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Bernd Hartung für Cicero

Der Traum vom schnellen Geld - Das Zockerhaus im Spessart

So genannte Daytrader verdienen ihr Geld mit Börsenspekulationen am heimischen Computer. Wenn das nicht so richtig klappt, pilgern sie zum Seminar auf einen Berg am Main – ein Besuch im Traderhotel

Autoreninfo

Constantin Magnis war bis 2017 Chefreporter bei Cicero.

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Der Mann mit der Brille schwitzt. Er will nichts mehr sagen, aber jetzt schaut ihn die Gruppe so mitfühlend an, und der Mann am Podium stellt die Frage schon zum zweiten Mal:

„Wie viel Verlust machen Sie am Tag?“„Fünfhundert?“, sagt der Mann schuldbewusst.

„Und? Mit wie viel würden Sie sich wohlfühlen?!“

Er senkt den Blick. „Hundert?“

„Und so wie Sie agieren, was sind die Folgen? Na los!“

„Angst?“, sagt der Mann kleinlaut, sein Tischnachbar nickt ihm Mut zu.

„Angst! Genau! Was noch?“

„Unsicherheit, Frust?“

„Merken Sie was?!“, sagt der Mann am Podium streng. „Mit Ihrer Methode machen Sie sich unglücklich!“

Der Mann schlägt die Hände aufs Pult. „Ich weiß. Darum bin ich ja hier.“

Nein, dies ist keine Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige. Wir befinden uns im Spessart, im Gebäude einer Lungenheilanstalt aus dem vorletzten Jahrhundert, heute ein Hotel. „Zauberberg“ nennt die Hausbroschüre diesen Ort, natürlich. Aus den großen Fenstern blickt man kilometerweit über waldige Hügel, unten im Tal liegt das Städtchen Lohr am Main. „Zockerburg“ nennen dort die Leute das trutzige Haus. Denn es führt ein Doppelleben. Für die meisten Besucher bedient es den regulären Tourismusbetrieb.

Doch daneben gibt es für spezielle Gäste einen eigenen Trakt, eine eigene Telefonnummer, einen eigenen Internetauftritt, mit anderem Namen. Dort heißt es: das „Traderhotel“. Bis zu 50 Seminare für Trader – also Börsenspekulanten – finden hier jährlich statt. So wie der gerade ablaufende Intensivkurs des Frankfurter Börsenveteranen Erdal Cene, der den Brillenträger soeben von seiner riskanten Handelsstrategie abgebracht hat. Die 20 Seminarteilnehmer zahlen 4760 Euro plus Übernachtung und Verpflegung, um – so verspricht Cenes Website – „dauerhaft in das Lager der Gewinner zu wechseln“.
Ungestört von Euro- und Finanzmarktkrisen, in Zeiten, in denen selbst konservative Publizisten wie Frank Schirrmacher den Homo oeconomicus niederschreiben, bildet der Hügel über Lohr einen Pilgerort für die Verlockungen des Kapitalismus in seiner reinsten Form.

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Die allermeisten Kursteilnehmer sind sogenannte Daytrader, Händler, die Wertpapiere innerhalb eines Handelstags kaufen und wieder verkaufen, um von winzigen Kursschwankungen schnell zu profitieren. Deswegen lieben sie, anders als die konservativ langfristig denkenden Anleger, volatile Marktphasen, in denen die Kurse an der Börse im ständigen Wechsel auf- und abgehen. Ob sie mit Aktien, Rohstoffen, Devisen, Indices oder Zinsen handeln: Sie alle sind Glücksritter, die hoffen, im Abermilliarden Zahlen starken Strom der globalen Märkte Gold zu heben oder zumindest ein Paar Nuggets herauszuschürfen.

Man hatte sie sich anders vorgestellt, die Trader, die von Erfurt bis Wien, von Luzern bis Berlin in den Spessart eingeflogen sind. Ein bisschen so wie auf dem Bild, das im Seminarraum auf einer Staffelei steht. Darauf sitzt ein schneidiger junger Mann mit Scheitel, siegesgewiss lächelnd, im blauen Licht der Bildschirme, die vor ihm aufgebaut sind wie ein Altar. Hinter ihm schwebt ein brünettes Fräulein vorbei, sie wirft dem Aktienpriester einen scheuen Blick zu, ihre Brüste stehen prall nach vorne. Im „Traderhotel“ dagegen begegnen einem Rentner im Wanderschuh, Handwerker im Fleece-Pulli und Sparkassenangestellte in bunten Anoraks.

In Deutschland sind nach Marktschätzungen etwa 30.000 Menschen als Daytrader aktiv, doch mehr als 75 Prozent von ihnen machen überwiegend Verluste. Wohl auch, weil die wenigsten Profis sind. Noch in den Neunzigern war diese Art des Wertpapierhandels Spezialisten vorbehalten. Transaktionskosten und schnelle, zuverlässige Internetverbindungen waren für Einzelkämpfer damals kaum bezahlbar, Händlerzulassungen rar. Doch inzwischen kosten selbst Aktienkäufe im sechsstelligen Bereich nur noch ein paar Euro Gebühr, Dutzende Brokerfirmen bieten Privatanlegern Handel mit kleinen Einsätzen an, und die Monopolstellung der großen Börsen ist gefallen. Jeder, der kreditwürdig ist, darf heute traden. Ob er es auch kann, ist eine andere Frage.

