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Financial Times Deutschland - Ein Gläschen auf den Untergang

Es war ein Schockmoment für die deutsche Medienbranche: Vor einem Jahr erschien die letzte Ausgabe der Financial Times Deutschland. Frühere Mitarbeiter wollen den Todestag nun feiern – und fragen sich, ob der Journalismus noch ein Geschäftsmodell hat

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Wenn Herbert Fromme am kommenden Samstag auf die Party zum Untergang der Financial Times Deutschland geht, könnte er gleich noch auf sich selbst anstoßen.

Denn der Versicherungsjournalist hat vieles richtig gemacht. Anders als sein früherer Arbeitgeber, die FTD. Sie wird am Wochenende noch ein letztes Mal aufleben. Zumindest symbolisch: Mehr als 200 ehemalige Mitarbeiter wollen den Todestag der Wirtschaftszeitung in Hamburgs hipp-krawalligem Schanzenviertel feiern.

Der 7. Dezember – das ist ihr Datum. An jenem Tag im Jahr 2012 waren sie alle zum letzten Mal eine Redaktion. Eine Gemeinschaft. Sie brachten eine letzte Zeitung heraus, die zum Kassenschlager wurde. Aus dem Logo purzelten die Buchstaben „N“, „C“, „I“ und „A“ heraus. Übrig blieb: „Final Times Deutschland“. Das Titelblatt war komplett in Beerdigungsschwarz gehalten, darauf die lachsrosa Buchstaben: „Endlich schwarz.“ Eine Anspielung darauf, dass die FTD nie die schwarzen Zahlen erreicht hatte.

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Was war das für ein emotionaler Tag: Die Kollegen lagen sich in den Armen, es flossen Tränen. Auf der Jahrestagsparty am 7. Dezember 2013 dürften die früheren FTD-Mitarbeiter erneut sentimental werden. Sie werden in Erinnerungen schwelgen, sich Mut zusprechen und sich fragen, was ihre Zeitung noch hätte retten können. Vielleicht werden sie auch staunen. Über Leute wie Herbert Fromme, zum Beispiel.

Denn der umtriebige Wirtschaftsjournalist, der seit dem Gründungsjahr 1999 zum Getriebe der Financial Times Deutschland gehörte, ist heute ein Selfmade-Mann. Versicherungskorrespondent für die Süddeutsche Zeitung, vor allem aber: Ein Unternehmer. Und Verleger. Im Internet betreibt er ein hoch spezialisiertes Nischenportal für die Versicherungswirtschaft.

„Lieber an den großen Brötchen ersticken als profitabel kleinere backen“


Fromme hat sieben Kollegen; täglich geht ein Newsletter an die Kunden. Den hatte er bereits als FTD-Redakteur an die Leser verschickt. „Das war ab 2009 eine Abwehrmaßnahme gegen die Aggregatoren, die im Netz kostenfrei Informationen sammelten und verbreiteten“, sagt Fromme. Nach der Zeitungspleite betrieb er den Newsletter noch für Capital bei den Gruner und Jahr Wirtschaftsmedien. Ab März führte er den Rundbrief selbstständig weiter. Im Juli kam eine Webseite mit kostenpflichtigen Fachartikeln dazu. 65 Euro kostet der Zugang zu „Herbert Frommes Versicherungsmonitor“ im Monat. Die Kunden: Manager, Makler, Anwälte und Behörden. Wie viele Abos er verkauft, was er einnimmt, will Fromme nicht verraten. Nur so viel: Er sei „sehr zufrieden“.

Die Financial Times Deutschland war nicht zuletzt daran zugrunde gegangen, dass es ihr all die Jahre nicht gelungen war, im Internet ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln.

Immerhin: Sie hatte in den letzten anderthalb Jahren mit Bezahlschranken für Premium-Inhalte experimentiert. Hätte die FTD das noch mutiger machen sollen – und nach dem Vorbild des Versicherungsmonitors spezielle Bezahlzugänge für Nischensparten wie Versicherung, Banken oder Rohstoffe einrichten können? Fromme grübelt. „Es gab Ideen, den Newsletter kostenpflichtig zu stellen. Aber das hätte nicht funktioniert, weil ja die sonstigen Artikel kostenfrei waren.“

Die Zeitungskrise und der Blutrausch der Medien sind auch die Titelthemen der Dezember-Ausgabe des Magazins Cicero. Das Heft erhalten Sie am Kiosk oder direkt in unserem Online-Shop.

 

Martin Virtel war Online-Entwicklungsredakteur bei FTD.de. Er hätte sich eine „mutigere Digitalisierung“ gewünscht. 1999 war die FTD eine der Vorreiterinnen im Netz. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase habe sie sich jedoch entmutigen lassen. „Wenn man die gleiche Weitsicht wie der Spiegel damals gehabt hätte, hätten wir die Internetwelle auch reiten können“, ist sich Virtel sicher. Eine ausschließlich digitale FTD hätte eine Chance auf dem Markt gehabt. Allerdings hätte sie weniger Redakteure beschäftigen können, weil der Umsatz viel geringer ausgefallen wäre. Doch auch daraus wurde nichts: „Die FTD wollte lieber an den großen Brötchen ersticken als profitabel kleinere backen.“

„Anzeigenkunden regelrecht verprellt“


Andreas Theyssen, damals Ressortleiter Politik, ist sich nicht sicher, ob Bezahlinhalte im Netz funktioniert hätten: „Die Leute sind nicht mehr bereit, für tagesaktuelle General-Interest-Informationen zu zahlen.“ Sein Fazit ein Jahr nach der FTD: „Journalismus hat derzeit kein Geschäftsmodell.“ Theyssen verdient sein Geld deswegen überwiegend mit PR-Beratung; Artikelschreiben ist für den Cicero-Autor nur noch ein Hobby.

