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USA und EU - Warum wir das Freihandelsabkommen brauchen

In den USA und der EU leben nur zehn Prozent der Erdbevölkerung, doch die produzieren annähernd die Hälfte aller Waren und Dienstleitungen und kontrollieren 70 Prozent der Finanzströme: Deshalb brauchen Amerika und Europa das Freihandelsabkommen. Ein Beitrag in Kooperation mit dem Tagesspiegel

Autoreninfo

ist Autor des „Tagesspiegel“ und berichtete acht Jahre lang aus den USA. Er schrieb die Bücher: „Der neue Obama. Was von der zweiten Amtzeit zu erwarten ist“, Orell Füssli Verlag Zürich 2012. Und „Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“. Herder Verlag Freiburg 2012.

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Der Einfachheit halber sprechen die meisten vom Atlantischen Freihandelsabkommen. Der wahre Name – Transatlantic Trade and Investment Partnership, abgekürzt TTIP – ist zu sperrig. Das führt zu dem Irrglauben, das Stadium des zollfreien Handels untereinander haben die USA und die EU bis auf Ausnahmen längst erreicht. Doch bei TTIP geht es um mehr: die Angleichung der technischen Normen und der Vorschriften zur Regulierung der Wirtschaft. Wenn Europa und Amerika sich auf gemeinsame Standards einigen, so die Hoffnung, wird das, erstens, auf beiden Kontinenten einen Wachstumsschub auslösen. Zweitens wird sich das Regelwerk langfristig weltweit durchsetzen.

EU und USA – Rückgrat der Weltwirtschaft
 

In den USA und der EU leben nur zehn Prozent der Erdbevölkerung. Sie sind aber das Rückgrat der Weltwirtschaft, produzieren annähernd die Hälfte aller Waren und Dienstleitungen und kontrollieren 70 Prozent der Finanzströme. 60 Prozent der Direktinvestitionen fließen in die EU und die USA – viel mehr als nach Brasilien, China, Indien oder Südafrika, die angeblich vor einem unaufhaltsamen Aufstieg stehen. Wenn es stimmt, dass Investitionen Zukunftsentscheidungen sind, dürfte die Ablösung Amerikas und Europas als Wirtschaftsmächte noch einige Zeit auf sich warten lassen. Auch die bahnbrechenden Erfindungen stammen überwiegend aus den USA und Europa.

Die grenzüberschreitende Wirtschaftskooperation hat sich jedoch vom traditionellen Handel zum integrierten Wirtschaften auf beiden Kontinenten verschoben. Wenn Siemens Windkrafträder in den USA verkaufen möchte, werden die nicht in Deutschland hergestellt und über den Atlantik verschifft, sondern gleich in den USA produziert. Ebenso bauen die deutschen Autokonzerne die Modelle für die USA in US-Werken, die für China in chinesischen Fabriken. Die Bedeutung solcher Auslandsinvestitionen ist gewachsen, allein die deutschen haben sich zwischen 1990 und 2011 von 226 Milliarden auf 1,15 Billionen Euro verfünffacht.

Diese Dynamik spiegelt sich auch in der Kritik am geplanten TTIP-Abkommen. Gewerkschaften und andere NGOs äußern Bedenken gegen die traditionellen Klauseln zum Investitionsschutz und der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Im Streitfall könnten sie zu teuren Risiken für die Regierungen werden. Sie warnen vor gerissenen Anwälten – in ihrer Vorstellung vornehmlich aus den USA –, die die Energiewende oder Auflagen für die Wirtschaft, die die Gewinnerwartungen mindern, für Schadenersatzklagen missbrauchen. Die Kritik, insbesondere aus Deutschland, ist so vehement, dass die EU-Kommission die Verhandlungen über die Investitionsschutzklausel gestoppt und eine Phase der Konsultation mit der Zivilgesellschaft ausgerufen hat. Das ist bemerkenswert.

Investitionsschutzabkommen waren stets ein besonderes Anliegen Deutschlands. 1959 wurde das erste mit Pakistan geschlossen, heute gibt es 139, kein anderes Land hat mehr. Ganz überwiegend sind es Abkommen zum Schutz der deutschen Wirtschaft vor entschädigungsloser Enteignung oder anderer Willkür in Ländern, auf deren Rechtsstaatlichkeit nicht unbedingt Verlass ist.

Furcht vor Klagewelle
 

Bei TTIP liegt der Fall anders. Man könnte argumentieren, dass Investitionsschutzklauseln hier unnötig sind, da der Rechtsstaat in Amerika und Europa funktioniere und die Summe der Investitionen ohnehin so hoch ist, dass zusätzlicher Schutz nicht erforderlich sei. Doch das ist nicht die Botschaft der Kritiker. Ihr Motiv ist Misstrauen gegen Amerika.

Die Furcht vor einer Welle amerikanischer Klagen etwa lässt sich aus den Statistiken nicht ableiten. Die meisten Kläger in Sachen Investitionsschutz kommen aus der EU (47 Prozent), nur halb so viele aus den USA (24 Prozent). Unter den verklagten Ländern stehen Argentinien, Venezuela, Ecuador und Mexiko. Nur ein EU-Land (Tschechien) befindet sich in der Spitzengruppe.

Auf Investitionsschutz komplett zu verzichten, wäre auch deshalb kein guter Ansatz, weil das Atlantische Abkommen zum internationalen Standard werden soll, zum Beispiel auch in den parallelen Verhandlungen mit China.

Das Ziel sollte sein, den Investitionsschutz in TTIP so zu gestalten, dass die Klauseln vor Missbrauch abschrecken, zum Beispiel indem der Unterlegene für die Anwaltskosten beider Seiten aufkommen muss. Und das Recht der Regierungen, generelle Vorgaben von Energie bis Gesundheit zu machen, ohne sich Schadenersatzforderungen auszusetzen, kann bekräftigt werden.

 

 

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