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Bierdeckelprofessor - Paul Kirchhofs krude Thesen

Die Aussicht auf die Große Koalition löst vielleicht keine Euphorie aus, aber das hängt immer vom Vergleichsmaßstab ab. Paul Kirchhof, der auch mal Mitglied einer GroKo werden wollte, zeigte mit einem Interview diese Woche, dass uns mit seinem vorzeitigen Rückzug einiges erspart geblieben ist

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Til Knipper leitet das Cicero-Ressort Kapital. Vorher arbeitete er als Finanzredakteur beim Handelsblatt.

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Die Wahl ist jetzt immerhin schon fast drei Monate her und ab Sonntag wissen wir dann vielleicht endlich, welche Koalition uns in den kommenden Jahren regiert und welche Minister am Kabinettstisch sitzen werden.

Einer, der sich mal als Finanzminister an den Kabinettstisch setzen wollte, Paul Kirchhof, hat sich diese Woche mit einem Interview im Handelsblatt zu Wort gemeldet. Vielleicht ist es eine erneute Bewerbung Kirchhofs, nachdem er als Mitglied von Merkels Kompetenzteam 2005 auf den Eintritt in die Große Koalition verzichtet hatte, weil ihn der damalige Kanzler Gerhard Schröder despektierlich als „Professor aus Heidelberg“ bezeichnet hatte. Seine radikalen Pläne für eine Steuerreform taten ihr übriges.

Liest man seine Äußerungen im Handelsblatt unter der düsteren Überschrift „Wir fahren gegen die Wand“, kann man im Nachhinein nur froh sein, dass Kirchhof nie den Job des Finanzministers übernommen hat. Er sagt allen Ernstes, dass Staaten grundsätzlich keine Schulden machen sollen. Begründung: „Der Staat ist kein Unternehmer, der sich das Geliehene über erfolgreiche Investitionen wieder hereinholt.“ Nicht doch, lieber Herr Kirchhof, der Staat muss investieren – in die Infrastruktur. Dafür muss er auch Schulden machen dürfen. Bildung, Straßen, Schienennetz, all das will finanziert werden. Eine gute Infrastruktur fördert die Wirtschaft und der Staat kann so „erfolgreiche Investitionen“ über höhere Steuereinnahmen wieder hereinholen. Weiteres Stichwort: Stabilisierung der Konjunktur in Krisenzeiten durch staatliche Investitionen.

Diese Erkenntnisse passten doch sogar auf einen Bierdeckel, Herr Professor. Auch das von ihm immer wieder angeführte Argument mit der Generationengerechtigkeit stimmt nicht: Auch unsere Nachkommen freuen sich, wenn wir jetzt für sie Flughäfen, Schulen, Universitäten, Bahnhöfe, Theater bauen. Wäre es wirklich besser, Ihnen ein Land zu übergeben, in dem sich ein längerer Investitionsstau gebildet hat?

Noch erratischer sind seine Ansichten zur Europäischen Zentralbank und den Folgen von deren Niedrigzinspolitik. „Das Verfassungsrecht verspricht jedem Bürger, dass ihm sein Finanzkapital – 50000 Euro, 100.000 Euro – jährlich einen Ertrag erbringt.“ Dieses Versprechen werde nicht mehr erfüllt, die EZB schaffe damit eine Kernidee des Privateigentums ab. Leider erwähnt der Verfassungsrechtler Kirchhof nicht, in welchem Artikel des Grundgesetzes die Renditegarantie formuliert ist. Wie hoch ist denn der verfassungsrechtlich abgesicherte Ertragsanspruch, möchte man da eigentlich sofort wissen. Und: Heißt das dann im Umkehrschluss, dass Bargeld verfassungswidrig ist, weil es im Portemonnaie oder unter der Matratze keine Rendite abwirft?

Für die Lösung der Eurokrise hat Kirchhof auch einen guten Vorschlag parat: Einfach wieder die Maastrichtkriterien einhalten, dann wird alles gut. Und erwähnte ich schon, wie er das Scheitern des Steuerabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz vor einem Jahr einschätzt? Als „fundamentales Unglück“.

Fazit: Freuen wir uns vier weitere Jahre mit Wolfgang Schäuble.

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