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Corporate Political Responsibility - Unternehmen, mischt euch ein!

Unternehmen müssen politischer denken und handeln. Denn: Wer im Gemeinwesen Verantwortung übernimmt, schafft sich den besten Standort. Und wenn die politische Haltung klar ist, wirkt der Auftritt

Autoreninfo

Johannes Bohnen ist promovierter Politologe und Inhaber von Bohnen & Partner, einer Beratungsfirma für politische Kommunikation.

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Im Jahr 2009 kündigte McDonald’s an, sein gelbes M künftig vor einem grünen Hintergrund zu präsentieren. Das Unternehmen sprach von einem „Bekenntnis zur und Respekt vor der Umwelt“. Die beabsichtigte Symbolik schien klar: Moosgrün statt Ketchuprot, Regenwald statt Rinderblut, mehr Pflanze und weniger Tier. Aber wer sollte das ausgerechnet den Erfindern des Massenhamburgers abnehmen? Die Reaktionen fielen höhnisch bis wütend aus. Bald darauf versicherte die damalige Firmenleitung, aus McDonald’s werde keinesfalls ein grünes Unternehmen.

Die Aktion ist ein Klassiker in der Geschichte des Greenwashing; ein Begriff, der für das Vortäuschen nachhaltigen Handelns steht. Beim Versuch, sich grün zu präsentieren, haben viele Unternehmen ihr Image am Ende beschmutzt. So erschuf der Energieversorger RWE einen grünen Riesen als Werbefigur, der dem Trickfilmhelden Shrek ähnelte und im Werbefilm durchs Land stapfte, um Windräder zu pflanzen. Dass die Spuren des Riesen eher Atommüll und CO2-Ausstoß sind, ist bekannt.

Alles nur Fassade
 

Zwar stellen sich nur wenige Unternehmen so ungeschickt an. Doch in der deutschen Wirtschaft ist es in diesem Handlungsfeld überaus verbreitet, sich statt einer zukunftstauglichen Strategie nur einen frischen Anstrich zu geben. Solche Bemühungen werden unter Begriffen wie Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility, kurz CSR, gefasst.

Es drängt sich der Verdacht auf, hier hätten sich die Unternehmen etwas zugelegt, ohne es je zu verinnerlichen. CSR findet höchst selten im Zentrum eines Unternehmens statt und wird nicht konsequent als Teil der Geschäftsstrategie genutzt. Oft tüfteln Beauftragte in Sonderabteilungen an Gütesiegeln, entwerfen Verhaltenskodizes oder perfektionieren die jährliche Präsentation des Nachhaltigkeitsberichts. CSR-Mitarbeiter versuchen oft vergeblich, die Strategieabteilungen von ihrer Relevanz zu überzeugen, und prägen deshalb zu selten das Unternehmen.

CSR ist eine diffuse Angelegenheit. Aktivitäten unter diesem Label vermischen sich mit Wohltätigkeitsinitiativen, mit Werbe- und Imagekampagnen. Schließlich ist alles gesellschaftlich, weil alles die Gesellschaft betrifft, in deren Sinne jeder gern zu handeln vorgibt.

Schon die Verwendung der weichen, kompromissheischenden Begriffe „gesellschaftlich“ oder „sozial“ ist somit verräterisch. Sie zeigen, was die Unternehmen scheuen, wovor sie sich drücken. Sie wollen auf keinen Fall als politisch gelten. Lieber leben sie mit dem abgenutzten und verschwommenen Begriff der CSR. Diese Sicht beruht auf einem Irrtum. Denn Unternehmen sind politische Akteure: Als Arbeitgeber und Innovatoren beeinflussen sie die Strukturen in den Gemeinschaften, in denen sie operieren und deren Mitglieder sie sind. Und natürlich durch die wachsende Zahl an Verbänden und Repräsentanzen oder ihre direkten Kontakte.

Verschämte Neutren
 

Jüngstes Beispiel ist die Rolle von Unternehmen in den Verhandlungen zu TTIP, dem transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU. Unternehmen machen ihren Einfluss geltend, äußern Wünsche, machen Vorschläge und stellen ihre Expertise bereit, sie wollen ihre Vorstellungen durchsetzen. Kurz: Sie handeln politisch.

Jedoch tun sich viele Unternehmer und Manager schwer, sich als politisch Handelnde zu definieren. Die Politik wird vielmehr als unansehnliches Hauptstadtgeschäft gesehen, in das man – naserümpfend – lieber nur erfahrene Lobbyisten schickt.

