Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Thomas Bellut

ZDF - Die im Zweiten sieht man nicht

Dem ZDF laufen die Zuschauer weg. Die Quoten sinken, das Publikum wird immer älter. Selbst im Nachrichtengeschäft verliert der Traditionssender seine Deutungsmacht. Gerüchte über personelle Konsequenzen machen die Runde. Cicero befragt den Programmdirektor.

Wenn Thomas Bellut nach Hause kommt, möchte er abschalten und sich unterhalten lassen. Der Programmdirektor des ZDF schaltet dann den Fernseher ein. Regelmäßig jedoch bestimmt nicht er, sondern seine 15-jährige Tochter das Programm. Statt der Kollegen in Mainz muss er dann „Germany’s Next Topmodel“ bei den Privaten ansehen, wie Bellut im ZDF gesteht. Natürlich fiel den Kollegen schwer zu glauben, dass er kein Zweitgerät zu Hause stehen hat. Tatsächlich besitzt Familie Bellut drei Fernsehgeräte: Seine Frau Hülya Özkan – die im ZDF „Heute in Europa“ moderiert –, sein Sohn, seine Tochter, jeder hat sein Lieblingsprogramm. Bellut gibt zu, dass er seine Tochter interessiert dabei beobachte, wie sie von den Models von Heidi Klum fasziniert ist. Leider nicht im ZDF.

„Programmdirektor bin ich immer“, sagt der 53-Jährige. Was junge Leute interessiert, muss auch ihn interessieren. Es hat sich viel geändert, seit er nach Politikstudium, Promotion und Volontariat beim ZDF vor 20 Jahren Referent bei seinem Vorvorgänger Oswald Ring wurde. Damals steckte das Privatfernsehen in den Anfängen und niemand habe sich wegen der Altersstruktur des Publikums Sorgen gemacht. Heute dagegen hat man manchmal den Eindruck, dass sein Job fast nur mehr daraus besteht, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum dem ZDF die jungen Zuschauer davonlaufen und wie er sie aufhalten kann. Die Frage ist ihm sehr vertraut, und wahr ist, dass das Durchschnittsalter des ZDF-Zuschauers 1992 bei 52 Jahren lag, mittlerweile aber auf 61 kletterte, Tendenz weiter steigend. Der ZDF-Zuschauer wurde mit Kanzler Adenauer groß. Das ZDF, ein Programm für Rentner? 2005 und 2008 haben er und Chefredakteur Nikolaus Brender die Überalterung der Gesellschaft in den Serien „2030“ und „2057“ thematisiert. Eine Prognose, wie hoch dann das Durchschnittsalter des ZDF-Zuschauers sein wird, mag Bellut nicht geben: „Viel wird sich nicht ändern.“

Mehr Kultur, mehr Aktualität und das Programm näher an den Alltag der Zuschauer rücken, gab Bellut beim Amtsantritt 2002 als seine Parole aus. Der ehemalige Politikjournalist, der Kanzler Schröder und Papst Benedikt befragte, ließ als Programmdirektor die Serie „Im Kanzleramt“ produzieren. Das ZDF machte viel Werbung. Aber nach der ersten Folge sank die Quote und schließlich musste Bellut die Serie aus dem Programm nehmen: „Vielleicht wollten wir zu früh zu viel, haben die Zuschauer damit auch überfordert.“ Die Serie zeigte Politik, die mit sich selbst beschäftigt ist. Vielleicht war die Sendung einfach zu nah am Alltag. Zuschauer schalten ab, wenn sie sich an die Ohnmacht ihres Alltags erinnert fühlen, hat die Forschung ermittelt.

Thomas Bellut hat noch etwas Zeit, schließlich ist er bis Ende 2012 im Amt und damit zuständig für Serien, Spielfilme, Unterhaltung, Dokumentationen aus Kultur und Wissenschaft, Talk, Musik und für das Kinder- und Jugendprogramm. Er verantwortet rund 65 Prozent des Programms; den Rest bestimmt Chefredakteur Nikolaus Brender, Belluts ehemaliger Chef.

In Hinblick auf die Jugend verweist Bellut auf den RTL-Zuschauer, der mit 49 Jahren auch schon graue Schläfen habe, und erklärt die Entwicklung mit der zunehmenden Zahl von kleinen Sendern: „1992 hatten ARD, ZDF und RTL gemeinsam rund 60 Prozent Marktanteil. Heute haben wir nur mehr 40 Prozent.“ Das ZDF konkurriere mit 500 Sendern, darunter zig Nischenprogramme, die er „Piranhas“ nennt.

Das alleine kann freilich nicht allen Schwund erklären. Die Bedeutung des Fernsehens nimmt insgesamt ab: Jugendliche und Hochgebildete bleiben dem Fernsehen fern, lesen oder gehen ins Internet. Andererseits weiß Bellut aus der Fernsehforschung, dass mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen ein eigenes Fernsehgerät besitzen und Fernsehen nach wie vor das dominierende Medium sei.

Die Konkurrenz der ARD liegt seit zehn Jahren mit einer Ausnahme immer vor dem ZDF, was die Gesamtzahl der Zuschauer betrifft. Aber auch, was junge Zuschauer betrifft. Dank Serien wie Marienhof und der Fußball-Bundesliga. Dank Günter Struve, dem Programmchef der ARD. Struve verfüge über deutlich mehr Geld und mehr Sportrechte, verteidigt sich das ZDF. Außerdem könne er Wiederholungen in den Dritten verstecken. Beim ZDF dagegen liegt der Wiederholungsanteil am Vorabend teilweise bei 70 Prozent. Der Unterschied zwischen ARD und ZDF sei folgender: „Wir haben mehr Jugend, reden aber weniger darüber“, sagt Struve. Selbst als das ZDF vor drei Jahren bei der Zahl aller Zuschauer hinter allen dritten Programmen der ARD gemeinsam mit dem Ersten mit 13,5 Prozent Marktanteil an zweiter Stelle rangierte, lag es bei den Zuschauern von 14 bis 49 Jahren hinter RTL, Sat1, Pro7, ARD und den Dritten nur an sechster Stelle. Abgeschlagen.