Wer zum Seminar nach Lohr anreist, hat offenbar nicht vor, diese Frage dem Zufall zu überlassen. Jede Kursminute ist hier bares Geld wert. Am Ende des Seminartages fragt Coach Erdal Cene, 42, stahlgraue Haare, hessischer Dialekt: „Wollen wir morgen zur Abwechslung mal eine halbe Stunde später anfangen, also um 8 Uhr?“ Er lächelt großzügig. Keiner lächelt zurück. „Was sollen wir mit der halben Stunde machen? Wegschmeißen?“, protestiert ein Mann. Der Rest murrt zustimmend. Cene blickt kurz resigniert, aber fragt dann noch mal erwartungsvoll: „Okay, wer kommt nachher noch für ein Glas Wein mit in die Stadt?“ Die Trader blicken auf ihre Tische. Sie sind ja nicht zum Spaß hier.

 

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Immerhin sitzen einige von ihnen später noch bei einem Bier an der Hotelbar. Als sich der Autor zu ihnen setzt, wird die Runde nervös. „Keine Namen“, sagt einer, den wir deshalb nur Thomas nennen. Bei der dritten Frage zu ihrem Beruf treten sie die Flucht an. „Ich geh eine rauchen“, sagt der Erste. „Ich auch“, sagt der Zweite. Dann steht auch der Dritte auf. Thomas und sein Kollege sitzen nun alleine da. „Geld ist ein scheues Pferd“, sagt Thomas. „Bitte, setzen Sie sich woanders hin.“

Kurt am Nachbartisch wischt sich den Bierschaum aus dem Schnurrbart. Er sagt: „In Deutschland über Geld zu reden, ist so wie in Amerika über Sex. Es ist unanständig.“ Der pensionierte Bauingenieur hat Hände, die eigentlich zu groß für eine Computertastatur sind. Er hat sein Haus selbst gebaut, und weil die Banken ihn enttäuschten, verwaltet er jetzt auch sein Geld selber. Als Daytrader. Es flutscht noch nicht so. Sonst wäre er nicht hier, sagt er, und lacht.

Wie die meisten Trader handelt Kurt von zu Hause. Um 7 Uhr steht er auf, liest Nachrichten, checkt die asiatischen Märkte. Bevor er den Rechner hochfährt, macht er Yoga. Nichts ist in diesem Geschäft so wichtig wie ein freier Kopf. Wer zu schnell oder zu spät aussteigt, weil er Angst oder Gier nicht kontrollieren kann, der scheitert. Jeder gute Trader entwickelt deshalb seine persönlichen Handelsregeln, an die er sich sklavisch hält, egal was passiert. Gegen 8 Uhr, wenn die Großinvestoren schon im vorbörslichen Handel einkaufen, eine Stunde bevor die Märkte in Europa öffnen, loggt Kurt sich ein. Er wählt seinen Markt, meistens den deutschen Aktienindex Dax, entscheidet sich für eine Kontraktzahl, und ob er heute „long“ oder „short“ gehen, auf steigende oder fallende Kurse setzen will. Dann blendet er alles andere aus.

Über den Bildschirm ruckelt der Dax-Kurs wie ein Gebirge, daneben fließen in rasendem Tempo Zahlenstrahlen – grün, wenn der Preis steigt, rot, wenn er fällt. Kurt sitzt dann bangend davor, als zeige sein Monitor das EKG eines Kranken, klickt mal „buy“, dann wieder „sell“. Entscheidend ist: „Beim Beuteschema bleiben. Sich nicht ablenken lassen. Frust, Verluste, und Langeweile aushalten.“ Wer mit Daytradern spricht, hört oft den Vergleich mit dem Feuerwehrmann: Man sitzt manchmal den halben Tag vor dem Rechner und nichts passiert. Aber wenn es brennt, muss man präsent sein und alle Aktionen schnell ausführen, ohne in Panik zu verfallen.

Systematisch arbeitet Kurt seine Handelsstrategie ab, Kopf aus, Routine an. Er hält das etwa eine Stunde lang durch, dann braucht er eine Pause. Mittags isst er leicht, Fisch oder Gemüse. Spätestens um 15.30 Uhr, wenn die Börsen von Kanada bis Brasilien öffnen, knackt der Rücken. Und wenn sie um 17.30 Uhr in Deutschland schließen, kann Kurt meist kaum noch klar denken. An schlechten Tagen rackert er trotzdem weiter bis zum New Yorker Börsenschluss um 22.00 Uhr, hat ausschließlich Geld verloren und kann vor Stress nicht schlafen. An guten Tagen verdient er dafür in 15 Minuten so viel wie sonst in einer Woche.

