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Fracking - Europa sucht Alternativen zu russischem Gas

Die Krise in der Ukraine belebt den Gashandel und verteuert die Preise in Europa. Experten fordern nun, sich unabhängiger vom Russlandgeschäft zu machen. Das umstrittene Fracking wäre eine Lösung

Autoreninfo

Tomas Sacher ist ein tschechischer Journalist. Er leitete das Wirtschaftsressort des Magazins „Respekt“ und moderiert Debatten zur Politik und Wirtschaft. Er lebt in Berlin und Prag

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Iris Gleicke musste es Anfang April im Bundestag noch einmal wiederholen. Die Position der Bundesregierung habe sich nicht verändert. Der Gashandel werde nicht gestoppt, sagte die Staatssekretärin im Wirtschafts- und Energieministerium. Doch die Reaktionen auf ihre Ansage zeigen: Das politische Klima, in welchem das Geschäft abgewickelt wird, hat sich seit Anfang 2013 grundlegend geändert.

Die Rede ist von dem Deal der BASF-Tochter Wintershall mit dem russischen Energiegiganten Gazprom. Vor dem Hintergrund der Krim-Krise bekommt der Plan, ein Fünftel der deutschen Gasinfrastruktur in die Hände einer vom Kreml kontrollierten Firma zu geben, viel Gegenwind. Zumal BASF kein Geld erhält, sondern im Tausch Förderrechte für russisches Gas in Sibirien. Mit anderen Worten: Die deutsche Abhängigkeit von einem unzweifelhaft aggressiven und machthungrigen Russland wächst weiter.

Bundesregierung und EU-Kommission genehmigten den Deal mit dem Argument, dass es um keine signifikante Änderung der heutigen Marktsituation gehe. Die Frage, die sich mittlerweile aufdrängt und die im Bundestag auch gestellt wurde, lautet: Welche Alternative zu russischem Erdgas haben Deutschland und Europa? Oder anders gefragt: Wäre eine Versorgung Europas mit Schiefergas von Russlands traditionellem Erzrivalen USA eine Alternative?

Osteuropa setzt bereits voll auf Schiefergas


Für vier mitteleuropäische Staaten ist die Antwort klar. Der „Visegrad“ genannte Bund von Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei hat bereits einen Brief an den Vorsitzenden des amerikanischen Kongresses, dem Republikaner John Boehner, geschickt. Die Länder bemühen sich um eine schnelle Genehmigung der Exportlizenzen für amerikanische Schiefergasfirmen. Die USA reagierten erfreut, beide Kammern im Kongress unterstützen den Plan.

Auf dem EU-US-Gipfel Ende März in Brüssel wurde diese Frage auch mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama besprochen. Darüber hinaus werden in den Medien neben den politischen auch die ökonomischen Aspekte erörtert. „Amerika soll sein Schiefergas nicht nur für sich selbst behalten,“ schrieb die Financial Times schon im November. Das Blatt argumentierte, der Export würde zwar wie eine neue Konkurrenz die Preise in den USA anheben. Aber generell würde die amerikanische Wirtschaft vom Export-Umsatz massiv profitieren.

Größte Herausforderung: Der teure Transport


Doch die Begeisterung wird von technischen Probleme bei der Gewinnung von Schiefergas getrübt. Die neu entdeckten Gasvorkommen könnten schnell erschöpft sein. Zwar erlebte der amerikanische Schiefergasmarkt bis Anfang 2012 einen Anstieg, in den letzten beiden Jahren stagnierte er – trotz Tausender neuer Bohrungen und hoher Investitionen - ins Fracking. „Einige unserer Erkundungswetten sind nicht aufgegangen“, räumte Mitte März der Shell-Vorsitzende Ben van Beurden gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters ein. Der Energiekonzern hat seine Investitionen in amerikanisches Schiefergas bereits um ein Drittel reduziert und verkauft jetzt viele Förderungslizenzen.

Was nicht bedeutet, dass die amerikanische Schiefergas-Revolution nicht andauert. Anders als Shell sehen einige Firmen weiterhin ausreichend starke finanzielle Anreize. Auch im Export. Allerdings steht dieser noch vor großen Herausforderungen – besonders beim Transport. Das Schiefergas muss in speziellen Anlagen, sogenannten LNG-Terminals, verflüssigt, mit Schiffen transportiert und am Bestimmungsort wieder vergast werden. Die LNG-Terminals sind teuer und müssen in Amerika erst gebaut werden.

Seit 2011 haben sechs Projekte alle nötigen Genehmigungen erhalten. Die erste Zehn-Milliarden-Dollar-Investition in Pennsylvania wird frühestens Ende 2015 umgesetzt sein. Darüber hinaus werden allein der Verflüssigungsprozess und der Transport den Schiefergaspreis verdoppeln. Trotzdem wäre das für Europa immer noch ein Drittel billiger als russisches Gas.

