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(picture alliance) Ist am Ende der Wähler der Dumme?

Parteienkrise - Dumme Wähler oder ignorante Politik?

Parteien und Wähler scheinen sich immer mehr voneinander zu entfernen. Dabei ist der große Vertrauens- und Bedeutungsverlust der Parteien nicht dem Wähler, sondern eher den politischen Akteuren selbst anzulasten.

Der Frankfurter FDP-Chef Dirk Pfeil, der auch dem hessischen FDP-Parteipräsidium angehört, hat in einem Interview mit der Frankfurter Neuen Presse der Mehrheit der Bevölkerung bescheinigt, sie habe „keine politische Bildung genossen“ und sei deshalb „meinungslos“ und zu „ungebildet, um die Botschaft der FDP zu verstehen“. Er zweifelt überdies „am mangelnden Willen der Wähler, sich ein bisschen schlauer zu machen“.

Mit dieser Wählerbeschimpfung steht der Frankfurter FDP-Vorsitzende allerdings nicht alleine da; denn auch politische Akteure anderer Parteien äußern sich des Öfteren dann abfällig über „die Wähler“, wenn ihre Partei bei Wahlen verloren hat oder in Umfragen schlecht abschneidet. Den Wählern oder Nichtwählern wird dann unterstellt, sie hätten den tieferen Sinn der politischen Inhalte oder Ziele einer Partei und deren entsprechender Botschaften nicht oder noch nicht richtig verstanden, ihr Bewusstseinsstand sei noch nicht so weit entwickelt, um die anstehenden Probleme in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen, sie seien von den Medien irregeleitet oder könnten schlicht die Wahrheit nicht vertragen. Erstaunlich nur, dass die Wähler dann nicht beschimpft werden, wenn eine Partei ein gutes Wahlergebnis erzielt hat oder in Umfragen gute Werte erhält.

So hat die FDP und auch ihr Frankfurter Vorsitzender die 6.3 Mio. Wähler, die im September 2009 bei der letzten Bundestagswahl FDP gewählt hatten, nicht der Dummheit geziehen. Die 5 Mio. der FDP-Wähler von 2009, die derzeit ihre Stimme nicht mehr den Liberalen geben wollen, aber werden jetzt als „dumm“ oder „politisch ungebildet“ denunziert – so als ob sich die Intelligenz dieser Wähler in 2 Jahren deutlich verschlechtert hätte.

Doch da ein solches biologisches Wunder wohl auszuschließen ist, dürften die Wähler 2011 nicht dümmer sein als die von 2009 und auch nicht als die, die vor rund 30 Jahren Anfang der 80er Jahre mit großer Mehrheit (83 % der Wahlberechtigten) eine der das politische System in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg prägenden Parteien (CDU/CSU, SPD oder FDP) gewählt hatten.  Wenn 2009 aber nur noch die Hälfte aller Wahlberechtigten (50 %) Union, SPD oder FDP gewählt haben und im Herbst 2011 sogar nur noch eine Minderheit von zwei Fünfteln (40 %) einer der „etablierten“ Parteien die Stimme geben will, ist das wohl nicht mit einer zunehmenden Dummheit der Wähler zu erklären.

Der große Vertrauens- und Bedeutungsverlust, den seit Ende der 1980er Jahre zunächst die beiden sogenannten „Volksparteien“ CDU/CSU und SPD gleichermaßen zu registrieren hatten, der seit 2009 aber auch die FDP ereilt hat, ist wohl nicht dem Wähler, sondern eher den politischen Akteuren selbst anzulasten. Immer größer geworden ist die Entfremdung zwischen Bürgern und Politikern und immer mehr Wähler empfinden das programmatische und personale Angebot der Parteien auf allen Ebenen der Politik (auch auf der häufig aus der Betrachtung politischer Prozesse ausgeblendeten kommunalen Politikebene) als Zumutung. Und immer mehr kehren den „etablierten“ Parteien den Rücken und wenden sich anderen politischen Gruppierungen zu oder gehen gar nicht mehr zur Wahl.

So will von den 5 Millionen der FDP seit 2009 abhanden gekommenen Wählern 2011 rund ein Drittel gar nicht mehr zur Wahl gehen. Und ein Fünftel würde aus Verzweiflung sogar grün wählen (obwohl es bislang zwischen Liberalen und der grünen Bewegung kaum Wählerwanderungen gab) oder (wie in Berlin schon geschehen) einer Gruppierung wie den „Piraten“ ihre Stimme geben. Die FDP wäre also gut beraten, ihre abgewanderten Wähler nicht zu beschimpfen, sondern darüber nachzudenken und nachzuforschen, warum so viele frühere Anhänger die liberale Partei zurzeit nicht wählen wollen.

Dass die Politik ihre Bindekraft nicht wie in Deutschland verlieren muss, zeigen im Übrigen die skandinavischen Länder, wo die Wahlbeteiligungsraten nicht sinken, sondern auf allen Ebenen der Politik hoch bleiben. So haben bei der Parlamentswahl am 15. September in Dänemark so viele dänische Wahlbürger, die nicht unbedingt alle politisch klüger sein müssen als die deutschen, wie noch nie seit 27 Jahren an der Wahl teilgenommen (über 87 %).

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