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(picture alliance) Prunkstück auf Island: In der Hallgrimskirche in Reykjavik steht eine 72-Register-Orgel des Bonner Orgelbauers Hans Gerd Klais

Familienbetrieb Klais - Bonns Orgeln spielen in der Weltklasse

Die Familie Klais betreibt in der Bonner Altstadt eine der bekanntesten Orgelmanufakturen der Welt. Klais-Instrumente sind etwa im Kölner Dom oder in den Petronas-Türmen in Kuala Lumpur zu hören

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Auf die Frage nach seiner Lieblingsorgel antwortet Philipp Klais, Orgelbauer in vierter Generation, mit einer Geschichte von seinem Vater. Als der sich einst um einen Auftrag in Australien bemühte, stellten ihm die Vertreter der Bezirksregierung in Brisbane ebenfalls die Frage nach seiner Lieblingsorgel. Klais senior war des Englischen nur bedingt mächtig und brauchte daher etwas länger fürs Formulieren seiner Antwort: „Ich habe drei Kinder.“ Schweigen im Raum. Jeder dachte, er habe die Frage nicht verstanden. Doch dann fuhr er fort: „Ich könnte Ihnen auch nicht sagen, welches davon ich am liebsten mag.“

Die Anekdote verrät viel über die Familie Klais, die seit 1882 in der Bonner Altstadt eine der bekanntesten Orgelmanufakturen der Welt betreibt. Denn zum einen haben die Instrumente fast den Status von Familienmitgliedern. Zum anderen ist die Geschichte ein Beleg dafür, dass das mittelständische Unternehmen sich schon frühzeitig international um Aufträge bemühte.

Das Orgelprojekt in Australien hat aber auch für Philipp Klais persönlich eine große Bedeutung. Er, der bei jeder Gelegenheit verkündet hatte, er wolle nicht ins Familiengeschäft, bekam vom Vater direkt nach dem Abitur das Angebot, für den Auftrag ein Jahr nach Down Under zu gehen. Er schlug ein, und nach den zwölf Monaten wollte Philipp Klais beruflich nie wieder etwas anderes machen als Orgeln bauen. Seit 1995 ist er nun der Chef des Orgelbauunternehmens Johannes Klais, das nach dem Gründer, Philipps Urgroßvater, benannt ist. Er beschäftigt 65 Mitarbeiter und erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von sechs Millionen Euro. Unauffällig residiert der Betrieb hinter einer alten Backsteinfassade. Dahinter produzieren Klais und seine Mitarbeiter die Einzelstücke für Kirchen und Konzertsäle in der ganzen Welt, „alles aus einer Hand“, wie der Chef betont.

Es ist die Reputation des Namen Klais, die Vater, Großvater und Urgroßvater sich erarbeitet haben, von denen das Unternehmen bis heute profitiert. Klais-Orgeln finden sich unter anderem im Kölner Dom, in der Abteikirche in der englischen Stadt Bath, in der Kyoto Symphony Hall, im Konzertsaal der Petronas-Türme in Kuala Lumpur und im Nationaltheater von Peking.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was eine solche Orgel kostet.

Die Königin der Instrumente hat ihren Preis, gerade wenn sie von Spezialisten in Deutschland gefertigt wird. „Ohne unsere Mitarbeiter wären wir nichts“, sagt Klais. Seine Orgeln kosten zwischen 60.000 und drei Millionen Euro. Jedes Jahr bauen sie drei bis vier neue, was etwa 60 Prozent des Auftragsvolumens ausmacht. Der Rest sind Restaurierungen, Wartung und Pflege. Viel entscheidender sind jedoch zwei andere Prozentzahlen: „Früher waren 80 Prozent einer Orgel Materialkosten und 20 Prozent Lohnkosten. Heute ist es umgekehrt.“ Das macht das Nischengeschäft Orgelbau nicht einfacher. Klais würde sich auch nicht als erfolgreich bezeichnen: „Ich fahre keinen Porsche. Erfolg hieße doch, dass uns die Leute anrufen und direkt beauftragen, oder?“ Er kämpft um jeden Auftrag. Jede verlorene Ausschreibung, jeder nicht gewonnene Wettbewerb schmerzt. Manchmal wünscht er sich, alles wäre ein bisschen unkomplizierter. „Aber dann würde ich mich vielleicht langweilen.“ Statt sich zu langweilen, reist er um die Welt, fliegt nach London, in den Oman, nach Caracas. Er spricht Englisch und Französisch fließend, versteht auch Spanisch, hat eine offene, herzliche und sehr diplomatische Art. Das ist wichtig, denn die Hälfte des Jahres ist er unterwegs.

