0,48 Prozent für die EU und 0,39 Prozent für die USA. Derartige Wachstumsimpulse wären größer als jene, die ein Abschluss der Doha-Runde der WTO mit einem Minimalkonsens für die transatlantischen Partner verspricht.

Dies ist jedoch kein Plädoyer dafür, sich auf die TTIP zu konzentrieren. Ganz im Gegenteil sollten die EU und die USA gemeinsam darauf hinwirken, dass die WTO-Ministerkonferenz in Bali für einen Abschluss der Doha-Runde genutzt wird. Damit würden EU und USA die WTO stärken und auch selbst profitieren. Denn ein solcher Deal macht den Weg frei für neue Handelsthemen – von Investitionen, über Informationstechnologie, bis zu Energie und Rohstoffen. Diese Themen werden in der Doha-Runde bisher nicht verhandelt. Schafft es die WTO nicht, ihre Regeln auf diese Gebiete auszudehnen, läuft sie tatsächlich Gefahr, irrelevant zu werden.

Dr. Claudia Schmucker leitet das Programm für Globalisierung und Weltwirtschaft der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dr. Stormy Mildner ist Mitglied der Institutsleitung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Dieser Beitrag erscheint in einer längeren Fassung in der neuen Ausgabe von Internationale Politik (IP).

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