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() Bei der Zahl der Milliardäre ist Deutschland einsame Spitze in Europa
DeutschLand der Milliardäre

Wir Deutschen haben uns daran gewöhnt, bei Rankings im Mittelfeld zu liegen. Die Forbes-Liste der Superreichen ist eine Ausnahme. Von den USA und Japan abgesehen, leben im angeblichen Land der Gleichmacherei mehr Milliardäre als irgendwo sonst auf der Welt

Lesen Sie hierzu auch: Constantin Magnis - Der Borkenkäfer und die Bank Was haben Karl Marx, Martin Luther, dessen Gegenspieler Dr. Johannes Eck und Karl Albrecht gemeinsam? Alle vier sind Deutsche und alle haben sie sich aufs Intensivste mit dem Phänomen der Milliardäre befasst. Zwei der vier sind daran fast verzweifelt (Marx und Luther). Von den andern zwei (Eck und Albrecht) ist über Hader und Zweifel nichts bekannt. Ob Aldi-Mitbegründer Karl Albrecht als reichster lebender Deutscher an seinem Reichtum leidet, weiß außerhalb seines allerengsten Umfelds niemand. Von ihm gibt es nur ein einziges publiziertes Foto und kein einziges Interview. Der Stand seines Vermögens stagniere bedenklich, wollen die Rechercheure des amerikanischen Magazins Forbes herausgefunden haben. In ihren alljährlichen Charts der Mega-Reichen rutschte Albrecht seit 2004 vom dritten auf den 13.Rang ab. Das Vermögen schrumpfte angeblich von 23 auf 17 Milliarden Dollar. Ein Viertel einfach verpufft? Das Beispiel zeigt: Weder das Ranking noch die darin aufgeführten Zahlen sollte man allzu ernst nehmen. Erstaunlich genug: Von den USA und Japan abgesehen, leben in Deutschland, dem Land, wo Gleichmacherei angeblich als nationale Tugend gilt, mehr Milliardäre als irgendwo sonst. Pro Kopf der Bevölkerung jedenfalls sind es mehr als in jedem andern Land Europas, Liechtenstein, Monaco und die Schweiz einmal beiseite gelassen (die Schweizer zählen nämlich, entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheit, zugewanderte Deutsche als eigene Landsleute, falls diese eine Milliarde, gern auch etwas mehr, mitbringen). 55 Milliardäre führt die Forbes-Liste für Deutschland auf. Sie ist sicher nicht vollständig. Das manager magazin nennt in seiner Liste 84 Einzelpersonen oder Familien. Aber auch diese hat Lücken. Megareichtum auszuleuchten ist eben nicht einfach. Wie soll man beispielsweise einen Fürsten von und zu Castell-Castell taxieren, der ein Schloss, eine Privatbank, 70 Hektar uralte „Bocksbeutel“-Weißweinlagen (eines der größten Weingüter des Landes), 4000 Hektar Wald und 320 Hektar Landwirtschaft zum Kernvermögen zählt, welches sich außerdem dank der verheirateten Kinder mit den Vermögen derer von Salm-Salm, des Grafen Khevenhüller-Metsch und von Johannes Prinz Lobkowicz zu neuen Dimensionen verbindet? Da versagen auch die professionellen Maßstäbe von Forbes. Gewohnt an die amerikanische Lebensart, große Vermögen als gottgefällig, mithin als für jedermann einsehbar zu betrachten, tun sich die Wohlstandsforscher von der Fifth Avenue in New York erstaunlich schwer mit der Diskretion deutscher Geldeliten. Bei den meisten dieser Milliardenvermögen handelt sich um ein so genanntes Family Office, dessen Aktienwerte sich nur vage bewerten lassen. Etwa die Hälfte der in der Forbes-Liste geführten Deutschen datiert ihren Reichtum vor 1945 und