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Dax-Unternehmen - Obszöne Einkommensspreizung

Die Vorstände der Dax-Unternehmen erhalten im Schnitt 53-mal so viel Geld wie der Durchschnitt der jeweiligen Belegschaft, meldet eine Studie der Böckler-Stiftung. Ein weiterer Grund, warum der Mindestlohn überfällig ist

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die geschätzten Kollegen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fanden die Meldung entweder nicht so bemerkenswert oder nicht so überraschend, oder beides. Jedenfalls haben sie den Einspalter auf Seite 15 rechts unten hingepackt, auf die vorletzte Seite des Wirtschaftsteils. Mit der ohne Vorwissen völlig kryptischen Überschrift: „53 Mal so viel wie der Durchschnitt“.

Grundlage der versteckten Meldung ist eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, zu der das Attribut „gewerkschaftsnah“ so rituell vorangestellt wird wie seinerzeit der „Bahnchef“ vor den Namen Mehdorn. Dieser Studie zufolge erhalten die Vorstände der 30 Dax-Konzerne im Schnitt 53-mal so viel Geld wie der Durchschnitt der Arbeitnehmer des jeweiligen Unternehmens. Spitzenreiter ist Volkswagen, wo der Faktor bei 170 liegt, gefolgt von Metro und Adidas mit einem Faktor 100.  Das Vergleichsgehalt ist der Durchschnitt wohlgemerkt - nicht das niedrigste des Unternehmens.

Missachteter Sprengstoff für die Gesellschaft


Natürlich verfolgt die Böckler-Stiftung mit der Veröffentlichung dieser Zahlen gerade jetzt politische Interessen. Aber das ist legitim. Ebenso legitim wie der Chor jener, der nun wieder anschwillt, der Chor jener, die den wirtschaftlichen Untergang Deutschlands kommen sehen, sollte es zum flächendeckenden Mindestlohn hierzulande kommen.

Tatsache ist: In diesen Zahlen steckt gesellschaftlicher Sprengstoff, viel mehr als in der Pkw-Maut, die am gleichen Tag die Aufmacher der Tageszeitungen dominierte. Und der einordnende Hinweis des Kollegen der FAZ, die Zahlen seien „nicht taufrisch“, sondern bezögen sich auf das Jahr 2011, ändert daran gar nichts. Denn eines dürfte feststehen: Besser ist da nichts geworden in der Zwischenzeit. Ganz bestimmt nicht.

Es ist einfach so: Eine solche Spreizung der Einkommen innerhalb eines Unternehmens und innerhalb einer Gesellschaft ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen. Keine übermenschliche Managerleistung und kein noch so gering qualifizierter Hilfsjob. Sie ist schlicht obszön. Sie spaltet. Sie ist nicht gesund und schadet dem Zusammenhalt einer Gesellschaft. Mehr als eine Pkw-Maut. Die spaltet nur Merkel und Seehofer.

Scheitern Geschäftsmodelle am Mindestlohn, sind sie ausbeuterisch


Der flächendeckende Mindestlohn wird am Ende die gesellschaftspolitisch und wirtschaftspolitisch wichtigste Veränderung sein, die diese dritte Große Koalition der Bundesrepublik hervorbringt. Und man muss kein Marxist sein und über die Mehrwerttheorie promoviert haben, um zu dem Schluss zu kommen: Es gibt schlicht und einfach eine Unterkante an Entlohnung, die allein schon die eine Stunde Lebenszeit entgilt, die man für eine noch so minderwertige Arbeit einem Arbeitgeber zur Verfügung stellt.

Kassandras sind nun unterwegs, die prophezeien, dass der flächendeckende Mindestlohn Arbeitsplätze en masse dahinrafft und manche Unternehmen in ihrer Existenz bedroht. Da ist sicher etwas dran. Aber zugleich ist dann auch der Gedanke gestattet, dass mit dem zugrunde liegenden Geschäftsmodell etwas nicht stimmt, wenn es vor allem auf der Ausbeutung der Angestellten fußt oder jedenfalls nur dann funktioniert. 

Deutschland hatte mal einen vormaligen Arbeitsminister, der in Deutschland sowohl „sittenwidrig niedrige“ als auch „sittenwidrige hohe Gehälter“ ausmachte. Das war 2009, und der ehemalige Arbeitsminister hieß Franz Müntefering. Den Furor und die Entschlossenheit des SPD-Chefs („Das darf nicht so bleiben!“) haben damals viele belächelt. Recht hatte er trotzdem.

Passiert ist bisher nichts.

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