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Apple auf allen Kanälen - Es reicht!

Apple hat eine Uhr vorgestellt – und der deutsche Journalismus überbietet sich mit Lobeshymnen und quasireligiösem Tamtam für das Produkt, das auch Schattenseiten hat. Journalisten sollten sich jedoch nicht zum Büttel des Unternehmens machen und nicht seiner Marketingabteilung die Arbeit abnehmen. Es reicht mit der Apple-Huldigung!

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Ein kalifornischer Elektronikkonzern stellt eine Uhr vor. Diese trägt man erstaunlicherweise am Handgelenk, und erstaunlicherweise hat sie eine Verbindung zum Internet, kann den Puls messen, das Wetter anzeigen und auf datentechnischen Pfaden Geldströme lenken. Es ist ein Multifunktionsgerät, das seinem Verkäufer und Entwickler, besagtem Multimilliardenkonzern, gewiss einen ordentlichen Reibach bescheren wird. So funktioniert Marktwirtschaft. Journalismus sollte nicht so funktionieren, und darum sind die derzeitigen „Apple“-Festspiele auf allen Kanälen peinlich, nervig, degoutant. Es reicht.

Journalisten blumiger als die Werbetexter von Apple


Sage und schreibe neun Beiträge (mittlerweile sind es deren sechs) bot heute Morgen die Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf, um ihrer vermutlich kaufkräftigen Kundschaft die kalifornischen Neuigkeiten näherzubringen. Nirgends stand der sonst übliche Hinweis, es handele sich um eine Anzeigensonderveröffentlichung. Im „heute-journal“ gestern war der Chef des Unternehmens, Herr Cook, im nachtblauen Oberhemd zu bewundern, wie er für seine Firma warb. Nirgends sah ich die Zeile von der „Dauerwerbesendung“. Es handele sich, sagte die Nachrichtensprecherin, um eine „lang erwartete Produktpräsentation“. Ich zum Beispiel habe sie weder erwartet noch herbeigesehnt, noch habe ich eine Antenne für den glückstrunkenen Zungenschlag, mit dem die „Apple“-Verkäufer in den Redaktionen ihre Leserschaft beglücken. Heute Morgen durfte ich beim Chefredakteur von bild.de lesen, ein „Apple“- Mobiltelefon vereine „die Magie von Erfindergeist und den leichten Zauber Kaliforniens“. Blumiger hätten es die Werbetexter von Herrn Cook nicht formulieren können. Es reicht.

Natürlich sind große Konzerne für große Schlagzeilen gut. Natürlich hat Wohl oder Wehe eines derart wirkmächtigen Unternehmens Einfluss auf die Entwicklung der gesamten Branche. Arbeitsplätze sind tangiert, politische Entscheidungen nicht minder – mögen auch die chinesischen Entstehungsbedingungen des Magieprodukts westlichen Standards spotten. Warum aber sollen Produktbeschreibungen, die zu Kaufempfehlungen mutieren, auf einmal Journalismus sein? „Egal ob Webcams, Leuchten, Schlösser, Thermostate, Stecker oder Schalter – mit den iProdukten wird alles bedient, und beliebige Geräte lassen sich in Gruppen zusammenfassen und gemeinsam steuern.“ Dieser Satz steht im redaktionellen Angebot von faz.net und gehörte doch weit eher auf die Seiten des produzierenden Konzerns. Es reicht jetzt wirklich.

Wo sind die kritischen Anfragen an Produkte?


Über all dem quasireligiösen Tamtam wird vergessen, wie sehr sich hier Journalisten zum Büttel eines Unternehmens machen. Wo sind sie, die kritischen Anfragen an ein Produkt, das sich auch als elektronische Handfessel deuten ließe? Immerhin rückt mit dem Datenmessgerät am Armgelenk die Dystopie des total verzifferten, allzeit überwachten Menschen näher. Der Homo sapiens lagert seine Lebensdaten aus, damit da kein Geheimnis mehr bleibe und jedes Innen nach Außen rücke. Die Kehrseite dieser anfänglich freiwilligen Transparenz lautet Pflicht zur Offenbarung, heißt kapitalisiertes Pulsen, Atmen, Denken.

Zwei mutige Widerständler konnte ich dann doch entdecken. Der Chefredakteur von SWR Fernsehen, Fritz Frey, twitterte kühl in den Candystorm hinein: „Liebe Kollegen, will keine Spaßbremse sein, aber sollten wir die Produktwerbung nicht dem Hersteller Apple überlassen?“ Und der Musikkabarettist Ulf Henrich weiß, was alle wissen sollten: „Es ist egal, was Apple vorstellt. Ab Januar ist es veraltet.

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