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(picture alliance) „Griechenland leidet unter einem zu teuren und starken Euro“, sagt Henkel. Jetzt soll das Volk, im Bild bei Protesten gegen den Sparkurs, bald in einem Referendum über den Euro-Kurs der Regierung abstimmen.

Euro-Krise - „Banken verstaatlichen, Nordeuro gründen!“

Der frühere Lautsprecher der Industrie präsentiert sich heute als Totengräber des Euro: Hans-Olaf Henkel spricht mit CICERO ONLINE über die Aufspaltung des Euro und über deutsche Lungenentzündung durch griechischen Husten. Vom G-20-Gipfel erwartet er eine stärkere Regulierung der Banken – und notfalls deren Verstaatlichung

 Hans-Olaf Henkel (71) war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Im vergangenen Jahr warnte er in dem Buch „Rettet unser Geld“ vor einem Zusammenbruch des Euro. Henkel ist Honorarprofessor am Lehrstuhl Internationales Management der Universität Mannheim.

Herr Henkel, Sie sind im Investmentbanking Berater für die Bank of America. Wurmt es Sie, dass die Banken jetzt bluten sollen, weil sie auf der Hälfte ihrer griechischen Forderungen sitzen bleiben?
Meine Position hat mit meiner Beiratstätigkeit für die Bank of America überhaupt nichts zu tun. Ich bin in sechs Aufsichtsräten – ich spreche nicht für Bayer Leverkusen, ich spreche auch nicht für Conti oder Ringier, die ja den Cicero herausgeben. Ich spreche nur für mich.

Gut. Als Hans-Olaf Henkel, wurmt es Sie, dass die Banken jetzt bluten sollen?
Überhaupt nicht. Das hätte man schon längst machen müssen. Wobei es nicht die deutschen, sondern die französischen Banken sind, die auf der Kippe stehen. Ich halte auch eine Erhöhung des Eigenkapitals der Banken für völlig richtig – und, wenn nötig, sogar eine Verstaatlichung von Banken. Das wäre in Frankreich bitter nötig. In Deutschland dagegen ist die Mehrheit der Banken bereits in staatlicher Hand: Landesbanken, die Hypo Real Estate. Wenn hier Banken bluten, heißt das nichts weiter als dass der Steuerzahler dafür aufkommen muss.

Also haben die Linken doch recht: Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisiert?
Das ist Unsinn. Die Gewinne, die die Landesbanken – West LB, Bayern LB und so weiter – damals gemacht haben, flossen auch dem Staat zu. Also werden jetzt auch ihre Verluste der Allgemeinheit anzurechnen sein.

Auf dem Euro-Gipfel vor einer Woche wurde beschlossen, den Euro-Rettungsschirm EFSF effektiver einzusetzen und auf mindestens eine Billion zu hebeln. Das wären 3.000 Euro für jeden Bewohner eines Eurolandes. Wie ist Ihnen da zumute?
Ich halte diese ganze Veranstaltung für extrem unverantwortlich. Was die Regierung gern unter den Teppich kehrt, ist, dass nicht nur der Betrag, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass das ganze Geld bald futsch ist, fünfmal so hoch ist wie vorher. Fakt ist: Nach diesem Haircut, diesem Haarschnitt, wird Griechenland wieder zum Friseur müssen.

Warum?
In der Geschichte gab es über 100 Staatsumschuldungen – die letzten in Russland und Argentinien. Doch noch nie gab es einen einzigen Fall, wo eine solche Umschuldung ohne eine gleichzeitige Abwertung der Währung erfolgreich gewesen wäre. Mit dem Euro als Einheitswährung ist das aber unmöglich.

Was schlagen Sie vor? Eine neue Perücke für Griechenland?
Ich habe gerade wieder ein paar Tage in Griechenland verbracht, an sechs verschiedenen Orten, um mir das selbst mal anzusehen. Das Land leidet unter einem zu teuren und starken Euro. In irgendeinem gottverlassenen Nest sind sie für drei Tassen Kaffee schnell mal eben 10 Euro los. Ich glaube, dass eine Entschuldung Griechenlands nichts nützt.