Wie viel Startkapital ein Daytrader mitbringen muss, ist umstritten. Thomas Vittner, selbst professioneller Spekulant und Autor des Buches „Das Trader Coaching: So werden Sie zum Gewinner“, empfiehlt seinen Lesern die sportliche Summe von 500 000 Euro. Darunter sei es schwierig, da man auch hin und wieder längere Verlustserien aushalten müsse. Wer dabei mit einem kleineren Startkapital ständig Geld vom Konto nehmen müsse, dezimiere sein Kapital gleich doppelt, da der Zinseszins­effekt nicht ausreichend greifen könne.

So viel Geld hat wohl kaum einer von den Kursteilnehmern in der Zockerburg zur Verfügung. Die meisten waren froh, wenn sie zu Anfang ihrer Traderkarriere ein Zehntel davon besaßen. Auch deswegen sind bei kleineren Daytradern Hebelprodukte wie die Contracts for Difference so beliebt. Mit diesen Papieren kann man von den Kursschwankungen eines Tages profitieren. Wer einen solchen Differenzkontrakt auf den Dax wählt, mit dem von den meisten Onlinebrokern angebotenen Standardhebel von hundert, setzt beim derzeitigen Daxstand von 8000 Punkten zum Beispiel 80 Euro auf steigende Kurse. Gehebelt handelt er mit 8000 Euro. Steigt der Dax an dem Tag um nur 1 Prozent, verdoppelt der Trader seinen Einsatz und gewinnt 80 Euro. Verliert der Index dagegen 1 Prozent, ist der komplette Einsatz verloren.

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„Traden ist nie gerecht“, sagt Stefan Fröhlich, 46, Schlabberjeans, Fahrradschuhe mit Klettverschluss. Er und seine Frau haben 2009 das „Traderhotel“ konzipiert, organisieren Ablauf der Tagungen und engagieren die Referenten. Auch weil sie wissen, wie einsam und hart das Leben eines Daytraders sein kann. Fröhlich ist seit 25 Jahren an der Börse aktiv und hat zigfach erlebt, wie Händler ihre „Konten plätten“, wie es im Traderjargon heißt. Laut einer Studie der University of California dauert es bei 85 Prozent der Anfänger nur drei bis sechs Monate, bis das Konto leer ist. Mit den Schulungen im Traderhotel versucht Fröhlich, die Kursteilnehmer zumindest vor der schnellen Pleite zu bewahren.

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An diesem Morgen coacht er selbst neue Kursteilnehmer. Fröhlich trägt große Kopfhörer mit abstehendem Mikro, saust mit dem Mauszeiger durch das Zahlengewirr an der Wand und kichert über seine eigenen Witze. Während seiner Einführung in die Tradersoftware „Nano Trader“ spricht er von „Bobl-Futures“ und „Volatilitätskomponenten“, schwärmt vom „Tradeguard Order“ und den „Aggregationen der Meta-Sentimentoren“ und warnt davor, den „Parabolic als Indikator“ zu unterschätzen. Spräche er nicht deutsch, sondern klingonisch, ein Laie wäre nicht weniger verwirrt. Doch seine Zuhörer nicken verständig, während sich die blauen Graphen an der Wand auf ihren glänzenden Stirnen und Brillengläsern spiegeln.

Na klar, das Handwerk, die Vokabeln, das alles muss gepaukt werden, sagt Michael, 26, schwere Stahluhr, schwarze Haare, schwarze Kleidung. Mit der Gabel bearbeitet er das sogenannte „Trader-Menü“ der Mittagskarte: Pellkartoffeln mit Hering, halbe Portion. Natürlich sei das Lernen mühsam, genau wie die Selbstdisziplin, die das Traden erfordert.

Michael ist Berliner, vergangenes Jahr hat er begonnen, Seminare im Internet zu belegen und den Stoff aus der Ratgeberliteratur zu büffeln, nachts, neben seinem Beruf als Elektrotechniker. Dann hat er den Job geschmissen, um Vollzeittrader zu werden. Bis Ende des Jahres reicht sein Erspartes. Sein Traum wäre es, ganz vom täglichen Spekulieren leben zu können. Er liebt das Trading. Die Energie, die es bei ihm freisetzt, die Selbstständigkeit, die Arbeit an sich selbst und ja, auch die Chance auf das fette Geld.

Nur einen Haken hat der Job für ihn. „Die Leute hassen uns“, sagt Michael. Seit der Finanzkrise ist die Stimmung gegen Spekulanten gekippt, auch andere Trader wie Erdal Cene erleben das. Zocker wie er seien schuld daran, dass Benzin und Weizenpreise steigen, Milch in die Ozeane gekippt und ganze Stämme in Afrika verhungern würden, bekommt Michael dann zu hören. Sein Vater war so enttäuscht, dass er ihn am liebsten enterbt hätte. Inzwischen sagt er nicht mehr, dass er Trader ist. Wenn heute jemand fragt, was er macht, antwortet er: „Gemüsehändler.“ 

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