Hubert Beyerle, der der Redaktion als freier Journalist verbunden war, hat noch eine andere Theorie, warum das mit den Erlösen nie so richtig geklappt hat. Überspitzt gesagt: weil die Redaktion zu idealistisch gewesen sei. „Wir haben die Anzeigenkunden mit unserer strikten Politik regelrecht verprellt.“ Werbung habe niemals auf redaktionelle Inhalte ausstrahlen dürfen, selbst die Beilagen-Redaktion, die bei Zeitungen traditionell eine gesponserte Anzeigenveranstaltung ist, pochte auf strikte Unabhängigkeit. „Einmal wurde sogar mein Text umgeschrieben, weil die Bank, über die ich schrieb, zeitgleich eine Anzeige im Blatt hatte. Da wurde ein ganzer Absatz eines Analysten rausgestrichen, damit bloß nicht der mindeste Eindruck einer Einflussnahme entstand.“ Andere, wirtschaftlich solide Blätter würden anders vorgehen, beobachtet Beyerle: Erst seift man den Lufthansa-Vorstandschef in einem Interview ein, dann folgt die dicke Anzeigenkampagne in der Zeitung.

Guido Warlimont sagt: „Ich kann mich zumindest an keinen Fall bei der FTD erinnern, wo man den Wünschen des Anzeigenkunden in der Redaktion nachgekommen wäre.“ Warlimont war vom ersten Tag an in dem Haus tätig und leitete zuletzt das Ressort „Unternehmen“. Zum Thema Schleichwerbung schwört Ex-Politikchef Theyssen: „Ich kann meine Hand dafür ins Feuer legen: So etwas gab es bei uns nicht.“

Die Tatsache, dass die FTD die journalistischen Standards so hoch gehalten und ihre Unabhängkeit verteidigt habe, sieht der freie Journalist Hubert Beyerle als Grund dafür, dass die Industrie langsam misstrauisch gegen die FTD geworden sei: „Sie waren enttäuscht, dass man uns nicht beeinflussen konnte. Das war nicht erwünscht. Am Ende hat man uns einfach boykottiert.“

Weder der damalige Anzeigenleiter noch die frühere Verlagsgeschäftsgeschäftsführerin Ingrid M. Haas äußerten sich auf Cicero-Online-Anfrage zum Ende der FTD. Auch der frühere Chefredakteur Steffen Klusmann möchte darüber nicht öffentlich sprechen. Ein leitender Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte, bezweifelt jedoch, dass es allein an den Anzeigenkunden gelegen habe.

„Verlag als riesiger Kostenblock“


„Unternehmen“-Chef Warlimont staunt heute, wie sich das defizitäre Blatt überhaupt so lange habe halten können. „Aus Verlagssicht war es durchaus nachvollziehbar, ein Objekt einzustellen, das sich nach 13 Jahren im Markt immer noch nicht behauptet hatte“, sagt er trocken. Und erkennt an: Gruner und Jahr habe „recht lange große Geduld mit uns“ gehabt.

Was hätte die Financial Times Deutschland dann noch retten können?

Warlimont sagt: „Kreativere Marketingmethoden.“

Politikchef Theyssen: „Ein Verlags-Joint-Venture. Dass die FTD in den ersten acht Jahren unbedingt einen eigenen Verlag aufbauen musste, stellte sich als riesiger Kostenblock heraus. Den hätte man lieber von Anfang an bei Gruner und Jahr ansiedeln sollen.“

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Webentwickler Virtel: „Eine Onlineredaktion von der Größe der Huffington Post: 15 Redakteure.“ Für FTD.de arbeiteten zwar auch 15 Personen – allerdings nur acht Redakteure. Der Rest waren studentische Hilfskräfte, die im Haus insgesamt ein Drittel der Belegschaft bildeten.

Unternehmer Fromme ist überzeugt: „Wir hätten konsequent gegenhalten müssen, als sich Gabor Steingart beim Handelsblatt gegen uns eingeschossen hatte.“

Freiberufler Beyerle bedauert: „Die FTD war den Werbetreibenden zu links. Zu keynesianisch. Zu unabhängig.“

Kondolenz für Verlag und Anzeigenkunden


Bei den Anzeigenkunden hatte sich die Redaktion für die „kritische Berichterstattung“ auf der letzten Seite der Finalausgabe entschuldigt. Auch dem Verlag, Politikern und Lesern galt die Kondolenz der Blattmacher. Daneben war ein Foto zu sehen, auf dem sich Chefredakteur Steffen Klusmann und seine Mitarbeiter verbeugen. Dort stand aber auch: „Wenn wir noch einmal von vorne anfangen dürften – wir würden es jederzeit wieder genauso machen.“

Onlinemann Martin Virtel hat sich sehr geärgert über diesen Satz. „Man lernt doch nur dadurch, dass man Fehler nicht noch einmal wiederholt – gerade im Medienwandel.“

Virtel hat hinterher vieles anders gemacht. Beispielsweise hat er den Versicherungsmonitor von Herbert Fromme mitentwickelt. Bei Facebook schrieb Virtel im August anerkennend: „Herbert Fromme hat in den ersten sechs Wochen mehr Web-Abos verkauft als die FTD in den ersten zehn Monaten.“

Fromme hat den Fakt übrigens nicht dementiert.

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