ein halbes Dutzend gar auf die Zeit vor 1800. Neureiche sind in der Minderheit, die vigilante Finanzbranche fehlt fast völlig, Industrie oder Wissenschaft sind nur schwach vertreten. Dafür finden sich darunter so behäbige Selfmade-Unternehmer wie die Bonner Haribo-Brüder Hans und Paul Riegel oder die Pudding-Dynastie der Familie Oetker, die weltweit auch zu den größten Reedern von Kühlschiffen gehört und mit Banken, Bier und Sekt ihr Vermögen unauffällig, aber stetig auf inzwischen rund acht Milliarden Dollar arrondiert. Unter Deutschlands Milliardären dominieren ohnehin unspektakuläre Großkrämer mit Bodenhaftung: Metro (Familien Beisheim, Schmidt-Ruthenbeck, Haniel), Tengelmann (Familie Haub), Wertkauf (Familie Mann). Nur gerade die Gründer des Software-Riesen SAP (Hopp, Tschira, Plattner, Hector) und der Mitgründer von Sun Microsystems, Andy von Bechtolsheim, versprechen einen Hauch von New Economy, ebenso die Gebrüder Strüngmann mit ihrem Generika-Boomer Hexal. Die häufig unterschätzte Großhandelsbranche, unspektakulär und mit geringen Handelsmargen, ist auch in den USA top: Nicht weniger als fünf Nachkommen des Supermarkt-Königs Sam -Walton (Walmart) rangieren unter den elf reichsten US-Bürgern. So gravierend unterscheidet sich die Struktur des amerikanischen von der des deutschen Reichtums also keineswegs. Diskret und eher etwas langweilig agierende Sippen in Allerweltsbranchen, die – bei allen internen Streitereien – gegen jeden Dritten zusammenhalten, der ihre Geschäfte stört, prägen das Bild der Superreichen beidseits des Atlantiks. Signifikant ist die Beständigkeit der deutschen Geldaristokratie. Amerikaner deuten dies gern als Mangel an Dynamik und liegen damit nicht völlig schief. Deutsche hingegen nehmen es als Beweis für Stabilität, Zähigkeit und Beharrlichkeit und liegen damit sicher richtig. In den Steuererklärungen von 1907/1908 – gegen Ende einer historischen Epoche also – standen noch Financiers und Schwerindustrielle an der Spitze. Die Frankfurter Rothschilds wiesen als reichste Deutsche ein Vermögen von 216 Millionen Reichsmark aus, gefolgt von den Krupps (187 Millionen RM) und den oberschlesischen Industriefürsten Henckel von Donnersmarck (177 Millionen RM). Diese Vermögen spielen heute in Deutschland keine nennenswerte Rolle mehr, obwohl die Henckel von Donnersmarck noch immer gut im Geschäft sind. Größte Grundbesitzer im Kaiserreich waren die Thurn und Taxis mit 1237765 Hektar Land „in 493 Steuergemeinden“, wie der pensionierte Regierungsrat im preußischen Innenministerium, Rudolf Martin, herausfand. Vor dem Ersten Weltkrieg outete er mit verblüffender Akkuratesse die größten damaligen Vermögen in Deutschland. 24 Bände brachte er heraus, mit einem Detailreichtum, der heutige Verfasser von Reichtumslisten als rudimentär informiert erscheinen lässt. Dank des fleißigen Regierungsrats lässt sich nachvollziehen, dass der Besitz des heute 23-jährigen Albert Maria Lamoral Miguel Johannes Gabriel 12.Fürst von Thurn und Taxis, Fürst zu Buchau, Fürst von Krotoszyn, Herzog von Wörth und Donaustauf, gefürsteter Graf zu Friedberg-Scheer, Graf zu Valle-Sassina, Marchtal, und Neresheim beträchtlich geschrumpft ist. Aber noch immer sind die Thurn und Taxis die größten Waldbesitzer und Betreiber einer bedeutenden