Nun könnte man einwenden, die 14- bis 49-Jährigen sind das Publikum der Privaten. ARD und ZDF dagegen haben „den Auftrag, alle Altersgruppen zu erreichen“, wie Bellut betont. Aber er weiß auch, dass eine demokratische Gesellschaft immer wieder neu über Sinn und Zweck von Gebühren diskutieren wird. Deshalb kann öffentlich-rechtliches Fernsehen seinen Auftrag nur erfüllen und überleben, wenn es auch die erreicht, die künftig bestimmen und die Gesellschaft erneuern. Das werden beim ZDF langsam, aber stetig weniger. Bellut argumentiert: Wir haben zwar ältere Zuschauer als die Privaten und das Internet, leisten uns aber mehr Qualität.

Volksmusik klingt nach Gemütlichkeit und Rente. Also musste Volksmusik verschwinden. Bellut hat „Marianne und Michael“ durch Carmen Nebel ersetzt. Deutsche Schlager statt Volksmusik. Carmen Nebel habe das Comeback von Howard Carpendale präsentiert, wie Bellut stolz vermerkt. Carpendale ist 62 Jahre alt.
Unter Programmplanern gilt die Faustregel, dass jüngere Leute Sender wählen, die Spielfilme, Serien und Live-Sport bieten, bei Informationsprogrammen dagegen eher um- oder abschalten. Die Allzweckwaffe des ZDF heißt deshalb Johannes B. Kerner. Er moderiert für Brender Sport und für Bellut Talk. Ein Grund für die „Kernerisierung“ des ZDF ist, dass der Moderator unter den Talksendungen am Abend junge Zuschauer anspreche. Im August ließ Brender Kerner von Peking zu einem Fußballspiel nach Nürnberg und dann wieder zurück nach Peking fliegen. Bellut hat zusätzlich Hape Kerkeling für die Verfilmung seines Hörbuchs gewonnen und verhandelt mit ihm über ein weiteres Projekt. Kerkeling sei schlicht „der Beste“.

Belluts Versuch, das ZDF zu liften, lässt sich an Aktenzeichen XY beobachten, der ältesten Sendung, die mittwochs läuft. Bellut sorgte für einen neuen Moderator, ein neues Studio, und anstelle des Studioregisseurs drehen Serienregisseure („Rosenheim Cops“) die Einspielfilme. Aktenzeichen erreiche bei Zuschauern von 14 bis 49 Jahren immerhin oft elf Prozent Marktanteil. Die Anregung zur Verjüngung erhielt Bellut übrigens von seinem Sohn, der vor Jahren meinte, die Einspielfilme seien „nicht drastisch genug“.

Eines, sagt Bellut, habe er vor 20 Jahren bei seinem Vorvorgänger Oswald Ring gelernt, und das habe sich nicht geändert: „Programmdirektoren müssen Ausdauersportler sein. Schnelle Siege gibt es im Programm nicht.“ Bislang ist er nur bedingt erfolgreich. Das ZDF liegt 2008 mit 13,4 Prozent wieder hinter dem Ersten (13,9 Prozent) und bei den 14- bis 49-Jährigen mit 7,3 Prozent nur auf Rang fünf, hinter der ARD (8,0).

Immerhin darf Bellut hoffen, dass die ARD weniger „Kampfprogrammierungen“ gegen das ZDF vornehmen wird: Denn ab November wird mit Volker Herres ein Mann das Erste programmieren, mit dem Bellut einst im ZDF gemeinsam Reportagen filmte. Einmal wanderten beide zu Fuß über die Alpen und drehten darüber einen 45-minütigen Film. Natürlich hat Bellut die Quote im Kopf: Sechs Millionen am Freitagabend! Heute würde man damit wohl nur mehr zwei Millionen erreichen, sagt er. Der Piranhas wegen.


Brender, Frey und Co
ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender hat sich als Intendant des WDR und des Deutschlandradios ins Gespräch gebracht. Beide Male ohne Erfolg. Mit Spannung wird auf dem Lerchenberg erwartet, ob Intendant Markus Schächter den Vertrag Brenders verlängert. Brender gilt als angeschlagen.
In Berlin hat sich Hauptstadtstudioleiter Peter Frey schon für die Nachfolge Brenders warmgelaufen. Da der Chefredakteur des ZDF eher mit einem SPD-Anhänger, der Intendant eher mit einem CDU-Mann besetzt wird, müsste Frey sich erstmals eindeutig positionieren. Das hat er bisher vermieden.
Heute-Chefin Bettina Warken wird zum Ende des Jahres abberufen und mit dem Posten der Landesstudioleiterin in Berlin versorgt. Ihr Nachfolger soll Luc Walpot werden, der derzeit das Studio Kairo leitet. Eckart Gaddum wurde bereits als Chef des ZDF-Morgenmagazins abgelöst und zum Chef der Hauptredaktion Neue Medien auf dem Lerchenberg gemacht. (in)

Lesen Sie hier eine Entgegnung von Nikolaus Brender: "Ich habe mich nie für den Intendantenposten des WDR ins Gespräch gebracht"

Lesen Sie außerdem eine Entgegnung von Fritz Pleitgen:
"Brender hat sich nicht als Intendant des WDR ins Gespräch gebracht"

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.