Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
() Guido Westerwelle
Merkel provoziert den Linksruck

Seine Partei erreicht in Umfragen Traumwerte. Er wird von CDU wie SPD umworben und könnte die Bundestagswahl 2009 entscheiden. Was aber will Guido Westerwelle wirklich? Welche Chancen gibt er Ampeln und Jamaika-Koalitionen? Cicero hat ihn gefragt.

Lesen Sie auch: Guido Westerwelle: "Noch eine letzte Flasche Saint-Émilion Grand Cru" Silvana Koch-Mehrin: "Freiheit, radikal!" Haben Sie schon bemerkt, dass Angela Merkel mit den Grünen liebäugelt… Wenn die Union schwankt, wird sie das ihrer eigenen Wählerschaft erklären müssen. Die Kanzlerin betrachtet die FDP offenbar als ihren sicheren Vorgarten und geht nun lieber im Öko-Hintergarten spazieren. Ärgert Sie das eigentlich? Die Union muss selbst wissen, ob sie diesen Linksrutsch weiter verinnerlichen möchte. Die Bundeskanzlerin hat an diesem Linksrutsch leider ihren Anteil. Ich beobachte allerdings, dass das nicht auf ungeteilte Freude in CDU und CSU stößt. Wahrscheinlich denkt sie strategisch. Der Vorgang schadet doch bloß der FDP, denn Sie sind plötzlich nur noch eine Option unter anderen für Angela Merkel… Es gibt viele Wählerinnen und Wähler, die sich gerade wegen des allseitigen Linksrutsches für die FDP als Gegengewicht entscheiden. Dass Herr Merz an der CDU und Herr Clement an der SPD verzweifelt, dass Herr Metzger den Grünen den Rücken zugekehrt hat, ist ja zugleich auch eine große Chance für die Liberalen, sich als Alternative zu all den anderen sozialdemokratisierten Parteien mit eigener freiheitlicher Geisteshaltung und einem klaren Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft zu empfehlen. Erwarten Sie mit Blick auf die Wahlen 2009 denn von der Union, speziell der Kanzlerin, noch eine klare Koalitionsaussage zugunsten der FDP? Ich rechne damit, dass die Union klar sagen wird, dass sie Deutschland mit der FDP regieren möchte. Und doch könnte das nicht reichen. Welche Chance geben Sie eigentlich einer Jamaika-Koalition? Ich kämpfe für klare Mehrheiten. Aber es ist doch bekannt, dass ich ebenso wie Frau Merkel schon nach der letzten Bundestagswahl zu Jamaika bereit war. Das ist an den Grünen und der CSU gescheitert. An uns jedenfalls nicht. Es kann sein, dass die Hamburger Entscheidung für Schwarz-Grün den Weg der Grünen in Richtung Jamaika verkürzt hat. Warum haben Sie eigentlich Merz und Metzger nicht an die FDP gebunden? Gerade die beiden hätten doch prächtig zu Ihnen gepasst? Herr Metzger hat sich für die Union entschieden, weil dort die persönlichen Chancen für ihn breiter sind. Bei Herrn Merz wie bei Herrn Clement gibt es natürlich auch viel alte Verbundenheit. Ich nannte die drei, weil ihre Unzufriedenheit Ausdruck einer allgemein wachsenden etatistischen Geisteshaltung in den anderen Parteien ist. Union und SPD setzen immer stärker auf staatliche Bevormundung. Darum ist es das Ziel der FDP, frühere Unions-Wähler zu gewinnen, die etwa die Planwirtschaft im Gesundheitswesen ablehnen. Und es ist Ziel der FDP, bürgerliche Sozialdemokraten zu gewinnen, die die Koalitionsvorbereitungen mit den Sozialisten und Kommunisten ebenso schrecklich finden wie wir. Und es ist natürlich auch das erklärte Ziel, realpolitische Grünen-Wähler zu überzeugen, die den nach dem Weggang von Herrn Fischer sichtbar gewordenen Trend zur Fundamentalisierung und wachsenden Umverteilungspolitik nicht gutheißen wollen. Die tatsächlich große Wechselwahlbereitschaft beschert Ihnen in Umfragen inzwischen 13 Prozent. Das scheint für die FDP zwar viel, angesichts des großen Potenzials an Unzufriedenen, das Sie sehen, aber auch wieder nicht. Ich hätte, als ich in die FDP eingetreten bin, mir nie vorstellen können, dass mir jemand mal die Frage stellt, ob mir 13 Prozent zu wenig sind. Es kann ja auch durchaus sein, dass es bei den Wahlen dazu