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(picture alliance) Fachkräftesicherung

Fachkräftemangel - Bye, bye, schöne deutsche Monokultur

Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, müssen auch die Unternehmen umdenken: Die seit Jahren praktizierte männlich-weiß-jung-dynamische Leitkultur ist von vorgestern und hemmt auf Dauer Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit.

Immerhin, es tut sich was. Vergangene Woche traf sich das Bundeskabinett mit Spitzenvertretern aus Wirtschaft und Gewerkschaften, um über ein drängendes Thema zu sprechen: den grassierenden Fachkräftemangel in einigen Berufssparten. Längst kein branchenübergreifendes Problem, wohl aber eines, das sich in so manchen Ingenieurberufen wie der Maschinen- und Fahrzeugbauindustrie sowie bei den Elektroberufen niederschlägt, und auch in einigen Gesundheitsberufen stellt der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern bereits ein veritables Hindernis dar.

Unter dem Titel „Konzept Fachkräftesicherung“ rang man sich zu einem zögerlichen Maßnahmenpaket durch. Deutschland, so eine der Botschaften, soll fortan für Zuwanderer aus dem Ausland attraktiver werden. Endlich möchte man ausrufen! Nach Jahren, in denen Zuwanderung ausschließlich negativ und unter den Vorzeichen paranoider Angstmache diskutiert wurde – wir erinnern uns an die kruden Thesen eines ehemaligen Bundesbankers - nähert sich die Debatte nun gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realitäten an, die vornehmlich geprägt sind von Megatrends wie der stetig voranschreitenden Globalisierung und einer demographischen Entwicklung, die die deutsche Gesellschaft unaufhörlich altern lässt.

Nun hat sich die Bundesregierung – wenn auch zaghaft - zu einem Paradigmenwechsel durchgerungen. Zuwanderung wird danach nicht wie bislang vornehmlich als Belastung für die Sozialsysteme gedeutet, sondern als Notwendigkeit, um die deutsche Wirtschaft fit zu machen und die Sozialsysteme dauerhaft zu stabilisieren.

Dabei geht es zunächst einmal um Bürokratieabbau: Die bislang übliche Vorrangprüfung für Maschinenbau-, Fahrzeugbau- und Elektroingenieure sowie für Ärzte entfällt: künftig wird nicht mehr nach einem hier lebenden Bewerber gefahndet, bevor ein Bewerber aus einem Nicht-EU-Land eingestellt werden kann. Zudem soll das bislang für Ausländer nachzuweisende Mindesteinkommen in Höhe von mehr als 60.000 Euro – ohnehin wahnwitzig hoch angesetzt - gesenkt werden. Zwei Maßnahmen, die in die richtige Richtung weisen, um von der deutschen Trutzburghaltung wegzukommen, die den Umgang mit Zuwanderern hierzulande prägt. Tenor: Geschlossene Gesellschaft - bitte draußen bleiben!

Doch auch im Inland bleibt viel zu tun, um dem Bedarf der Wirtschaft an qualifizierten Mitarbeitern langfristig zu decken. Und auch hier offenbaren sich jahrzehntelange Versäumnisse: So wurden die Potentiale hier lebender ausländischer Akademiker und Fachkräfte bis jetzt systematisch missachtet. Während andere Länder den Kampf um die besten Köpfe auf internationaler Ebene mit großer Professionalität führen und Menschen mit Talent und Potential gezielt anwerben, wurden ihnen in Deutschland jahrelang Steine in den Weg gelegt: Die deutsche Arbeitsbürokratie verwehrte eben jenen Gutausgebildeten systematisch die Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse. Laut einer Studie der Uni Oldenburg leben hierzulande rund 500.000 ausländische Akademiker, die in den Statistiken als minder qualifiziert geführt werden. Und so ist es wenig verwunderlich, dass sich Ingenieure als Taxifahrer, Handwerker als Kellner verdingten, während die Wirtschaft händeringend nach geeigneten Bewerbern mit eben jenen Qualifikationen sucht. Es ist vor allen Dingen dieses Paradoxon deutscher Zuwanderungspolitik, das es aufzulösen gilt, will man künftig auf dem weltweiten Bewerbermarkt für Fachkräfte mithalten.

Schuld an der Misere ist zweifelsohne nicht nur die Politik, auch die Unternehmen selbst steuerten lange in die falsche Richtung: Deutsche Manager präferieren bis heute eine ostentativ eindimensionale Unternehmenskultur, ihre Auswahlkriterien lassen sich auf die knappe Formel bringen: Weiß, männlich, jung-dynamisch. Ältere Mitarbeiter, Frauen, Behinderte oder Menschen aus anderen Kulturkreisen gelten eher als Problem- oder Störfälle denn als wertgeschätzte Akteure in einem Chancengleichheit gewährenden Arbeitsumfeld.