Dabei werden die großen Fragen im politischen Raum zwischen Regierung, Parlament, Organisationen, Stiftungen und Wissenschaft ausgehandelt, egal, ob es um Gerechtigkeit, Klima, Bürgerrechte oder Bildung geht. Die Vertreter von Wirtschaftsverbänden sind dabei, aber die Firmen, in deren Auftrag sie handeln, wirken allzu oft wie verschämte Neutren.

Eine vertane Chance. Denn zu sagen, was man will, beugt Misstrauen vor. Und offen zu erklären, dass man politisch handelt, ist der stärkere Auftritt. Social Responsibility greift zu kurz, um die umfassende Beziehung des Unternehmens zum Gemeinwesen zu beschreiben. Ein neuer, mutiger Begriff könnte helfen – und den alten ersetzen: Corporate Political Responsibility, kurz CPR. Durch den Begriff des „Politischen“ würden unternehmerische Ressourcen an Orientierung gewinnen und könnten effektiver eingesetzt werden. Schöner Nebeneffekt: Die stärkere Verankerung des Politischen in der Mitte der Gesellschaft würde einen dringend notwendigen Bewusstseinswandel fördern und der Politikverdrossenheit entgegenwirken. Das Motto: Der Staat, das sind wir alle! Denn auch das von den Deutschen geliebte Soziale ist immer nur eine Facette des Politischen.

Eigentlich dürfte es keinem Vorstand oder Geschäftsführer fremd sein, politisch zu denken. Eine kluge Unternehmensführung engagiert sich für die Qualität des Standorts. Sie übernimmt politische Verantwortung. Denn Unternehmen profitieren von einem funktionierenden Gemeinwesen, von Rechtsstaatlichkeit, von der Sicherheit, von gut ausgebildeten Menschen und funktionierenden Verkehrs- und Datennetzen. Im Krisenstaat ist dagegen nicht gut wirtschaften.

Öffentliche Angelegenheiten regelt eben nicht nur der Staat. Um dies zu verstehen, hilft der Begriff der Governance. Er beschreibt vor allem zwei Aufgaben: verbindliche Regeln für ein Gemeinwesen zu formulieren und durchzusetzen sowie kollektive Güter wie Bildung bestmöglich zu fördern und zu verteilen. Der Staat trägt für beides die Letztverantwortung, aber er ist an vielen Stellen überfordert.

Die Herausforderungen bekommen immer häufiger internationalen Charakter, sie gehen über die Reichweite nationaler Regierungen hinaus. Das Beispiel der Digitalisierung zeigt, dass staatliche Akteure zunehmend auf Hilfe angewiesen sind. Governance-Leistungen können jedoch auch von privaten Akteuren erbracht werden. Die strikte Trennung zwischen „der Politik“, „der Wirtschaft“ und „der Gesellschaft“ hinsichtlich der Governance eines Gemeinwesens entsprach noch nie der Wirklichkeit. Warum also sollte sich in diesem Sinne die Wirtschaft nicht stärker politisch engagieren? Sie verfügt über finanzielle, kommunikative und wissensbasierte Ressourcen, die sie sowohl für die eigenen Interessen als auch für das Gemeinwohl verantwortungsbewusst einsetzen kann.

Governance-Beispiele
 

Die Wirtschaft tut es ja bereits – und immer wieder erfolgreich. Der Bekleidungshersteller Adidas verlangt von seinen Vertragspartnern in Schwellen- und Entwicklungsländern höhere Arbeitsschutzstandards, als dort gesetzlich vorgeschrieben ist. Mit einem eigenen Kontroll- und Sanktionssystem setzt das Unternehmen diese Standards durch.

Yara International, der größte Düngemittelhersteller der Welt, investiert in Häfen und Straßen in Mosambik; eine Infrastruktur, die dem Unternehmen nutzt, die aber auch das Gemeinwesen stärkt.

Microsoft arbeitet mit der US-Regierung daran, illegale Botnetze aufzudecken, automatisierte Computerprogramme, mit denen Hacker die Rechner von nichts ahnenden Nutzern kapern. Microsoft kümmert sich so um seinen Marktplatz, aber eben auch ums Gemeinwohl.

