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Entega-Chefin Wolff-Hertwig - „In der alten Führungskultur haben Frauen keinen Platz“

Seit den Übergriffen von Köln sagt es sich auch unter Konservativen leicht, dass Frauen in Deutschland gleichberechtigt sein müssen. Unternehmen sind jetzt gesetzlich verpflichtet, mehr Frauen an die Spitze zu holen. Marie-Luise Wolff-Hertwig ist Deutschlands einzige Vorstandsvorsitzende eines Energiekonzerns. Ein Interview

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

So erreichen Sie Wulf Schmiese:

Seit Jahresbeginn gilt die Frauenquote in Deutschland, was halten Sie davon?
Wolff-Hertwig: Nie wollte ich als Quotenfrau gelten und empfand es als Männer diskriminierend, wenn Frauen in Bewerbungsverfahren bevorzugt werden sollten. Das erschien mir wie eine bloße Umkehrung des Prinzips der letzten 200 Jahre. Inzwischen habe ich meine Einstellung zur Quote geändert. Denn in 15 Jahren freiwilliger Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft zur Förderung weiblicher Gleichstellung hat sich praktisch nichts getan. Wir liegen immer noch bei deutlich unter zehn Prozent weiblicher Vorstände in deutschen Großunternehmen, es gibt keine einzige Vorstandsvorsitzende eines DAX-Konzerns.

Wie hoch ist der Frauenanteil auf der Führungsebene bei Ihnen?
In unserem Aufsichtsrat sind derzeit von 20 Mitgliedern zwei Frauen – da gilt es nun, bis Juni 2017 auf die vorgeschriebene Quote von 30 Prozent, also auf mindestens sechs Frauen zu kommen. Im Vorstand sind wir eine Frau und zwei Männer – hier ist eine Quote von 33 Prozent schon die Spitze in Deutschland. In der zweiten Ebene haben wir 14 Prozent Frauen in der Führung, das wollen wir steigern auf 20 Prozent und in der dritten Ebene von 13 auf 15 Prozent. Das ist die sogenannte Flexi-Quote, die wir selbst festlegen konnten.

Ihre Energie-Branche ist beim Thema Frauen das Schlusslicht. Warum?
Die Standardantwort, dass zu wenige junge Frauen technische Berufe aufnähmen, halte ich für vorgeschoben. Denn längst werden auch etliche technische Ressorts nicht mehr von Ingenieuren, sondern von Juristen und Betriebswirten geführt – aber eben männlichen.  Wir haben in unserem Unternehmen viele begabte Juristinnen, Vertrieblerinnen, Personalerinnen, Controllerinnen und sind als Vorstand entschieden, diese Frauen zu halten und zu entwickeln. Wir müssen diesen Frauen Verantwortung geben, und das ist für viele in unserer sehr traditionell geführten Branche noch immer ein, wie soll ich sagen, ungewohntes Gefühl. Das gilt für weite Teile der deutschen Industrie. Es ist weiterhin unüblich, einer Frau eine hohe operative Verantwortung zu geben. Es gilt als riskant.

Zehn Jahre regiert eine Bundeskanzlerin das ganze Land. Wieso gilt da weibliche Führung in der Wirtschaft noch als ungewohnt?
Wegen überkommener Bilder, die wir haben. Da ist der Wirtschaftsführer ein bestimmter Typ Mann. Ich bin manchmal im Haus eines Freundes, dessen Großvater ein namhafter Chemiefabrikant war. Von diesem alten Herrn steht im Treppenhaus eine Büste: markanter Kopf aus sehr weißem Marmor. Weibliche Ahnen bleiben in vielen Industriellenfamilien unerwähnt. Der Soziologe Werner Sombart charakterisierte einst deutsche Unternehmer völlig unkritisch als „Menschen mit einer ausgesprochen intellektuellen Begabung und Willensstärke und einem verkümmerten Gefühls- und Gemütsleben.“

Das war vor bald einhundert Jahren.
Aber schauen Sie sich die sogenannte „Hall of Fame“ des Manager Magazins an, die Persönlichkeiten wie Herrmann Josef Abs auf den Sockel gehoben hat und heute noch jährlich neue männliche Unternehmensführer für die Geschichte kürt. Unter 52 Persönlichkeiten dieser Hall of Fame sind zwei Frauen: Ex-Treuhandchefin Birgit Breuel und Elisabeth Noelle vom Allensbach-Institut. Das ist lächerlich, überhaupt so eine Einrichtung ist lächerlich, wir leben nicht mehr in einer Welt der Sockel, auf die man Einzelne hebt.Aber es wird weiterhin getan – und da stehen Männer auf den Sockeln. Man merkt daran, wo wir herkommen, wie stark gerade die deutsche Geschichte und Gesellschaft, vor allem die Wirtschaftsgeschichte, männlich geprägt war und immer noch ist.