Vor allem im Gender-Bereich präsentiert sich Deutschland als entwicklungspolitische Sonderzone. Vor wenigen Tagen erst mahnte die EU-Kommission an, dass Berlin aus Wettbewerbsgründen dafür Sorge tragen müsse, Frauen im beruflichen Alltag stärker einzubinden. Gerade einmal zwei Prozent der deutschen Vorstände sind weiblich, damit landet das Land im Kreis der führenden Industriestaaten auf dem letzten Platz - gleichauf mit Indien, das nicht eben für sein durchlässiges Gesellschaftssystem bekannt ist. Vor dem Hintergrund einer stetig alternden Bevölkerung ist diese Dominanz männlich-homogener Herrenriegen jedenfalls kaum mehr zukunftsweisend.

Studien belegen zweifelsfrei, dass gemischte Topmanagements im Branchenvergleich bessere Ergebnisse erzielen – warum also das Beharren auf unterlegenen männlichen Monokulturen?  Immerhin, einige wenige habe die Zeichen der Zeit erkannt. Telekom-Chef Rene Obermann etwa sieht in der Frauenförderung nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe, sondern auch ein notwendiges Mittel zum Erfolg des Unternehmens. Als erster DAX-Konzern führte die Telekom vor wenigen Wochen freiwillig eine interne Frauenquote ein – der Rest reagiert mit schroffer Ablehnung.

Und auch andere Gruppen wurden bislang sträflich vernachlässigt: Infolge des Jugendwahns, der lange als Leitbild auf deutschen Chefetagen grassierte, wurden ältere und erfahrene Mitarbeiter wie lästige Altlasten entsorgt. Behinderte wurden oft gar nicht - oder weit unter ihren Fähigkeiten - eingestellt. In Zeiten des demographischen Wandels, in Zeiten, in denen die Verknappung qualifizierter Mitarbeiter voranschreitet, ist diese geistige Verengung nicht nur von vorgestern, sie stellt zunehmend ein Hemmnis für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes dar.

Um die betonierte deutsche Unternehmenskultur aufzumischen und den neuen Erfordernissen anzupassen, empfiehlt sich ein Management-Prinzip, das Antworten gibt auf demographischen Wandel und den Prozess der alternden Gesellschaft: Diversity Management heißt das Zauberwort, ein Ansatz der Unternehmensführung, der Anfang der 1980er Jahre bereits in den USA diskutiert wurde. Diversity setzt sich zum Ziel, die Bandbreite von Vielfalt einer Gesellschaft (Geschlecht, Alter, ethnischer und kultureller oder auch sexueller Prägung) einzubinden und für alle nutzbar zu machen. Voraussetzung ist eine wertschätzende, offene Arbeitsatmosphäre, in der Unterschiede jeglicher Art als Bereicherung angesehen werden. Vielfalt richtig gemanagt, so der Diversity-Unternehmensberater und Buchautor Michael Stuber, bringe einen allumfassenden Mehrwert. „Es ergibt sich eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.“

Dabei geht es keineswegs um karitative Fürsorge für Minderheitengruppen, es geht vielmehr um klar definierte wirtschaftliche Ziele. Nur wenn sich im Unternehmen oder in einer Organisation die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegelt, so die Erkenntnis, lässt sich langfristig erfolgreicher wirtschaften. Diversity Management, das belegen dutzende internationale Studien, kann Umsatz und Firmenwert steigern. Es trägt zudem dazu bei, das Image eines Unternehmens zu verbessern und erleichtert auf diese Weise die Rekrutierung qualifizierter Mitarbeiter. Gerade in einem gesellschaftlichen Kontext, in dem das Buhlen um qualifizierte Köpfe an Bedeutung zunimmt, können sich Unternehmen mit Diversity-Ansatz als attraktive Arbeitgeber präsentieren.

Neben dem Kölner Autobauer Ford haben Deutsche Bank, Daimler, die Commerzbank, Telekom und BP – um nur einige zu nennen - das Diversity-Konzept  für sich entdeckt, aber auch Städte wie Köln und Stuttgart wollen erklärtermaßen Vielfalt gewinnbringend nutzen. Die 2006 lancierte „Charta der Vielfalt“, eine Absichtserklärung, die auch von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung unterstützt wird, haben bereits mehr als 1000 Unternehmen und einige Kommunen unterschrieben. Dennoch ist das Vielfaltsprinzip noch weit davon entfernt, gängige Praxis zu werden.

Wer Fachkräftemangel beklagt, sollte daher zunächst einmal kritisch die eigene Unternehmenskultur hinterfragen. Die Ära männlicher Monokultur jedenfalls gehört beendet. Vielfalt lautet das Mantra der Zukunft - und der Schlüssel zum Erfolg. Nicht öde Einfalt.

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