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Die übernationale Zeitung

Herausgeber Michael Golden machte die International Herald Tribune in zwei Jahren zur erfolgreichsten internationalen Publikation in Deutschland. Die globale Tageszeitung versteht sich als neutraler Vermittler in europäischen Debatten und transatlantischen Konflikten.

Seine Familie kam aus Deutschland in die USA. Sein Urgroßvater Adolph Ochs kaufte sich 1878 die kleine Lokalzeitung „The Chattanooga Times“. Obwohl er Deutscher war und Jude obendrein. Multikulturalismus war kein Nachteil – er wurde sein Erfolgsgeheimnis. 1896 erwarb er die „New York Times“, und die blieb bis heute im Familienbesitz. Das Multikulturalismus-Gen scheint Michael Golden geerbt zu haben, denn er führt die „International Herald Tribune“ gerade zu einem Überraschungserfolg. Zeitungen sind ein nationales Geschäft, hieß es bislang. Beweist die Herald Tribune das Gegenteil? Ich glaube schon. Die IHT wird weltweit an 30 Standorten gedruckt und erscheint in 180 Ländern mit einer Gesamtauflage von 241000 Exemplaren. Davon verkaufen wir rund 145.000 in Europa, 83.000 in Asien, 7.300 im Nahen Osten und Afrika sowie 5.500 in Lateinamerika. Mit steigender Tendenz. Man sollte meinen, dass eine für Amerikaner im Ausland gegründete Zeitung in Zeiten des Internets überflüssig ist. Ein reines Blatt für diese „Expats“ waren wir nie: Seit 118 Jahren gehören viele Diplomaten zu unseren Lesern. Amerikaner im Ausland machen seit 1980 nur noch ein Drittel der Leserschaft aus, andere Expats ein weiteres. Das letzte Drittel bilden nationale Leser, also Deutsche in Deutschland, Japaner in Japan etc. In dieser Gruppe haben wir auch die stärksten Zuwächse erzielt. Golden ist ein managerieller Journalist. Er denkt immer zugleich in wirtschaftlichen und in journalistischen Kategorien. Er hat schon Kinder- und Tenniszeitschriften gemacht, den Vertrieb organisiert und Bilanzen kontrolliert. Was ihn vom klassischen US-Manager unterscheidet, ist sein europäisches Bewusstsein. Golden studierte nicht nur in Europa, spricht fließend Französisch und lebte auf dem alten Kontinent. Er kennt die Kultur seiner Leser, zuweilen auch deren Unkultur. Warum ist der Erfolg in Deutschland größer als im europäischen Durchschnitt? Da spielt das spezifische Bedürfnis eine Rolle, zu erfahren, was die Welt über Deutschland denkt. Franzosen und Briten ist die Meinung des Auslands weitgehend egal, den Deutschen nicht. Das hat auch historische Gründe. Warum kaufen die Deutschen Ihr Blatt? Es gibt vor allem zwei Motive: Wir berichten ohne nationale Verzerrung über internationale Debatten und Konflikte. In nationalen Zeitungen wie FAZ, Le Monde oder Guardian bekommen Sie eine national gefärbte Berichterstattung. Nicht bei uns: So wie nationale Zeitungen damit werben, überparteilich zu sein, sind wir „übernational“. Ein zweiter Grund ist unsere USA-Berichterstattung: Niemand hat einen besseren Zugang zum Weißen Haus oder ins Capitol Hill als die New York Times. Und wir haben seit 2003 den vollen Zugriff auf die Berichterstattung der New York Times. Ist die IHT nach dem Ausscheiden der Washington Post die internationale Ausgabe der New York Times? Es gab nach der Übernahme tatsächlich die Idee zur Umbenennung in „New York Times – International Edition“. Die Marktforschung hat uns aber gezeigt, dass die Leser genau dieses Produkt wollen, nicht die internationale Version einer US-Tageszeitung. Bei der Erweiterung unserer Redaktion setzen wir daher auf Internationalität: Rund 30 Prozent der Redakteure, Korrespondenten und Kolumnisten sind heute keine US-Amerikaner mehr. Golden hält sich politisch bedeckt. Die Sympathie für Israel oder die Kritik an der Bush-Politik gibt er als Privatsache aus. Für seine Journalisten gibt er die Devise seines Urgroßvaters aus: „All the news that fit to print.“ So hatte Adolph Ochs einst befohlen, und so steht es noch heute im Kopf der „New York Times“. Aber ein politischer Maßstab ist das nicht. „Doch“, entgegnet er, das Feld der Fakten sei größer als Ideologen glaubten. Und im Übrigen gilt das zweite Erbe des Urgroßvaters: Toleranz und das Einfühlen in fremde Kulturen – auch wenn diese am Ende immer nur amerikanisch verstanden werden kann. Denn das eigentliche Erfolgsgeheimnis seiner globalisierten Zeitung ist das immanente Bekenntnis zur Leitkultur Amerikas. Die große Mehrheit Ihrer Mitarbeiter sind aber doch US-Amerikaner. Wie können Sie da eine objektive Sicht transatlantischer Debatten vermitteln? Für viele unserer Journalisten trifft zu, was für die Zeitung insgesamt gilt: Wir haben amerikanische Gene, sind aber europäisch sozialisiert. Wer über Jahre in unserer Pariser Zentrale arbeitet, der erlebt Europa als seine Heimat und begreift europäisches Denken, wie es ein in New York arbeitender Redakteur nicht vermag. Gibt es einen Leitsatz, mit dem Sie Ihren Journalisten die übernationale Perspektive der IHT vermitteln? Den gibt es: „To be cognizant of all countries and captive of none.“ Alle Länder, ihre Probleme und Positionen kennen, sich aber keine zu Eigen machen, das ist unser Prinzip. Das Gespräch führte Nils aus dem Moore

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