Ihr Vorschlag also? Griechenland aus der Eurozone rauswerfen?
Nun, Plan A wäre weiterzumachen wie bisher. Plan B wäre tatsächlich der Rauswurf, zumal sich Griechenland die Mitgliedschaft in unserem Club unter Vorgabe falscher Tatsachen erschlichen hat. Aber ich halte das für extrem gefährlich, weil vielleicht schon am nächsten Tag die Banken in Lissabon und Rom gestürmt werden könnten. Dieser Weg führt weiter in die Schuldenunion, die die Regierung im Übrigen „Stabilitätsunion“ nennt – ein Etikettenschwindel ohne Gleichen. Plan C ist, dass Deutschland zusammen mit Holland, Finnland und Österreich rausgeht und den Euro da lässt, wo er ist. Der Euro kann damit so weitergeführt werden, wie sich das die Spanier, Griechen und Franzosen gern wünschen. Und wir machen eine eigene Währung mit weniger Inflation. Dieses Szenario hat auch Risiken, sowohl für den Norden als auch für den Süden. Aber sie umschifft das Problem des Chaos in Alternative B.

Das ist ein Vorschlag aus Ihrem Buch – Sie plädieren für eine Aufspaltung der Eurozone in einen Nord- und einen Südeuro.
Das Buch erschien vor 15 Monaten, gleich zu Beginn wurde es marginalisiert, ignoriert, bekämpft, lächerlich gemacht. Ich habe eine Diagnose sowie eine Prognose erstellt und eine Therapie vorgeschlagen. Mittlerweile folgen mir die Wirtschaftsredaktionen in den Zeitungen ohne Ausnahme – sowohl in der Diagnose als auch in der Prognose, noch nicht in der Therapie. Aber warten wir mal ab. Wenn Griechenland früher Lungenentzündung hatte, hätten wir nicht mal gehustet. Heute hustet Griechenland und wir kriegen Lungenentzündung. Noch schlimmer: Die portugiesischen und italienischen Politiker sehen, dass es viel einfacher ist, sich umschulden zu lassen, als sich beim Wähler durch Reformen unbeliebt zu machen.

Griechenland mutet sich gerade das härteste Sparpaket, das je in einem westlichen Land seit Kriegsende aufgelegt wurde, zu. Beamte werden entlassen, Gehälter und Renten drastisch gekürzt…
Das ist richtig. Und die griechische Wirtschaft schrumpft, die Steuereinnahmen versiegen, die Arbeitslosigkeit steigt. Das alles passiert, weil man eine interne Abwertung, so wie sie die griechische Regierung jetzt plant, nicht hinbekommt. Wie ich schon sagte: Es hat noch nie eine Umschuldung ohne eine externe Abwertung gegeben. Das Land wird ohne Abwertung aus diesem Teufelskreis nicht herauskommen.
Nehmen Sie das Beispiel Türkei: Beide Länder hatten zum Zeitpunkt der Euro-Einführung ähnliche Bedingungen. Während der Euro Griechenland zu einer gewaltigen Schuldenorgie verleitet hat, baut die Türkei Schulden ab, liegt das Wachstum in der Türkei in diesem Jahr bei acht Prozent. Was lernen wir daraus? Eine Einheitswährung in völlig unterschiedlichen wirtschaftlichen und finanziellen Kulturen, wie zum Beispiel in Deutschland und Griechenland, kann nicht funktionieren.

Das ist jetzt aber ein bisschen sehr pessimistisch, oder?
Realistisch! Vor der Krise war Deutschland das beliebteste Land in Griechenland. Heute sind wir dort die am meisten verhasste Nation. Der Riss in Europa vergrößert sich, durch den Euro!

Lesen Sie auf der nächsten Seite Henkels Vorschläge zum G20-Gipfel.

Merkel sagte immer: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“
Es ist unverantwortlich, so etwas zu sagen. Stellen Sie sich mal vor, der Euro scheitert, was sagt sie uns dann? Außerdem besteht Europa nicht nur aus den 17 Euroländern, sondern aus 51 Ländern, selbst die EU hat 27 Mitgliedsstaaten.

