Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
() Kühlturm der AKWs Isar 1 und 2 in Niederbayern
Atomkraft? Nein, danke!

Seit Monaten geistert eine Debatte über eine angebliche Renaissance der Atomkraft über den europäischen Kontinent.

Seit Monaten geistert eine Debatte über eine angebliche Renaissance der Atomkraft über den europäischen Kontinent. Einige wollen uns dabei glauben machen, dass der Ausbau der Atomenergie ein Königsweg wäre, um Energiesicherheit und zugleich Klimaschutz herzustellen. Die Stimmen der Vereinfacher werden lauter. Wo zur Auseinandersetzung über eine moderne Energiepolitik der Wille oder die Kraft fehlt, sucht man Zuflucht in der Atomkraft. Meine Position dazu ist klar: Atomkraft ist keine Lösung. Es wäre eine törichte und rückwärtsgewandte Entscheidung, neue Atomkraftwerke zu bauen oder technisch veraltete noch länger zu nutzen. Die Atomkraft ist eine gefährliche, auf lange Sicht teure und umweltschädliche Energieerzeugung, aus der wir schleunigst aussteigen müssen. Sie wird keinen entscheidenden Beitrag leisten, um die Energieprobleme unserer Welt zu lösen. Im Gegenteil: Sie schafft nur neue Probleme. Diese Großtechnologie ist anfällig gegenüber Störungen, wie wir sie immer wieder erlebt haben – und dies keineswegs nur in Ländern mit geringer technologischer Erfahrung. Zudem sind Atomkraftwerke in Zeiten des internationalen Terrorismus ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Vor allem aber schafft die globale Nutzung von Atomkraftwerken eine Infrastruktur, die als Basis für den Bau von Atombomben dienen kann, wie wir es in den Konflikten in Nordkorea und Iran, in Indien und Pakistan erleben. Wir sollten auch nicht vergessen, dass der Rohstoff Uran endlich ist und wir zu 100 Prozent vom Import abhängig sind. Die Endlagerung des radioaktiven Mülls über schätzungsweise eine Million Jahre ist technisch aufwendig, sehr kostenintensiv, ökologisch schwierig und eine gewaltige Erblast für alle zukünftigen Generationen. Falsch ist auch die Behauptung, die Atomkraftwerke seien notwendig zum Klimaschutz. Ohne Zweifel: Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen für die internationale Staatengemeinschaft. Der aktuelle von den Vereinten Nationen vorgelegte Klimabericht macht es deutlich: Wenn wir nicht gegensteuern, dann können sich die globalen Klimaverhältnisse so verändern, dass sie unkontrollierbar werden. Elf der letzten zwölf Jahre waren die wärmsten, seit es Aufzeichnungen über die globale Temperatur gibt. In diesem Jahrhundert kann sich die Temperatur im globalen Durchschnitt um bis zu 5,8 Grad Celsius erwärmen. Das Meereis in der Arktis geht jährlich um acht Prozent zurück. Der Meeresspiegel steigt Jahr um Jahr und bedroht Millionen Menschen, die an Küsten oder auf Inseln leben. Der Zugang zur wichtigsten Lebensressource – Wasser – wird durch den Klimawandel für Milliarden Menschen gefährdet. Wir brauchen eine nachhaltige Ener­giepolitik, die natürliche Ressourcen schont und uns unabhängiger macht von Öl, Gas und Uran. Denn es darf beim Klimaschutz nicht um einen einfachen Austausch von Energieträgern gehen, sondern um eine Strategie, wie wir Energie einsparen und die erneuerbaren Energien ausbauen können. Die Atomenergie ist eine der ineffizientesten Formen der Energieumwandlung. Klimaschutz verlangt das Gegenteil, nämlich die Ausschöpfung aller Einsparpotenziale. Die Alternative kann nur lauten: Wir müssen auf Energiequellen wie Wind, Wasser, Sonne und Biomasse, Energieeinsparung und Energieeffizienz setzen, und nicht auf Atomkraft. Ich kann meiner Partei nur dringend raten, in dieser Frage standhaft zu bleiben. Wenn wir über Energiesicherheit sprechen, müssen wir in Deutschland, in Europa ebenso, darauf achten, dass wir Energie aus möglichst vielen Ländern beziehen, um eine große Unabhängigkeit zu erreichen. Dies betrifft sowohl die Förderung, also die Weltgegenden, aus denen wir Energie importieren, als auch die Transportwege. Auch wenn wir die Anstrengungen bei Energieeffizienz und erneuerbaren Ener­gien verstärken, werden wir in Europa auf Jahrzehnte vom Import fossiler Energieträger abhängig sein. Die Frage wird sein: Wer wird verlässlich und langfristig in der Lage sein, diesen Bedarf zu decken? Für Öl und Gas sind dies außerhalb Europas der Nahe und Mittlere Osten, Afrika und Russland. Wer über Verlässlichkeit in der Energieversorgung debattiert, muss auch über die Stabilität in den Lieferregionen sprechen. Vor diesem Hintergrund habe ich der europäisch-russischen Energiepartnerschaft schon immer eine besondere Bedeutung beigemessen, da Russland seit Jahrzehnten die stabilste Lieferregion ist. Auf der anderen Seite sollten wir Europäer uns klarmachen, dass wir wegen der erhöhten weltweiten Nachfrage in einem harten Konkurrenzkampf um Energieressourcen stehen. Wir Europäer müssen unsere Interessen vor allem in unserem Verhältnis zu Russland, zu den Ländern in der Region des Nahen und Mittleren Ostens und in Afrika wahren. Auch die Frage der Energiesicherheit spricht also für eine verstärkte Nutzung der „heimischen“ Energie aus Wasser, Sonne, Wind und Biomasse. Die Herausforderungen sind immens. Wir können sie aber bewältigen, wenn wir jetzt die Weichen richtig stellen. Wenn wir nicht auf Kosten der nachfolgenden Generationen leben wollen, dann müssen wir jetzt umsteuern. Heute können wir noch unter den aktuellen Klimabedingungen existieren. Für unsere Kinder und deren Kinder wird es schwieriger und sie haben keine Alternative. Sie können nicht auf einen anderen Planeten umziehen. Deshalb gilt es, bereits heute eine nachhaltige Energiepolitik zu betreiben. Da Atomkraft nicht nachhaltig ist, müssen wir den Ausstieg aus dieser Energiequelle fortsetzen – in Deutschland, in Europa und darüber hinaus, damit die Erde auch unseren Kindern und Kindeskindern eine sichere und lebenswerte Heimat bleibt. Gerhard Schröder ist Bundeskanzler a.D.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.