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Aufwertung des Franken - Die Schweiz kehrt in die geldpolitische Steinzeit zurück

Die Schweizerische Nationalbank kappt die Anbindung des Frankens an den Euro und löst ein Erdbeben aus. Eine solche Geldpolitik führte die Eidgenossen in der Vergangenheit in die Krise. Der stellvertretende Wirtschaftschef des Zürcher „Blick“, Andreas Schaffner, erklärt die Hintergründe

Autoreninfo

Andreas Schaffner ist stellvertretender Wirtschaftschef bei der Schweizer Tageszeitung „Blick“. Zuvor war er beim Schweizer Fernsehen SRF. Er ist Experte für Finanzen und Rohstoffhandel

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Noch vor wenigen Tagen haben die Chefs der Schweizerischen Nationalbank (SNB) beteuert, dass sie den Euro-Franken-Kurs bei 1,20 Franken verteidigen. Am Donnerstag dann die totale Kehrtwende. Die komplette Aufhebung der Stütze. Per sofort. Der Schock sitzt immer noch tief in den Knochen.

Die Reaktionen in der Finanzwelt reichen von Überraschung bis Bestürzung. Die Schweizer Börse verlor innerhalb von Minuten zehn Prozent. Seit dem Entscheid sank die Börse um 14 Prozent. Der Franken wurde gleichzeitig zwanzig Prozent teurer und notiert am Freitag Abend unter Parität.

Die Ankündigung erwischte nicht nur die Schweiz auf dem falschen Fuß. Die Deutsche Bank soll auf einen Schlag 150 Millionen Dollar verloren haben, meldet das „Wall Street Journal“.

Der Londoner Broker „Alpari“ meldete Insolvenz an, das gleiche gilt für den Neuseeländischen „Excel Markets“, so die „Financial Times“. Der New Yorker „FXM“, einer der weltweit größten Händler für Währungen, meldete, dass sein Eigenkapital die gesetzlichen Erfordernisse unterschreitet.

Die Schweizer Exportwirtschaft ist schockiert


In der Schweiz warnen Gewerkschaften vor den dramatischen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Auch Ökonomen der Konjunkturforschungsstelle BAK Basel und der UBS rechnen mit einem kleineren Wachstum in der Schweiz.

Und besonders Export-Unternehmer reagierten geschockt. Mit dem teureren Franken wird es schwieriger für sie, ihre Produkte im Ausland zu verkaufen. „Die abrupte Aufhebung des Mindestkurses ist eine Katastrophe“, sagt der Schweizer Bahnunternehmer Peter Spuhler (56), Eigentümer von Stadler Rail, in einer ersten Stellungnahme in der Zeitung Blick. „Von einem Augenblick auf den anderen werden unsere Produkte um mindestens 20 Prozent teurer. Das kann niemand in so kurzer Zeit verkraften.“ Den Unternehmen bleibe nichts anderes übrig, als Stellen ins Ausland zu verlagern, sagt Spuhler weiter.

Ähnlich tönt der charismatische Swatch-Chef Nick Hayek (60): „Was die SNB da veranstaltet, ist ein Tsunami. Sowohl für die Exportindustrie wie auch für den Tourismus und schlussendlich für die ganze Schweiz.“

Hat die SNB vor den Spekulanten kapituliert?


Drei Jahre und vier Monate lang hatte die SNB den Euro-Mindestkurs durch alle Böden verteidigt. Mehr als 500 Milliarden Franken ließ sich die SNB den Kampf gegen die Franken-Aufwertung kosten. Die große Frage bleibt daher: Warum jetzt der Ausstieg? Hat die SNB vor den Spekulanten kapituliert?

„Das war keine Panikreaktion, wir haben uns den Schritt gut überlegt“, verteidigte sich Jordan vor den Medien am Donnerstag. Als wichtigsten Grund für seinen Schritt nannte er die Erstarkung des Dollars. Dadurch sei der Franken nicht mehr so stark überbewertet.

Die Turbulenzen an der Börse seien nur vorübergehend, beruhigte er: „Die Märkte haben die Tendenz, in solchen Situationen zu überschießen. Das wird sich wieder normalisieren.“

Ganz traut aber auch Jordan der Sache nicht. Die SNB hebt die Negativzinsen auf Frankenanlagen von 0,25 auf 0,75 Prozent an. Dadurch soll die Flucht von ausländischem Kapital in den Franken gestoppt werden.

Schweizer Sparer hätten nichts zu befürchten, sagte Jordan: „Die Banken haben ein Interesse, dass ihre Kunden bei ihnen bleiben. Deshalb werden sie keine Negativzinsen auf Spareinlagen einführen.“

Für die Wirtschaft ist das ein schwacher Trost. Die meisten Verbände protestierten gegen die Maßnahme.