Versicherung gegen Russland aufbauen


Auf amerikanisches Schiefergas muss Europa noch etwas warten. Aber es könnte eine schnellere Alternative geben: Europa könnte das Gas aus Russland mit Lieferungen aus Norwegen und den Niederlanden ersetzen. Möglich wäre das binnen eines Jahres bei fast einem Drittel der etwa 130 Milliarden Kubikmeter russischen Gases, das 2013 in Europa verbraucht wurde, sagt der Analyst Georg Zachmann vom Brüssel Think Tank Bruegel in seiner Studie. „Es wäre teuer und anspruchsvoll, aber die Möglichkeit existiert bereits.“

Dafür müssten sowohl Norwegen als auch die Niederlande ihre Fördermenge erhöhen. Privathaushalte und Firmen könnten mit finanziellen Anreizen dazu bewegt werden, ihren Energieverbrauch zu senken. Zudem müssten Länder wie etwa Großbritannien ihre Stromproduktion durch Gaskraftwerke teilweise ersetzen.

„Das alles wäre schwierig politisch durchzusetzen“, sagt Zachmann, „aber Europa sollte auf jeden Fall so viele Alternativen wie möglich entwickeln, um russisches Gas zu ersetzen“. Solche Alternativen müssten nicht umgesetzt werden, aber sie würden für eine bessere Verhandlungsposition sorgen. „Sie wären eine Art Versicherung“, so der Wirtschaftsexperte.

Auch Flüssiggas spielt dabei eine wichtige Rolle. Schon heute könnten der Bruegel-Studie zufolge bis zu 60 Milliarden Kubikmeter – das heißt fast die Hälfte der russischen Lieferungen an Europa – durch Lieferungen aus Katar und anderen Ländern ersetzt werden. Europa müsste allerdings bereit sein, entsprechend hohe Preise für kurzfristige Lieferungen zu bezahlen. „Langfristig wird auf dem Flüssiggas-Markt das Schiefergas eine immer wichtigere Rolle spielen,” sagt Zachmann. Dabei geht es nicht nur um amerikanische Lieferungen nach Europa.

Eine wirtschaftlichere und in Amerika bereits diskutierte Lösung wären es, amerikanisches Schiefergas nach Asien zu liefern, wo der Gaspreis höher ist. Asien wiederum würde dann weniger Gas aus dem Mittleren Osten kaufen. Staaten wie Katar könnten ihre Lieferungen nach Europa ausweiten.

Die Amerikaner sind dabei nicht die Einzigen, die den Weltmarkt mit Schiefergas verändern werden. China zum Beispiel hat seine Schiefergasförderung im Laufe des letztes Jahres verfünffacht. Zwar entspricht diese Menge nur einem Tausendstel der amerikanischen Produktion, aber chinesische Politiker sprechen bereits über ein geplantes exponentielles Wachstum. Auf chinesischem Boden befinden sich die bedeutendsten Ressourcen der Welt, doppelt so viele wie in den USA.

Fracking birgt ungeahnte Umweltrisiken


Auch Europa könnte dazu einen Beitrag leisten. Der polnische Gasgigant PGNiG hat in der vergangenen Woche einen Vertrag mit dem amerikanischen Energiekonzern Chevron unterschrieben. Dieser soll so schnell wie möglich mit der Förderung von Schiefergas im Osten Polens beginnen. Der britische Premier David Cameron hat die Krim-Krise einen „Weckruf“ für Europa genannt. „Energiesicherheit sollte in Europa dringend Priorität bekommen,” antwortete er britischen Medien auf die Frage, ob Fracking in Großbritannien eine Möglichkeit wäre. Auch der starke deutsche Widerstand gegen das Fracking könnte bröckeln. „Wenn Carl Benz und seine Frau so kritisch ans Werk gegangen wären wie die Deutschen beim Fracking, hätten sie ihr Auto nie auf die Straße bekommen“, sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger der April-Ausgabe des Cicero.

Anders als in den USA wird das Schiefergas allerdings nicht Europas Energiemarkt revolutionieren. Stärker als in den dünn besiedelten, gut mit Pipelineinfrastruktur erschlossenen und seismisch gründlich untersuchten USA birgt die Förderung in Europa auch aus geologischer Sicht einige beträchtliche Probleme. Schon im vergangenen Jahr hat die Europäische Kommission bestätigt, dass für jedes einzelne Bohrloch eine Analyse der Umweltrisiken durchgeführt werden muss. Die befürchteten Risiken haben in einigen europäischen Ländern bereits zu einem Fördermoratorium geführt.

Machtspiel für europäische Unternehmen


Viel effektiver wäre nach der Meinung vieler Politiker und Analysten eine neue Rhetorik Europas gegen Russland. „Die EU sollte sich auf dem Gasmarkt als Einheit präsentieren“, sagt Zachman vom Bruegel-Institut. Wobei es beim Gas nicht nur um die Frage der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von Russland geht. Es handelt sich für europäische Unternehmen zugleich um ein großes Machtspiel um Märkte, Lieferwege und um die Energiepreise.

Wenn es Europa wirklich ernst meint und mit den USA oder anderen Akteuren eine Konkurrenz zum Russlandgeschäft entwickeln würde, könnten sich die Preise auf dem Gasmarkt deutlich entspannen. Für Unternehmen wie den Chemie-Giganten BASF, der wegen der niedrigen Gaspreise gerade einen Teil seiner energieintensivsten Produktion aus Asien in die USA verlagert, wäre das eine ziemlich interessante Entwicklung.

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