Was sollte beim G-20-Gipfel getan werden?
Erstens, dass man mal mit der Regulierung der Finanzmärkte Ernst macht. Wenn beispielsweise eine Bank „too big to fail“ ist, dann ist sie „too big“, also zu groß. Wir dürfen nicht länger hinnehmen, dass Banken den Rest der Gesellschaft erpressen können, nur weil sie zu groß sind. Zweitens, wir brauchen eine realistische Bewertung der Bestände in den Banken, mit der Umschuldung in Griechenland beginnt das endlich. Drittens, um das Umkippen dieser Banken zu verhindern, eine Rekapitalisierung aufgrund der neuen Bewertung.

Was heißt das?
In einigen Fällen sollte man Banken verstaatlichen, so lange, bis sie irgendwann wieder in einer vernünftigen Größe an den Markt gebracht werden können. Das hat Schweden gemacht; das haben auch die USA bei der Bewältigung ihrer Savings and Loans Bank crisis vor 30 Jahren gemacht. In beiden Fällen konnte der Staat die Banken wieder privatisieren, sogar mit Gewinnen.

Ihr früheres Arbeitsfeld, die Industrie, profitiert von der Eurokrise doch am meisten: Laut Herbstgutachten und Konjunkturprognose der Bundesregierung geht es ihr hervorragend.
Natürlich liebt die deutsche Exportindustrie einen schwachen Euro. Doch Südeuropa leidet darunter! Was ist denn das für Exportförderungsprogramm, wenn der Industrielle leichter exportiert und der deutsche Steuerzahler und seine Kinder für die Folgen dieser Politik in anderen Ländern haften, bürgen und zahlen müssen – das ist doch absurd!

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was an dem Gerücht einer Parteigründung durch Henkel dran ist.

Sie sehen sich also als der bessere Europäer, weil sie mit dem Vorschlag einer Drosselung des deutschen Exportes die Solidarität mit dem Süden fördern möchten?
Langfristig ist es besser für die deutsche Industrie, wenn wir eine starke Währung haben. Als wir die D-Mark hatten, haben wir 17 Aufwertungen verkraftet. Auch der Aufwertungsdruck auf die deutsche Industrie hat sie immer zu besonderen Leistungen gezwungen. Dieser Druck ist jetzt teilweise weg. Langfristig führt ein schwacher Euro dazu, dass wir und unsere Kinder für die Folgen unserer Exportstärke im Süden in Haftung genommen werden.

In den vergangenen Wochen wurde immer wieder spekuliert, dass Sie eine eigene, eurokritische Partei gründen wollen – etwa mit Abweichlern aus der Koalition. Was ist dran an den Gerüchten?
Ich werde mich weiterhin für die Aufklärung in unserem Land einsetzen und konstruktive Vorschläge machen. Dazu gehören meine Vorlesungen an der Uni Mannheim, genau so wie Interviews wie diesem, Talkshowauftritte und öffentliche Vorträge. Ich werde mich mit Sicherheit auch stark machen für die Akzeptanz der Schäffler-Initiative innerhalb der FDP. [Hinweis der Redaktion: Der Mitgliederentscheid des FDP-Abgeordneten Frank Schäffler zielt auf eine Ablehnung des permanenten Euro-Rettungsschirms ESM.] Obwohl man gerade beim Thema Euro immer wieder versucht, Leute wie ihn oder [CDU-Innenexperte Wolfgang] Bosbach, die anderer Meinung sind, zu verunglimpfen und zu bedrohen. Ich erlebe das auch selbst.

Haben Sie mit Herrn Schäffler schon gesprochen?
Sicher.

Und?
Ja was und? Er weiß, dass ich ihn unterstütze. Sollte diese Initiative aber scheitern, dann wäre es Zeit für eine neue europafreundliche, aber eurokritische Partei. Die würde ich dann auch unterstützen.

Die Welt hat Sie als den „Euro-Sarrazin“ bezeichnet. Stört Sie das?
Überhaupt nicht. Ich finde, dass Herr Sarrazin einen wichtigen und überfälligen Beitrag zur Diskussion um die Integration geleistet hat. Es wird Zeit, dass auch am Tabu „Einheitseuro“ gerüttelt wird.

Herr Henkel, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Petra Sorge

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