Sie sind 1996 von SONY zum Energiekonzern VEBA gegangen, woraus später die E.ON wurde. Wie haben Sie als Frau das erlebt?
Bei Sony Deutschland hatten wir einen amerikanisch geprägten Management-Ansatz. Viele Manager waren Amerikaner, wenige Japaner. Sony war sehr international unterwegs, zur Hälfte Frauen, jedenfalls im mittleren Management. Wenn man eine Idee hatte, galt es, sie schnell voranzubringen und der Geschäftsführung vorzustellen. Bei VEBA hingegen lautete die wichtigste Frage: „Mit wem haben Sie das denn abgestimmt?“ Man ging den Weg durch eine sehr lange Reihe der hierarchischen Instanzen und am Ende blieb wenig oder nichts übrig von der Idee. Bis hin zur Platzierung bei den Mittagessen gab es eine streng hierarchische Ordnung, über die niemand sprach.

Status-Symbole sind doch seit jeher Anreizmittel.
Ich will Hierarchie und Status gar nicht durch den Kakao ziehen, es ist unser wirtschaftskulturelles Erbe. Das erklärt aber, warum es in Deutschland so ist, wie es ist mit den Frauen in der Wirtschaft. Das Ganze ist ja erst gute 20 Jahre her. Man hatte als Untergebener keine andere Meinung zu haben als sein Chef. Ich fühle mich bei all diesen aktuellen Betrugs-Geschichten eines deutschen Autobauers an diese alte Konzernwelt erinnert. Da kann die Krise wirklich eine Chance sein. In dieser alten Führungskultur haben Frauen keinen Platz. Die Unternehmen waren auf reine Männerriegen in der Führung hin gebaut. Das Karriereprinzip war: lebenslang bei einer Firma, mit Auslandsstationen dazwischen immer wieder eine Stufe höher klimmen, ohne Pause, ohne Kinder, die auf einen warten, ohne Frauen, die einen Beruf haben.

Viele Eltern wollen längst durchaus beides: Kinder und Karriere.
Die Idealkarriere in der deutschen Industrie verläuft aber immer noch linear, ohne Pausen, ohne Brüche, wenn nicht in einem Unternehmen, dann mindestens aber in einer Branche, 40 Jahre lang, mit 50 bis 60 Stunden in der Woche Anwesenheitspflicht. Dies ist kein Angebot für Mütter. Es ist bisher in Deutschland gescheitert, Frauen wirklich in die Unternehmen zu integrieren. Wir müssen uns hier als Unternehmen ändern, wir müssen deutlich höhere Flexibilität und unterschiedlichere Lebensmodelle integrieren lernen und zwar schnell.

Welche Maßnahmen zur Frauenförderung ergreifen Sie?
Die wichtigste Maßnahme ist: Flexibilität bei den Arbeitszeiten und in der Lebensarbeitszeit bieten. Wir haben jetzt schon mit einigen Führungskräften Teilzeitverträge, übrigens auch mit männlichen Führungskräften. Dann: Home-Office Arbeitsplätze ermöglichen, Kinderbetreuungsplätze anbieten – und auch kranken Kindern Platz bieten, damit Mutter oder Vater in der Arbeitszeit nach ihm schauen können. Wir wollen möglichst keine Frau mehr verlieren, auch wenn sie nur mit einem minimalen Stundenbudget in der Woche wieder einsteigen will. Wir haben unseren Bewerbungsprozess durchforstet inklusive unserer Stellenmarkt-Texte. Wenn wie bisher bei Führungspositionen „zeitlich hochflexibel“ steht, bewirbt sich keine Mutter.

Das Interview führte Wulf Schmiese

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