Das Material ist dasselbe wie zu Urgroßvaters Zeiten, und so ist die Geschichte von Klais auch eine der richtigen Rohstoffe: Holz von Eichen und Fichten, Zinn für die Pfeifen, Leder für die Blasebalge im Inneren der Orgel. Selbst der Kleber ist der gleiche wie vor 130 Jahren, Leim aus Rinderknochen. Der hält am längsten, kann aber jederzeit mit Wärme wieder aufgeweicht werden. Das Holz lässt Klais in den rheinischen Wäldern schlagen, bei abnehmendem Mond. Dann tragen die Stämme am wenigsten Flüssigkeit in sich. Das ist wichtig, weil Flüssigkeit die Holzwürmer anlockt. Es sind jahrhundertealte Bäume, aufgestapelt liegen sie bis zu zehn Jahre im Hinterhof-Holzlager – falls sich die Aufträge eines Tages überschlagen, soll genügend Material da sein.

In der Werkstatt stehen die Holzschneidemaschinen. Früher liefen sie mit Dampf, heute mit Strom. Die Computer sind daneben beinahe das Einzige, das es zur Zeit des Urgroßvaters noch nicht gab. An den Rechnern arbeiten die Orgelbauer mit dem Entwurfprogramm CAD, das auch Architekten und Ingenieure nutzen.

Auf einer Werkbank liegt ein Teil einer alten Orgel aus England, die gerade restauriert wird. Kleine Plastikscharniere sind in die Holzwinkel eingearbeitet, Klais betrachtet sie genau. „Das Plastik verändert sich nicht, das Holz arbeitet. Irgendwann bricht so was auseinander.“ Das ist auch hier passiert. „Viele Reparaturen hängen mit Kunststoffen zusammen, die wir entfernen müssen“, sagt er.

Lesen Sie, wie genau Klais die Instrumente baut.

Ein Stockwerk höher hängen Känguru-Häute aus Australien über Holzstangen. „Die nehmen wir für Orgeln in klimatisierten, trockenen Räumen. Sie vertragen das besser als Schafs- oder Ziegenleder“, erklärt Klais. Dann spricht er mit einem seiner Handwerker über den Spieltisch, an dem dieser gerade die Scharniere festdreht. Der Spieltisch ist der Platz des Organisten mit den Tastaturen und Fußpedalen, für viele Kirchen- und Konzertbesucher bleibt er unsichtbar. Doch genau dort zieht der Orgelspieler alle Register, aktiviert also die Pfeifenreihen, indem er Knäufe an Stangen, die Registerzüge, herauszieht und so der Orgel einen neuen Klang verleiht.

Jede der Klais-Orgeln ist ein Unikat, speziell für den Raum gefertigt, in dem sie erklingt. „Die Orgel ist ein Instrument für alle, nicht nur für einen kleinen, spezialisierten Kreis von Hörern“, meint Klais. Das gilt vor allem für Kirchenorgeln. „Unsere Instrumente breiten einen Klangteppich im Gottesdienst aus, der den Menschen das Gefühl gibt, mitsingen zu können. Auch wenn ihre eigenen Stimmen nicht ganz perfekt sind.“ Wenn Menschen zusammen singen, entstehe dieses „unglaubliche Gemeinschaftsgefühl“, findet Klais.

„Unglaublich“ ist eines seiner Lieblingsworte. Wer Klais zuhört, wie er außergewöhnliche Konzertsäle, mittelalterliche Kirchenschiffe und die dazu passend entworfenen Orgeln beschreibt, bekommt einen Eindruck davon, wie es ihm gelingt, Ausschreibungen und Wettbewerbe allein mit seiner Überzeugungskraft zu gewinnen. Selbst wenn es die Konzertsäle, in denen das Rieseninstrument einmal stehen soll, noch gar nicht gibt – wie die Elbphilharmonie in Hamburg. Er muss dann selbst alle Register ziehen, denn: „Mit unseren Preisen können wir niemanden unterbieten.“

Klais hat den Anspruch, jeder seiner Orgeln ihren eigenen Klang zu verleihen: „Jede Sprache hat ihre Nuancen, ihre Besonderheiten. Die versuchen wir in die Orgeln einzubauen.“ Damit eine Orgel in Frankreich französischer klingt als eine spanische oder eine chinesische. Denn die Sprache beeinflusst auch die Hörgewohnheiten der Menschen. In der Orgel für den neuen Konzertsaal in Buenos Aires werden daher bald Panflöten-Pfeifen ertönen, allerdings mit bönnschem Akzent. Allen Instrumenten aus der Kölnstraße in Bonn gemein sei nämlich die rheinische Klangfarbe, „dieser sehr starke, alle Silben miteinander verbindende rheinische Singsang“, sagt Klais. Der würde den Charme der Klais-Orgeln ausmachen.

Welches seiner vier Kinder die Tradition fortführen wird, steht noch nicht fest. Aber eigentlich fühlt sich Philipp Klais auch noch zu jung, um darüber zu spekulieren.

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