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Griechenland und der Euro - Die Fassadendemokratie triumphiert

Kisslers Konter: Um den Euro zu retten, werden demokratische Grundregeln außer Kraft gesetzt. Eine echte Bürgerdemokratie braucht aber offene Debatten, braucht Plebiszite statt Fraktionszwänge. Europa könnte scheitern, wenn dieser Euro gewinnt

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Welch traurige Lektionen doch die ernste Posse namens Griechenlandrettung bereithält! Als Zwischenerkenntnisse – und dieses ganzes Stück ist ein reiner Zwischenakt – können wir festhalten: Der Euro bringt jene Nationen gegeneinander auf, die er versöhnen sollte; täglich bizarrer erscheint im Rückblick die Prämierung dieser vielseitig überforderten Währung mit dem Karlspreis der Staat Aachen vor 13 Jahren.

Europa hat zwar eine Währung, aber keine Idee und keinen Begriff von sich. Finanzpolitik im Rahmen der EU ist ein Illusionsgewerbe, näher bei Houdini, Siegfried und Roy als bei Adam Riese: Simsalabim, da sind schon die neuen 80 oder 90 Milliarden Euro für einen hellenischen Staatsklientelismus, an dem sich durch Beschwörungskünste wenig ändern dürfte. Die Lügen von heute sind die Arbeitsgrundlagen von morgen, weil Papier ebenso geduldig ist wie Papiergeld und beide zum Flammentod tendieren. Und unumkehrbar ist ein Weg immer dann, wenn sich Realitätsbeugung und Gedächtnisverlust verbinden.

Die wichtigste Erkenntnis aber lautet: Es gibt sie tatsächlich, die von Jürgen Habermas einst energisch gebrandmarkte „Fassadendemokratie“. Die Euro-Rettungspolitik ist ihr natürliches Biotop. Für Verhandlungen über ein drittes griechisches „Rettungspaket“ soll der Bundestag noch diese Woche sein „Ja“ geben, nachdem sowohl die Bundeskanzlerin als auch ihr Finanzminister ein solches immer kategorisch abgelehnt hatten. Dank der grenzdemokratischen Listenplätze, die nur erhält, wer sich die jeweilige Parteileitung gewogen zu halten weiß, dürfte es zum Schaulaufen der Kritiker bei angeblich zähneknirschender Zustimmung kommen.

Dem Mehrheitswillen der Bevölkerung wird damit womöglich widersprochen: Das „ZDF-Politbarometer“ sah vor dem Referendum mit 52 Prozent die „Grexit“-Befürworter und mit 85 Prozent die Gegner weiterer Zugeständnisse an Griechenland vorne. Einem „ARD-DeutschlandTrend“ von Montag zufolge misstrauen 78 Prozent den neuen Zusagen der griechischen Regierung, während gleichzeitig nur noch 32 Prozent für einen „Grexit“ votieren. Kaum durchzudringen vermögen Mahnungen vom Bund der Steuerzahler und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung: die Belastung für den deutschen Steuerzahler steige ins Unermessliche, „es würde an ein Wunder grenzen, wenn wir nicht schon bald wieder über Veränderungen des Programms verhandeln und streiten würden“, und wir redeten „nicht wirklich über Kredite, sondern über Transfers an Griechenland, also geschenktes Geld“.

Schon hat die undemokratische Suche nach „Abweichlern“ in der Fraktion von CDU/CSU begonnen; das imperative Mandat und mit ihm die „Fassadendemokratie“ triumphieren. Dass die Bürger gegen diese fortschreitende Enteignung ihrer Vermögen, gegen das rapide Dahinschmelzen ihrer staatlichen wie privaten Altersvorsorge in der neuen Null-Zins-Ära nicht auf die Barrikaden gehen, zeugt von bemerkenswerter Indolenz. Von einer Unlust an der Zukunft, einer Abneigung gegen das Politische, die sprachlos machen.

Während bei Angela Merkel immerhin einige Jahre lagen zwischen Wort und Wortbruch, vollzog Politeleve Alexis Tsipras die 180-Grad-Kehrtwende innerhalb einer Woche. Er wirbt um Zustimmung für jene Positionen, die dem Ergebnis seines eigenen Referendums diametral widersprechen. Der mit der Fantasiezahl von 50 Milliarden Euro beschriftete Treuhandfonds nebst der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf das Dreifache und flächendeckender Liberalisierung des Arbeitsmarkts sind dem Syriza-Publikum kaum zu vermitteln.

Parteienübergreifend sind es schlechte Zeiten für Demokraten, wenn eine demokratisch nicht legitimierte Einrichtung wie die berühmt-berüchtigte Troika nun sehr weitreichende Vetorechte erhält, das Parlament also seiner eigenen Entmachtung zustimmen muss. Sollte ihm eine Mehrheit folgen, müsste Tsipras eigentlich sofort danach zurücktreten. Das Chaos begönne von vorne, und ewig fehlten die Gelder.

Habermas und seine beiden Mitautoren kritisierten im August 2012 die „Umwandlung der sozialstaatlichen Bürgerdemokratie in eine marktkonforme Fassadendemokratie“ und plädierten für „eine supranationale Demokratie, die ein gemeinsames Regieren“ erlaube, „ohne die Gestalt eines Bundesstaates anzunehmen“. Mittlerweile hat sich die Lage drastisch verschärft, nun sind die nationalen, die ökonomischen wie mentalen Ungleichgewichte derart angewachsen, dass die Diagnose noch stimmt, es aber einer anderen Rosskur zur Rückgewinnung der Bürgerdemokratie bedarf: Die eurokonforme Fassadendemokratie wird erst dann fallen, wenn in sämtlichen Ländern, die an den Rettungsmaßnahmen für Griechenland beteiligt sind, offen und frei über Zustimmung oder Ablehnung entschieden wird.

Ideal wären echte Plebiszite. Wo die Verfassung dem entgegensteht, müssen es parlamentarische Debatten ohne Fraktionszwang sein. Der Bundestag könnte mit gutem Beispiel vorangehen. Eine Demokratie in der Ferne rettet man nicht, wenn man sie zuhause außer Kraft setzt. Und nie wird Europa zu einer Sache des Herzens, wenn immer lauter, immer dreister, immer trotziger Technokraten und Illusionisten über dessen Zukunft bestimmen.

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