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Finanzpolitik in der Flüchtlingskrise - Humanität gibt es nicht zum Nulltarif

Die finanzielle Hauptlast der Zuwanderung tragen bisher vor allem die Kommunen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe und der Finanzwissenschaftler Birger Scholz plädieren in dieser Notsituation für eine höhere Neuverschuldung und die Einführung einer Vermögenssteuer

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Birger Scholz ist Finanzwissenschaftler aus Berlin.

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Welche Kosten entstehen den öffentlichen Haushalten durch die aktuell hohe Zuwanderung? Diese Frage beschäftigt Finanzwissenschaftler und -Politiker gleichermaßen. Die Antwort ist alles andere als trivial. Denn je nachdem, welche Modellannahmen getroffen werden – steigende oder sinkende Zuwanderung, schnelle oder langsame Arbeitsmarktintegration, hoher oder niedriger Familiennachzug –, schwanken auch die prognostizierten Ausgaben. Die Spannweite reicht von sieben Milliarden Euro in 2016 bis zu 55 Milliarden Euro jährlich in der langen Frist.

Klar ist nur eines: Humanität gibt es nicht zum Nulltarif. Ob Integration gelingt, hängt in hohem Maße davon ab, ob frühzeitig genug investiert wird. Andernfalls steigen die gesellschaftlichen Kosten später exponentiell. Ein Blick nach Westen, in die französischen Banlieues zeigt, was alles schief gehen kann.

Die Hauptlast der Integration tragen indes die Kommunen. Pro Flüchtling rechnen die Länder mit kommunalen Ausgaben von mindestens 12.000 Euro im Jahr. Nicht berücksichtigt sind hierbei die hohen Bedarfe beim kommunalen Wohnungsbau, im Bildungsbereich oder der Integrationsförderung. Zur Entlastung der Kommunen überweist der Bund den Ländern aber nur 8.000 Euro. Wieviel die Länder wiederrum weiterleiten, ist ungewiss.

Viele Länder wollen neue Schulden aufnehmen
 

Der unerwartet hohe Überschuss im Bundeshaushalt von zwölf Milliarden Euro im vergangenen Jahr heißt keineswegs, dass alle Länder und Kommunen aus dem Vollen schöpfen können. Nur ein Drittel der Städte und Gemeinden in NRW hat einen ausgeglichenen Haushalt, obwohl die Gemeindeordnung dies verlangt. Auch in den Ländern ist die Situation unterschiedlich. So wollen alle Flächenländer in Westdeutschland außer Bayern und Baden-Württemberg im laufenden Jahr neue Schulden aufnehmen. Aber auch dort, wo Schulden abgebaut werden – wie in Berlin – wurde jahrelang auf Kosten der Qualität öffentlicher Güter und der Investitionen gespart. Seit über zehn Jahren sind die Nettoanlageninvestitionen der Gemeinden negativ; 2014 bei knapp fünf Milliarden Euro. Viele Länder haben kommunale Zuschüsse und Zuweisungen massiv reduziert. Es kann von einem regelrechten Schuldenexport in die Kommunen gesprochen werden. Und der Konsolidierungsdruck nimmt zu, denn ab 2020 gilt das Verschuldungsverbot der Schuldenbremse. Zudem ist fraglich, ob das Zinsniveau und die Konjunktur auch in den nächsten Jahren so positiv bleiben.

Kommunale Haushalte überlastet
 

Der Deutsche Städtetag sieht die Haushalte einzelner Städte und Gemeinden durch die Zuwanderung in ihrer Stabilität bedroht. Diese Warnungen sollten wir ernst nehmen. Denn schon im nächsten Jahr droht in vielen Kommunen zweierlei: Freiwillige Ausgaben werden gekürzt und Investitionen zur Integration der Flüchtlinge nicht getätigt. Eine solche Entwicklung droht die Kommunen zu spalten und die Integration zu beschädigen. Die nächsten Jahre werden zeigen, dass es viel einfacher war, Flüchtlinge in Hallen provisorisch unterzubringen, als sie dauerhaft mit Wohnungen zu versorgen. Es gehört zu den Paradoxien der aktuellen Flüchtlingsdebatte, dass Deutschland seiner humanitären Verantwortung in herausragender Weise gerecht wird, die nötige Ausfinanzierung aber bisher unzureichend angegangen wird.

Gabriel: 5 Milliarden für Bildung und sozialen Wohnungsbau
 

Der Vorschlag von Sigmar Gabriel, jährlich zusätzlich fünf Milliarden Euro in Bildung und sozialen Wohnungsbau zu investieren, benennt die Herausforderungen. Schul- und Kita-Klassen dürfen nicht größer werden. Ohne massiven sozialen Wohnungsbau kommt es zu Verdrängungseffekten in den Ballungsräumen. Ausreichend sind all diese Maßnahmen bisher nicht. Und ob sie in der Koalition durchsetzbar sind, bleibt fraglich. Bisher verteidigt Schäuble verbissen das Dogma der „schwarzen Null“. Steuererhöhungen werden nicht ernsthaft diskutiert. Der Vorschlag, die Benzinsteuer zu erhöhen, hat wohl eher das Ziel, Steuererhöhungen zur Finanzierung der Flüchtlingskosten zu diskreditieren.

Besondere Situationen erfordern besonderes Handeln
 

Die Debatte erinnert ein wenig an das Jahr 1990. Auch damals wurden Steuererhöhungen tabuisiert und die Illusion verbreitet, das Jahrhundertprojekt Deutsche Einheit könne aus der Portokasse bezahlt werden.

Erinnern wir uns: Auch die Integration der Heimatvertriebenen nach dem 2. Weltkrieg ging mit einer einmaligen Vermögensabgabe einher, dem Lastenausgleich. Hierzu wird es aktuell nicht kommen. Denn weder eine verfassungsfeste Reform der Erbschaftsteuer, die das Aufkommen mittelfristig verdoppeln würde, noch eine Vermögensabgabe sind mit der Union zu machen.

In dieser verfahrenen Situation mag ein Blick in die Finanzverfassung den Ländern möglicherweise einen Ausweg weisen. In Artikel 109 Abs. 3 des Grundgesetzes wird ihnen das Recht eingeräumt, im Fall einer „außergewöhnlichen Notsituation“ von der Schuldenbremse abzuweichen.

Vermögenssteuer einführen
 

Diese Notsituation muss sich der Kontrolle des Landes entziehen und die Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Für diese Ausnahmeregelung verlangt das Grundgesetz eine Tilgungsregelung, deren Ausgestaltung im Ermessen der Länder liegt. Eine Tilgung über mehrere Dekaden ist daher erlaubt. Unserer Einschätzung nach kann in Anbetracht von mehr als einer Million Flüchtlingen alleine im vergangenen Jahr von einer fiskalischen Notsituation gesprochen werden. Vermutlich nicht für alle Länder, für einige aber ganz sicherlich. Die Ausnahmeregeln sollten daher offensiv genutzt werden, aber nicht als Freifahrtschein für ungehemmte Neuverschuldung. Nur die Zusatzausgaben für die Flüchtlinge wären verfassungskonform abgedeckt. Die Erhöhung der Staatseinnahmen durch Belastung hoher Einkommen und Vermögen bleibt die beste Wahl. Bevor jedoch die Länder den Kommunen auf Grund der Schuldenbremse dringend benötigte Finanzmittel zur Integration der Flüchtlinge vorenthalten, ist eine höhere Neuverschuldung als zweitbeste Wahl der klügere Weg.

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