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Craft Bier - Brau es dir selbst

Stilfrage: Immer mehr Menschen brauen selber Bier – nach außergewöhnlicher Rezeptur und mit viel Enthusiasmus. Doch auch Großunternehmen wollen auf der Craft-Bier-Welle mitschwimmen

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Seit einigen Jahren rollt sie nun auch in Deutschland, etwas verzögert vielleicht, doch alles andere als zaghaft, sondern witzig, einfallsreich und engagiert: die Craft-Beer-Welle.

Craft Beer? Was um alles in der Welt ist Craft Beer? Der Ausdruck „Craft Beer“, beziehungsweise „Craft Bier“, ist kein geschützter Begriff und entsprechend schwer ist es, ihn zu definieren. Am nächsten kommt man der Sache vielleicht, wenn man Craft Beer als ein Bier beschreibt, das in überschaubaren Mengen von kleinen, teilweise sehr kleinen, unabhängigen Brauereien gebraut wird, hinter denen meist junge, idealistische Bierverrückte stehen, die alte Rezepturen ausgraben, Neues ausprobieren und so für mehr Biervielfalt sorgen.

Soweit zumindest die romantische Version vom unkonventionellen Bier-Startup in der ehemaligen Fabrikanlage. Und häufig genug trifft sie sogar zu.

Allerdings haben auch einige größere Brauereien den Trend erkannt und eigene Craft-Bier-Marken kreiert, häufig unabhängig vom Stammhaus, doch mit entsprechenden Know-how und Kapital im Rücken. Doch dazu später mehr.

Der Unterschied zwischen Craft und gewöhnlichem Bier: Die spezifische Rezeptur


„Craft Beer“ bedeutet zunächst nichts anderes als handwerklich hergestelltes Bier. Bier ist allerdings ein Produkt, das immer einen gewissen Mindestaufwand an Gerätschaften und Technik braucht – selbst beim Brauen mit dem heimischen Brauset. Von Handarbeit kann also streng genommen nicht die Rede sein.

Was Craft Biere aber von den Massenprodukten aus dem Getränkehandel unterscheidet, ist fast immer ihre sehr spezifische, außergewöhnliche Rezeptur. Das liegt schon daran, dass Kleinstbrauerein, anders als Großproduzenten, nicht auf den Massengeschmack Rücksicht nehmen müssen.

Vor allem aber stehen hinter ihnen häufig Bierenthusiasten, die mit dem konfektionierten Geschmack der handelüblichen Biere unzufrieden waren und nun bewusst andere Wege einschlagen. Genau genommen wäre es also richtiger von „Distinct Beer“ zu sprechen.

Der lange Weg des Craft Biers: Von Großbritannien nach Italien


Wo die Craft-Beer-Bewegung ihren Anfang nahm, ist umstritten. Insbesondere deutsche Autoren verweisen fast gerne darauf, dass sie ihre Wurzeln in den USA hat. Doch das ist bestenfalls halb richtig. Das „Oxford Companion to Beer“ jedenfalls vermerkt, dass die ersten Kleinbrauereien in den 70er Jahren in Großbritannien entstanden – meist direkt angegliedert an einen Pub. Als älteste Mikrobrauerei gilt hier die Litchborough Brewery, die 1975 von dem legendären Bill Urquhart ins Leben gerufen wurde.

Ein Jahr später gründete, auf der anderen Seite des Atlantiks, Jack McAuliffe die New Albion Brewery, ebenfalls eine Gaststättenbrauerei. 1978 dann hob Präsident Jimmy Carter das bis dahin bestehende Heimbrau-Verbot auf. Nun gab es kein Halten mehr. Existierten 1980 in den USA acht Kleinbrauereien, so waren es 1994 schon über 500. Und allein zwischen 2000 und 2013 sind mehr als 800 dazu gekommen. Inzwischen machen Craft Breweries über 10% Prozent des Gesamtumsatzes des amerikanischen Biermarktes aus.

Kurz und gut: Kleinbrauereien entstanden vor allem dort, wo einige wenige Multis – AB Inbev, SAB Miller, Coors – den Markt beherrschen, insbesondere in den USA oder in Großbritannien. Von dort schwappte die Welle nach Skandinavien. Als Trendsetter auf dem europäischen Festland gilt etwa die Kopenhagener Mikkeller-Brauerei.

