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Mehr als nur Flüchtlingsintegration - Die vier Mega-Aufgaben der Kommunen

Kolumne: Leicht gesagt. Beim Jahrestreffen der Städte- und Gemeindevertreter war trotz der enormen Herausforderungen wenig Frust zu spüren. Die Rekommunalisierung könnte sich sogar als Vorteil bei der Flüchtlingsintegration erweisen

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Egal, was Berlin entscheidet – am Ende müssen es Bürgermeister und Landräte vor Ort ausbaden. Die deutschen Kommunen haben nicht nur die Integration der Flüchtlinge zu bewältigen. Eine Übersicht.

Städte und Gemeinden müssen sich um die Millionen Menschen kümmern, die nach Deutschland geflohen sind. Sie haben die Entscheidungen des Bundes zu tragen, ob sie wollen oder nicht. Das wird sie viel Kraft und Geld kosten, weshalb es sich nicht leicht sagt: Wird schon werden.

Denn Kreise und Kommunen stehen derzeit unter dreifacher Belastung. Erstens macht ihnen die Energiewende finanziell zu schaffen. Landräte, Bürgermeister und Stadtdirektoren blicken zweitens sehr besorgt in die Zukunft: Halten ihre Stadtwerke, auf deren Gewinne die Kämmerer bauen, der Digitalisierung stand?

Und was wird, drittens, aus dem Geschäftsmodell der deutschen Kommunalwirtschaft, wenn das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA kommt? Welche Dienstleistungen müssen da künftig dem Wettbewerb zur Verfügung gestellt werden? Welche Ausnahmen im Vergaberecht wird es weiterhin geben? Wirtschaftsminister Gabriel verspricht den Kommunen immerhin, dass ihre Interessen im Handelsabkommen der EU abgesichert würden.

Und nun also noch, viertens, eine Million weitere Menschen.

Der Staat soll sich wieder um Daseinsvorsorge kümmern
 

In dieser Woche versammelte sich die Branche zu ihrem jährlichen Tag der Kommunalwirtschaft, diesmal in Dortmund: Vertreten waren die drei kommunalen Spitzenverbände – Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Deutscher Landkreistag – und der Verband der Kommunalen Unternehmen. Sie wirkten weder überfordert noch resigniert, sondern ernsthaft bemüht, sich den Aufgaben zu stellen. Doch nie zuvor wurde so deutlich, wie elementar dieser politische und wirtschaftliche Unterbau Deutschlands ist.

Denn die vier kommunalen Akteure kümmern sich um die Daseinsvorsorge. Das ist ein soziologischer Begriff, der zwar in keinem Gesetz steht, aus dem Verbände und Unternehmen aber ihre Hauptlegitimation ableiten. Sie sollen sich in den grundliegenden Belangen um das Leben der Leute kümmern: um Wasser, Strom, Müll, Verkehr, Wohnungen.

Vieles davon war in den vergangenen Jahrzehnten privatisiert worden. Besonders nach der Wende galt der Trend „privat vor Staat“. Seit einem Jahrzehnt gilt die Gegenbewegung „alles zurück auf Staat“. Seit 2005 gab es knapp 150 Stadtwerke-Neugründungen, weil Konzessionen ausliefen, die vielfach in privater Hand waren. Im Koalitionsvertrag wurde festgelegt, dass das Energiewirtschaftsgesetz noch kommunalfreundlicher werden soll. Also will auch die Große Koalition, dass der Staat sich maßgeblich um die Daseinsvorsorge kümmert und auch daran verdient.

Energiewende verhagelte manchem Stadtwerk die Bilanz
 

Diese Rückentwicklung kommt offenbar an, wie Forsa herausfand: Danach sind 91 Prozent der Deutschen zufrieden mit der Arbeit kommunaler Unternehmen. Die Umfrage war vom eigenen Verband in Auftrag gegeben – wie zum Beweis, dass die Arbeit der 1.400 kommunalwirtschaftlichen Unternehmen mit 250.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 115 Milliarden Euro von einer großen Mehrheit im Land gewollt wird.

Die Sorgen und Nöte dieser Unternehmen kennen aber viele Befragte nicht. Rekommunalisierung, das schien ein Riesengeschäft zu werden für die kommunalen Haushalte. Die Stadtwerke wurden zum Energieversorger mit allem Service, fingen mit neuen, entstaubten Geschäftsmodellen an, richtig Kasse zu machen wie einst die Großen. Das schien aufzugehen – bis Fukushima alles änderte. Die knallharte Energiewende verhagelte manchem Stadtwerk die Bilanz: So müssen etliche Städte Nordrhein-Westfalens für ihre Beteiligung an RWE jetzt draufzahlen. Allein Dortmund kostet das etwa 20 Millionen Euro.

Der Vorstandsvorsitzende der Stadtwerke Dortmund AG, Guntram Pehlke, macht dafür unter Applaus die Bundespolitik verantwortlich.

Auch die Aufgabe Nummer vier – die Flüchtlingspolitik – wird von Berlin entschieden, muss jedoch vor Ort umgesetzt werden. So sagen das viele Stadtväter. Aber sie klingen dabei pragmatisch, ganz ohne das immer wieder kolporierte „Wir schaffen das nicht“-Grollen.

Rekommunalisierung als Vorteil bei der Flüchtlingsintegration
 

Bei diesem Thema kommt Rückendeckung von den Ländern. Dem Bund wird sozusagen ein Deal angeboten. Dabei könnte die Rekommunalisierung der letzten Jahre sich als echter Vorteil erweisen. Denn durch die stadteigenen Werke sei die Integration von Flüchtlingen leichter, sagt der zuständige Innenstaatssekretär Nordrhein-Westfalens, Bernhard Nebe. Dort könnten die Ankömmlinge leichter Fachkenntnisse und Sprache erwerben als in der freien Wirtschaft. Zugleich fordert sein Land jedoch gemeinsam mit Bayern eine weit höhere Beteiligung des Bundes bei den Integrationskosten.

Die Kommunen stellen sich der Aufgabe. Sie stöhnen und klagen, aber sie wissen: Überfordert sind wir noch nicht. Und der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gerd Müller, weist die Kommunalpolitiker auf ihre Vorbildfunktion hin: Deutsche Kommunen und ihre Unternehmen sollten sich in Krisen- und Entwicklungsregionen engagieren und ihre Expertise in kommunaler Verwaltung und Versorgung einbringen durch Partnerschaften mit Städten und Gemeinden außerhalb Europas.

Das wäre dann schon die fünfte Aufgabe für die Kommunen. Es wäre aber eine, die tatsächlich dazu beitragen könnte, die Welt stabiler zu machen. Sie würde den Menschen im buchstäblichen Sinne Halt geben – dort, wo sie leben.

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