kommt. Da könnte man doch das "Projekt 18" wiederbeleben? Wichtiger als alle Umfragen sind mir die tatsächlichen Wahlergebnisse dieses Jahres. Bei allen drei Landtagswahlen haben wir deutlich bis spektakulär dazugewonnen, in Hessen und Niedersachsen sogar die besten Wahlergebnisse seit ungefähr 40 Jahren erreicht. Bei den Kommunalwahlen in Bayern und in Schleswig-Holstein zeigte sich, dass der große Zuwachs der FDP auch auf lokaler Ebene stattfindet. Wir wollen wachsen, deswegen werden wir bei unserer Politik eine so klare Sprache sprechen, dass auch diejenigen sie verstehen können, die sich nicht von morgens bis abends mit der Politik beschäftigen können, weil sie für sich und ihre Familien ihren eigenen privaten Lebenskampf zu führen haben. Apropos Lebenskampf. 2009 scheint für Sie die letzte Chance, endlich in die Regierung zu kommen… Wenn ich nichts anderes im Kopf hätte als zu regieren, hätte ich das längst gekonnt. Noch am Wahlabend 2005 hat Herr Schröder uns doch im Fernsehen für jedermann sichtbar zu einer Ampel-Koalition eingeladen. Wir haben auf Macht verzichtet, weil wir es wichtig fanden, bei dem zu bleiben, was wir vor der Wahl versprochen haben, nämlich Rot-Grün nicht zu verlängern. Die große Mehrheit in der Bevölkerung fand das geradlinig und richtig. Aber das Außenministeramt streben Sie diesmal schon an. Oder warum hängt in Ihrem Büro diese riesige Europa- neben der Deutschlandfahne? Beide Fahnen hängen da schon seit Beginn meines Fraktionsvorsitzes, zumal ich dort auch viele ausländische Gäste empfange. Im Übrigen ist es nicht mein Lebensziel, irgendwann mal einen Grabstein zu haben, auf dem steht: Bundesminister außer Diensten. Mein Lebensziel ist es, von unseren freiheitlichen Idealen so viel durchzusetzen, dass wir auch in 20 Jahren noch Wohlstand für alle in Frieden genießen können. Wie wird denn das Team aussehen, mit dem Sie in den Wahlkampf gehen? Wir erarbeiten zurzeit unser Wahlprogramm, und zwar im Dialog mit Tausenden von Bürgern über das Internet. Anschließend wird eine Programmkommission unter der Leitung von Dirk Niebel das Ganze zusammenfassen und letztlich wird es auf einem Bundesparteitag beschlossen. Dass wir uns als Team empfehlen, ist immer gute Praxis bei der FDP gewesen. Wenn man erfahrene Persönlichkeiten hat wie Hermann Otto Solms und Rainer Brüderle und auf der anderen Seite junge drängende Kräfte sieht wie Silvana Koch-Mehrin, Philip Rösler oder Daniel Bahr, dann zeigt sich, dass es die Mischung macht. Es gibt in Ihrer Partei Kritik, dass nur Sie und Niebel in den Blickpunkt rücken. Das Gesicht der FDP wird nicht geprägt allein durch den Vorsitzenden oder das Präsidium. Das Gesicht der FDP wird vor allem geprägt durch 65000 Mitglieder, die sich mit Stolz zu ihrer Partei bekennen. Und durch 6000 Kommunalpolitiker, eine Zahl, von der wir übrigens vor ein paar Jahren nur träumen durften. Diese Mandatsträger klagen aber zuweilen, die FDP sei zu wenig gefühlig, verbreite in erster Linie rationale Kälte, sodass viele sich nicht angesprochen fühlten. Es ist doch in hohem Maße gefühlig, wenn wir darauf hinweisen, dass die Mittelschicht in diesem Land vernachlässigt wird. Vor zehn Jahren gehörten zwei Drittel der Bevölkerung zur Mittelschicht. Heute ist es noch etwas mehr als die Hälfte. Das heißt, über fünf Millionen Menschen sind von der Mittelschicht in die sogenannte armutsgefährdete Schicht durchgereicht worden, weil die Mittelschicht immer stärker steuerlich belastet wird, weil das Leben durch die Regierung immer teurer wird. Die Mittelschicht erwirtschaftet mittlerweile 94 Prozent der gesamten Einkommensteuerlast. Sie bekommt aber nichts mit vom Aufschwung, nur der Staat wurde dadurch wirklich fett – die Preise steigen, die Reallöhne sinken, die Mehrwertsteuer, die Versicherungssteuer, die Rentenbeiträge, die Pflegebeiträge, die Gesundheitsbeiträge