Ungerührt zeigte sich der Ex-Chef der Schweizer Großbank UBS, Oswald Grübel (71), einer der schärfsten Kritiker des Mindestkurses: „Die SNB musste in den letzten Wochen zu viele Euro kaufen. Die Höhe der Bilanz kam in die Nähe des Bruttoinlandprodukts. Das war die Schmerzgrenze.“

Sieg der Spekulanten


Hinter einem Großteil der Frankenkäufe in den letzten Wochen steckten Spekulanten, vermutet Grübel. Sie hätten nicht mehr an den Mindestkurs geglaubt und auf ein Ende gewettet. Nun haben sie gewonnen. Gescheitert sei die SNB aber an ihren eigenen Fehleinschätzungen, so Grübel: „Nicht die Spekulanten haben die SNB in die Knie gezwungen, sondern der zu hoch angesetzte Mindestkurs.“

Die Schweizer Exportindustrie steht heute so gut da, dass sie Subventionen nicht mehr braucht, sagten andere Kommentatoren.

Doch es kann auch sein, dass der Nationalbank-Chef etwas weiß, was in der breiten Anlegerschaft noch nicht angekommen ist. Dass Thomas Jordan deshalb den schnellen Ausstieg suchte – ja suchen musste.

Gut möglich etwa, dass es mit der Russland-Krise viel schlechter herauskommt, als es alle auf dem Radar haben. Oder dass die Europäische Zentralbank am kommenden Donnerstag den massiven Kauf von Staatsanleihen ankündigt, die ohnehin nicht mehr zu halten gewesen wären. Immerhin: Die deutsche Wirtschaft verspricht sich von dem Schritt der Schweizer Zentralbank Wachstumsschübe.

Der rechtskonservative Schweizer Vordenker der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der schwerreiche Industrielle Christoph Blocher (74), der die Einführung des Mindestkurses Anfang September 2011 öffentlich gefordert hatte, kann der jetzigen Aufhebung nicht nur Schlechtes abgewinnen: „Der starke Franken ist nicht nur ein Nachteil. Kurzfristig wird es für die Exportindustrie hart. Aber längerfristig können die Unternehmen profitieren. Denn sie können ihre Rohstoffe und Vorprodukte günstiger importieren.“

Doch auch Blocher sagt im Gespräch klar: „Ich gehe davon aus, dass die Arbeitslosigkeit - mindestens kurzfristig - steigen wird. Im Vergleich zu den siebziger Jahren werden die arbeitslosen Ausländer nicht einfach nach Hause gehen, und neue können trotzdem kommen. Die Probleme mit der Freizügigkeit werden sich daher verschärfen.“

Thomas Jordan, der seit 2012 den Titel „Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank“ trägt, wird zum Jobkiller der Schweiz gestempelt. Und zum politischen Steigbügelhalter einer Abschottungspolitik, einer Abkehr der Schweiz von Europa.

Rennaissance von Marktliberalismus und Preisstabilität?


Doch was Jordan im Subtext auch noch mitliefert, ist eine Wende in der Nationalbankpolitik. Eine Abkehr von der amerikanisch-pragmatischen Haltung der vergangenen Jahre, die unter Jordans Vorgänger, Philipp Hildebrand, Einzug hielt.

Und so wird bereits ein Rückfall in eine martkliberale Denkweise befürchtet, welche die Preisstabilität in den Vordergrund setzt. Als ob es keinen Ben Bernake an der Spitze der amerikanischen Notenbank geben würde, der die Welt mit seinen Studien über die Rezession der dreißiger Jahre vom Gegenteil überzeugen konnte und die USA mit der expansiven Geldpolitik aus dem Schlamassel holte. Als ob es keinen Mario Draghi gegeben hat, der sich an der Spitze der Europäischen Zentralbank dafür ausspricht, alles zu unternehmen, was es brauche, um den Euro zu retten und dafür diese Woche vom Europäischen Gerichtshof das Plazet erhielt.

Für die Rückkehr in die geldpolitische Steinzeit erhält die SNB von der konservativen Seite in der Schweiz viel Lob. Doch es ist genau die Politik, welche die Schweizer Wirtschaft in den 1990er Jahren in die Rezession führte, ihr innerhalb von nur acht Jahren 27 Prozent Inflation bescherte, 150.000 Arbeitsplätze kostete und nur 8,7 Prozent Wachstum ermöglichte.

Es werden deshalb Erinnerungen an dunkle Zeiten wach: In der Volksabstimmung von 1992 lehnte die Schweiz den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum ab.

Erinnerungen werden auch wach an den damaligen Nationalbank-Präsident Markus Lusser, der bald „Jobkiller“ der Nation genannt wurde. Dieser hat nach einer Immobilienkrise die Geldmarktzinsen so stark angezogen, den Franken künstlich stärker gemacht, dass die Exportwirtschaft bluten musste. „Geldpolitische Maßnahmen eignen sich nicht zur konjunkturellen Feinsteuerung der Wirtschaft“, sagte Lusser damals.

Nachklapp: 1999 hat ein gewisser Thomas J. Jordan, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter der SNB und Privatdozent an der Universität Bern als Co-Autor eines Aufsatzes, der heutige SNB-Chef also, genau vor einer Anbindung des Frankens an den Euro gewarnt. Er kommt gemeinsam mit anderen Autoren zum Schluss, dass nur mit ihrer Unabhängigkeit die Nationalbank flexibel auf wirtschaftliche Einflüsse reagieren könne. Gut möglich, dass sich Jordan diese Woche wieder an den Aufsatz von damals erinnerte.

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