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() Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW

Claudia Kemfert - „Wir können den Anteil Erneuerbarer in zehn Jahren verdoppeln“

In der sich anbahnenden nuklearen Katastrophe in Japan wird in Deutschland heftig über Atomkraft und einen beschleunigten Umbau der Energiewirtschaft hin zu den erneuerbaren Energien diskutiert. Energieexpertin Claudia Kemfert plädiert für Gas statt Kohle als Brückentechnik.

Was ist Ihrer Ansicht nach ein realistischer Zeitraum für die Umgestaltung des Energiewesens, so dass die erneuerbaren Energien die bislang vorherrschenden fossilen Energieträger und die Atomenergie ersetzen?
Man kann den Anteil der erneuerbaren Energien in den nächsten 40 Jahren von 16 auf 80 Prozent erhöhen. Binnen zehn Jahren kann der Anteil der Erneuerbaren verdoppelt werden. Eine zu geringe Rolle in der Diskussion des Energiemixes spielt übrigens Gas. In den nächsten zehn Jahren können Gaskraftwerke die Kohlekraftwerke ersetzen.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat Anfang dieses Jahres ein Szenario vorgestellt, das den Verzicht auf neue Kohle- und bestehende Atomkraftwerke vorsieht und eine Umstellung der Stromversorgung auf 100 Prozent regenerative Energien bis 2050 anvisiert. Auf die Privathaushalte kämen allerdings Mehrkosten von 50 Euro im Monat für den Stromverbrauch zu. Ist diese Berechnung zutreffend?
Dem Gutachten liegt die Annahme eines hohen Energieimports unter anderem aus Norwegen zugrunde. Neben Energieimporten ist es aber auch ebenso wichtig, den Strom auch dezentral aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Dazu ist ein deutlicher Ausbau der Infrastruktur sowie der Energiespeicher notwendig.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin, sagte, der starke Ausbau erneuerbarer Energien habe Deutschland zum Nettostromexporteur gemacht. Ein Abschalten der ältesten Atomkraftwerke sei daher sofort möglich und würde außerdem unsere überlasteten Stromnetze entlasten. Hat Trittin Recht?
Ich stimme ihm zu. Allerdings handelt es sich bei seiner Einschätzung um eine Momentaufnahme. In den nächsten Jahren gehen viele Kohlekraftwerke vom Netz. Dann gilt diese Aussage nicht mehr.

Einige Atomenergie-Gegner nennen die ältesten deutschen Atomkraftwerke „schrottreif“. Sie seien heute nicht mehr genehmigungsfähig. Die Gegenseite hält dagegen, dass man diese Anlagen nachgerüstet und modernisiert habe. Wer hat nun Recht?
Sicherheit ist keine alleinige Frage des Alters. Alte Anlagen sind nicht automatisch schrottreif, denn auch sie müssen die heutigen Sicherheitsauflagen erfüllen. Die eigentliche Frage ist, wie teuer werden Nachrüstungsauflagen, die eventuell jetzt nach den Ereignissen in Japan festgelegt werden.

Immer wieder wird in der Debatte über die Sicherheit deutscher AKWs auf die Gefahr von Terrorangriffen nach dem Muster des 11. September oder Flugzeugabstürzen aufgrund technischen Versagens hingewiesen. Wie sicher sind die AKWs davor gewappnet?
Die älteren Anlagen sind vor dem 11. September gebaut, als man mit derartigen Terrorangriffen nicht gerechnet hat. Das Problem ist aber nicht auf Deutschland beschränkt, denn auch unsere europäischen Nachbarn haben Atomkraftwerke. Das ist also eine gesamteuropäische Aufgabe, und es ist ein weltweites Problem. Eine Nachrüstung gegen diese Risiken ist möglich, aber teuer. Und man darf die Sicherheit nicht ausschließlich auf die Reaktoren beziehen, es ist vor allem eine Aufgabe der Luftsicherheit.

À propos Kosten: Welche Investitionen sind in die Netze und Technik erforderlich, um den Umbau des Energiewesens hin zu den Erneuerbaren zu bewerkstelligen?
Es handelt sich hauptsächlich um Investitionen in die Infrastruktur, ihren Ausbau ins europäische Ausland, in Stromspeichertechnologien und neue Anlagen.

Was sind die größten Herausforderungen dabei?
Die Speicherung von Energie muss erforscht werden, bekannte und neue Technologien eingesetzt werden. Beispielsweise kann man mit erneuerbaren Energien auch Antriebsstoffe herstellen. Zudem können ebenso konventionelle Speicher wie Pumpspeicher eingesetzt werden. Auch Batterien kommen als Speicher in Betracht, wenn auch nur in geringen Mengen. Zudem ist der Ausbau der Infrastruktur elementar.

Wie würden sich die wirtschaftlichen Strukturen in der neuen Energiewelt verändern?
Der Wettbewerb wird durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und Gas- Kraft Wärme Kopplung eher gestärkt. Kleine und mittelständische Energieanbieter könnten den Stromkonzernen Marktanteile abnehmen.

Welche Themen kommen in der gegenwärtigen Debatte Ihrer Meinung nach zu kurz?
Der Anteil der Kohlekraftwerke an der Energieerzeugung muss gesenkt werden. Gas ist die eigentliche Brückentechnologie. Gas ist derzeit sehr günstig, wir haben ein Überangebot an Gas in den nächsten zehn Jahren. Gaskraftwerke sind flexibel einsetzbar und damit gut koppelbar mit erneuerbaren Energien.

Aber das würde die Abhängigkeit von Importen aus Russland steigern?
Nicht notwendigerweise, wenn man die Bezugsländer diversifiziert. Die Russen werden ohnehin aufgrund ihrer Bindung des Gaspreises an den Ölpreis Schwierigkeiten bekommen, Gas ins Ausland verkaufen können. Die USA nutzen neue Erschließungstechniken und sorgen so für ein Gasüberschuss. Neben Amerika kommen die Gaslieferanten Katar, afrikanische Länder, Norwegen und die Niederlande in Betracht. Selbst in Deutschland wird an der Erschließung von Gasfeldern gearbeitet.

Das Interview führte Ulrich Hottelet.

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