Holzindustrie im Land. Ihr Geschlecht ist übrigens profanen Ursprungs: Es geht in direkter Linie auf den lombardischen Kaufmann Ruggierio Tasso zurück, was zu Deutsch schlicht Roger Dachs (lateinisch: taxus) heißt. Signore Dachs hat das 1867 verstaatlichte, überaus rentable Postler-Geschäft der Familie Ende des 15.Jahrhunderts begründet. Sein Aufstieg markiert den Beginn des modernen Großkapitalismus. Der entwickelte sich ausgerechnet in Deutschland am raschesten, erfolgreichsten und nachhaltigsten. Die Dachs alias Tasso alias Taxis waren Geschäftspartner des größten Tycoons seiner Zeit, Jakob Fugger. Dessen 1494 gegründetes und später von ihm allein geführtes Unternehmen „Ulrich Fugger und Gebrüder von Augsburg“ war der erste Großkonzern der Neuzeit. Die Entdeckung Amerikas zwei Jahre zuvor hatte die Geschäftsgrundlagen in Europa dramatisch verändert: Die erste Globalisierungswelle der Neuzeit erschütterte den Kontinent. Parallelen zur Gegenwart verblüffen: Neue Märkte, neue Rohstoffe, neue Konkurrenz – und neue Milliardäre. Jakob Fuggers Neffe Anton formte aus dem einstigen Textilhandelskontor den ersten global agierenden Konzern, dessen edle Reste bis heute teilweise in Familienbesitz sind: die Fürst Fugger-Bank. Als erster CEO (Chief Executive Officer) der Weltgeschichte verpasste Anton Fugger dem Riesenunternehmen mit tausenden Mitarbeitern eine noch heute modern anmutende Konzernstruktur. Jahresgewinne von 15 Prozent des eingesetzten Kapitals waren als Geschäftsziel festgeschrieben. Der Cashflow wurde präzis ausgewiesen. Es gab eine langfristige Investitionsplanung und man tätigte Rückstellungen nach modernen Kriterien des Risiko-Managements. Mit der Stadt Augsburg schlossen die Fugger außerdem als Erste ein pauschales Steuerabkommen, das die Unternehmenssubstanz schützte – und die Fugger der Pflicht entledigte, jährlich zu schwören, man habe keine Bilanzen gefälscht. Innerhalb weniger Jahre wuchs Augsburg zur reichsten Stadt Deutschlands heran. Die Zahl der Vermögenden – die Fugger waren keineswegs die einzigen – stieg zwischen 1470 und 1500 um das Sechsfache. Das Gesamtvermögen der Bürger nahm um das 22-Fache zu. Der eingangs erwähnte Dr.Johannes Eck lieferte die ideologische Unterfütterung des neuen Großkapitalismus. Als Theologe stritt er öffentlich mit Luther um religiöse Grundfragen. Was die Zeitgenossen nicht wussten: Eck stand auf der Payroll der Fugger und rechtfertigte wortreich deren Marktdominanz, den damals heftig umstrittenen Leihzins und die enormen Kapitalgewinne. Geld sei eben „ein nüw Ding, das nit jeder be-gryfft“. Drei Jahre lang wogte eine hoch stehende Debatte um Monopole in der bis heute bekannten Konstellation: Neocons gegen Staatsgläubige. Luther fand, man müsse Fugger & Co einen staatlichen „Zaum ins Maul legen“. Eck hielt scharf und letztlich erfolgreich dagegen. Er ist in der Geschichte der erste -Lobbyist in Sachen Neoliberalismus. Verblüffend, aber wahr: Die Deutschen haben den modernen Großkapitalismus erfunden, ideologisch interpretiert und zu einer ersten Blüte gebracht. Den forschen Jungs von Forbes sollten wir das bei Gelegenheit mal mitteilen: Die Deutschen waren schneller. Allerdings ist das schon 500 Jahre her.

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