galoppieren. Gleichzeitig verlangt man von der ganz normalen Mittelschicht-Familie, dass sie noch für das eigene Alter vorsorgen soll und obendrein mehr Verantwortung übernehmen muss für die Ausbildung der eigenen Kinder. Das alles anzusprechen, ist hochemotional. Das verstehen die Menschen auch. Denn wenn wir zu kühl wären, wären die Zuwächse in den vergangenen Jahren gar nicht erklärbar. Es wird also einen Wahlkampf um die Mittelschicht geben? Ja, von unserer Seite ganz gewiss. Denn es ist nicht länger hinnehmbar, dass in der politischen Debatte nur noch über oben und unten geredet wird, über Hartz IV und sogenannte Heuschrecken. Kernthema der FDP wird sein: Wir brauchen eine Gegenbewegung zur Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft. Die Ungerechtigkeit wächst, weil die Mittelschicht schrumpft. Die Mittelschicht schrumpft, weil die FDP nicht regiert. Offenbar schreckt viele die zunehmende Planwirtschaft, wie Sie es nennen, nicht. Denn die Linke liegt in den Umfragen vor Ihnen. Aber nicht bei den Wahlen. Dass die große und geschichtsträchtige Sozialdemokratische Partei durch die Abkehr von der eigenen Reformpolitik die Linkspartei füttert, bedauern wir. Hinzu kommt, dass beide Regierungsparteien glauben, wenn sie den törichten Parolen der Linkspartei hinterherrennen, würden sie selber stärker. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Besser wäre es, sich mutig den Parolen der Linkspartei entgegenzustellen. Aber auch die Union fällt ja leider als wirklich engagierter Anwalt der sozialen Marktwirtschaft aus. Herr Lafontaine, Herr Gysi und die Linkspartei stellen das System Bundesrepublik Deutschland infrage – und allein die Freien Demokraten stellen sich noch mutig dagegen. Das klingt nach einem Lagerwahlkampf… Nein. Die FDP wird keinen Lagerwahlkampf führen. Wir befinden uns nicht in einem Lager mit Christsozialen, die die Planwirtschaft im Gesundheitswesen einführen. Und wir gehören auch nicht zu einem Lager mit Bürgerrechtsvernachlässigern oder Erzkonservativen, die den Gedanken ablehnen, dass Frauen Familie und Beruf miteinander vereinbaren möchten… Wenn Sie also nicht auf die Union fixiert sind, warum haben Sie dann Kurt Becks Werben für eine Ampelkoalition eine so brüske Absage erteilt? Weil es derzeit keine ausreichenden Gemeinsamkeiten für eine Ampel gibt. Außerdem ist das Angebot ein durchsichtiges Manöver zur Täuschung der Öffentlichkeit. An einem Tag für die Abwahl des amtierenden Bundespräsidenten ein Bündnis mit SPD, Grünen und Linkspartei auszurufen und dann fünf Tage später der FDP Avancen zu machen, das passt nicht. Bevor die SPD in Richtung FDP Brücken bauen will, muss sie erst einmal ihre längst gegrabenen Tunnel zur Linkspartei und zu Lafontaine zuschütten. Wir wissen natürlich auch, das wir nach der nächsten Bundestagswahl mutmaßlich einen Koalitionspartner brauchen. Deswegen spricht viel dafür, dass wir vor der Bundestagswahl eine Koalitionsaussage machen. Nach Lage der Dinge ist die Gemeinsamkeit mit der Union, trotz ihres Linksrutsches und trotz ihrer gelegentlich altkonservativen Züge, immer noch größer als das, was uns mit den Sozialdemokraten und den Grünen verbindet. Was sagen Sie eigentlich den Intellektuellen in Deutschland? Steht auf, sage ich. Viele Intellektuelle, gerade der bürgerlichen Mitte, suchen für sich selbst immer nach einer Begründung, warum sie in der Politik neutral bleiben sollten. Die Zeiten, in denen man sich das leisten konnte, sind aber vorbei. Man sollte endlich das Herz über die Hürde werfen und sich für ein freiheitliches Deutschland engagieren. Es gibt dafür einen entscheidenden Grund: dafür zu sorgen, dass das Land auch in Zukunft von der Mitte aus regiert wird und nicht von den Rändern. Das Gespräch führte Martina Fietz Foto: Picture Alliance

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.