Voraussetzung ist stets, dass Unternehmen ihre Berührungsängste, ja ihre Sprachlosigkeit gegenüber der Politik überwinden. Anteilseigner und Topmanager müssen ohnehin Haltung zeigen. Denn es wird immer wichtiger, dass eine Marke über eine politische Dimension verfügt. Die Bürger erwarten von den Unternehmen, dass sie sich als gute Corporate Citizens bewähren. Nur wer als glaubwürdiger, kreativer und schlagkräftiger Akteur auftritt, wird wahrgenommen.

Diese Positionierung gehört zum Kerngeschäft. CSR ist ein Nice-to-have. Corporate Political Responsibility bedeutet dagegen für Unternehmen, den Erwartungshaltungen der Gesellschaft zu entsprechen. So wird aus einer akademischen Debatte eine Frage der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit.

Unternehmen werden in Zukunft Leitbilder entwickeln müssen, nach denen sie nicht nur ihre betriebswirtschaftlichen Ziele, sondern auch ihre Governance-Leistungen ausrichten können. Nur wer auch ein politisches Leitbild hat und sich dazu bekennt, wird für andere kenntlich. Mitarbeiter und Gesellschaft können sich an ihm orientieren.

Lobbyarbeit aus der Schmuddelecke holen
 

Was kann ein Unternehmen konkret tun, um ein solches Leitbild zu kreieren? Ein kurzer Maßnahmenkatalog:

Das eigene Lobbying muss erstens einer Kultur der Offenheit folgen: Wenn sich das Unternehmen als politischer Akteur begreift, kann und sollte seine Interessenvertretung sehr transparent agieren. Lobbying wird zu einem Teil der CPR. Endlich käme der Interessenausgleich zwischen Regierung, Parlament, Organisationen und Wirtschaft aus der Schmuddelecke. Wer verantwortungsvoll mit Politikern, Behördenvertretern und Bürgern zusammenarbeitet, erhöht seine Legitimität und findet mehr Gehör.

Das Unternehmen stellt zweitens seine Kompetenz zur Verfügung: Jede größere Firma sollte Analysekapazitäten vorhalten, um einschätzen zu können, welche politischen Rahmenbedingungen sich wie auf ihr eigenes Wirtschaften auswirken. Ein Thinktank im Sinne eines Planungsstabs des Vorstands könnte intern für frische Ideen sorgen und das Unternehmen nach außen als innovativen Akteur positionieren. Nach vorne denkende Unternehmen organisieren die Rückkopplung mit Gesellschaft und Politik bereits seit Jahren mit Dialogformaten.

Unternehmen müssen drittens die politische Partizipation fördern: In Chicago hat der heutige Präsident Barack Obama jahrelang als Community Organizer gearbeitet. Dabei unterstützen Unternehmen lokale Dialogplattformen, wo gesellschaftliche Gruppen mit Politikern diskutieren und ihre Verbesserungsvorschläge einbringen können. Aber genauso können politische Bildungsarbeit oder investigativer Journalismus unterstützt werden. Stets wird eine Synergie zwischen gesellschaftlichem und unternehmerischem Mehrwert angestrebt.

Viertens können Firmen selbst Kollektivgüter bereitstellen: Es gibt viele Möglichkeiten, sowohl dem Unternehmen als auch dem Gemeinwesen zu nützen. Ein Beispiel sind Betriebskindergärten. Sie verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und tragen zur frühkindlichen Bildung bei. Das fördert die Bindung und Produktivität der Mitarbeiter, stärkt aber auch das Gemeinwesen. Die Firma Betz-Chrom in der Nähe von München bildet derzeit zwei irakische Flüchtlinge aus. So stellt sie Kollektivgüter zur Verfügung und zeigt Entscheidern Wege auf, wie die Integration von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen besser gefördert werden kann.

CPR hat nur Vorteile
 

Alle diese Maßnahmen haben gemeinsam, dass sie in den öffentlichen Raum hineinwirken. Natürlich, denn politische Aktivität gehört in die Mitte der Gesellschaft. Sie trägt auch automatisch zur Markenbildung bei. Aber es geht eben nicht nur darum, gut auszusehen, sondern darum, sich für den eigenen Standort zu engagieren: um einerseits die Rahmenbedingungen für das Unternehmen positiv zu beeinflussen und andererseits die strukturelle Verfasstheit des Gemeinwesens zu stärken.

CSR ist abseitig geworden, CPR ist zentral gedacht, von der Mitte her und in der Mitte. Denn dorthin müssen die Unternehmen wieder. Sie müssen politisch werden.
In einem Satz: Mischt euch ein!

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