Doch nicht nur in den angelsächsischen Ländern und in Skandinavien boomt das Craft Bier. Auch in Italien und Belgien schossen bald kleine, unabhängige Brauereien aus dem Boden.

Dass die Entwicklung Deutschland im internationalen Vergleich etwas hinterher hinkt, hat auch damit zu tun, dass der deutsche Biermarkt vergleichsweise vielfältig ist. Zwar beherrschen auch in Deutschland Großkonzerne den Markt, doch insbesondere regionale Brauereien oder Brauhäuser sorgen für eine gewisse Abwechslung – der Leidensdruck ist mithin deutlich geringer als in England, den USA oder Skandinavien.

Radeberger mischt mit


Dennoch gibt es inzwischen auch im Land des Reinheitsgebotes schätzungsweise über 100 unabhängige Kleinst- oder Kleinbrauereien. Allerdings ist es kein Zufall, dass in Deutschland von Anfang an die Großen im Craft-Bier-Markt mitmischten. Bitburger etwa ist seit Kurzem unter dem Etikett „Craftwerk Brewing“ mit dabei und auch das Bayreuther Unternehmen Maisel setzt unter dem Label „Maisel & Friends“ auf die Craft-Bier-Welle.

Vor allem aber ist seit 2009 „Braufactum“ auf dem Markt. Dahinter steht kein Geringerer als die im sich im Besitz von Oetker befindliche Radeberger Gruppe – die größte Brauereigruppe Deutschlands mit Binding, Kindl, Schultheiss, DAB, Tucher, Küppers etc. im Portfolio.

Um nicht den Zorn der autonomen Bierenthusiasten auf sich zu ziehen, vermarktet Braufactum seine Produkte zwar als Craft Biere, betont aber zudem den exklusiven Aspekt: man vermarktet ein Nosing-Glas zur Bierverkostung, veröffentlicht Verkostungsnotizen und gibt Tipps zu passenden Menüs.

Bier wird hier, analog zum Wein, als Premiumprodukt des gehoben Lebensstandards etabliert – auch und gerade für den kulinarischen Connaisseur. Die Preisgestaltung ist dementsprechend.

Typisch für Craft Biere: Der Trend zum obergärigen Bier


Zum Konzept von Braufactum gehört es auch, nicht nur hauseigene Biere zu produzieren, sondern zudem spannende internationale Produkte zu vermarkten, etwa Fruchtbiere des belgischen Herstellers Boon, Gewürzbiere des italienischen Hauses Baladin, Lager-Bier und Ales der Brooklyn Brewery oder das schon legendäre Pale 31 von Firestone Walker, ein Cuvée verschiedener Biere, das in Eichenholzfässern gelagert wird – entsprechend vanillig und fruchtig ist sein Bouquet.

Der diesjährige Bar Convent Berlin gab die Gelegenheit, einige der ambitioniertesten deutschen Craft Biere kennenzulernen. Etwa das Neuköllner Rollberg, das es schon in die Bar des Bundespräsidenten geschafft hat, die Crew AleWerkstatt aus München, die sich, ihrem Namen entsprechend, auf Ales und das super hippe IPA (Indian Pale Ale) spezialisiert hat, das Meckatzer Weiß-Gold aus dem Allgäu, ein herrliches Helles, die Kollektion der Ratsherrn Brauerei Hamburg oder die Kreuzberger Produzenten Heidenpeters und Schoppe Bräu.

Typisch für viele Crafts ist der Trend zum obergärigen Bier. Das hat zwei Gründe: Zum einen sind fast alle Massenbiere – Weißbier und Kölsch mal ausgenommen – untergärig. Zudem macht sich hier die angelsächsische Tradition der Craft-Bewegung bemerkbar, insbesondere bei dem in der Szene so beliebten Ale und dem IPA, einem mehrfach gehopften, alkoholstarken, besonders bitteren Ale. Das ist für den durchschnittlichen deutschen Pilsnertrinker zwar etwas gewöhnungsbedürftig, zeigt aber, welches Potential in dem Getränk Bier steckt – wenn man sich Mühe gibt und die Zeit hat, mit verschiedenen Hopfen- und Malzsorten zu experimentieren. Gott erhalts!

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