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Demonstrationen vor Flüchtlingsheimen - Demokratie muss den Hass aushalten

Ohne Versammlungsfreiheit gibt es keine Demokratie. Wer jetzt ein Demonstrationsverbot vor Flüchtlingsheimen fordert, gibt die freie Gesellschaft preis. Ein Kommentar

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Das war zu erwarten. Kaum gibt es die ersten ausländerfeindlichen Demonstrationen vor Flüchtlingsheimen, da werden auch schon die Rufe nach einer Einschränkung des Demonstrationsrechtes laut. Eine Online-Resolution bei Change.org, die ein Demonstrationsverbot für Hass-Demonstrationen vor Flüchtlingsheimen fordert, hat bereits über 50.000 Unterstützer gefunden. Die Polizeigewerkschaft fordert gar eine Bannmeile rund um alle Flüchtlingsheime, in einem Radius von einem Kilometer sollen Demonstrationen nicht mehr erlaubt sein. Flüchtlinge würden durch hasserfüllte Sprechchöre traumatisiert, heißt es in der von der Initiative „HeimeOhneHass“ initiierten Resolution. Nur mit einer Bannmeile ließen sich Ausschreitungen wie in Dresden verhindern, glaubt Gewerkschaftschef Rainer Wendt.

Die Demonstrationsfreiheit ist in einer freien Gesellschaft ein hohes Gut, sie gehört zum Kernbereich der Demokratie. „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln,“ so heißt es in Artikel 8, Absatz 1 des Grundgesetzes. Zwar dürfen „Versammlungen unter freiem Himmel“ gemäß Absatz 2 beschränkt werden, aber dafür gibt es sehr enge Grenzen. Nur bei einer „unmittelbaren Gefahr für Sicherheit und Ordnung“ dürfe die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden, so hat schon vor drei Jahrzehnten das Bundesverfassungsgericht geurteilt. Selbst wenn mit Ausschreitung oder mit Straftaten von einzelnen Demonstrationsteilnehmern gerechnet werde, dürfe eine Demonstration nicht verboten werden. Vielmehr habe die Polizei in solchen Fällen sogar die Pflicht, friedlichen Demonstranten die Wahrnehmung ihres Grundrechts zu ermöglichen.

Auch Nazis haben das Recht zu demonstrieren
 

Das Demonstrationsrecht gilt auch für Rechtsextremisten, Neonazis oder Rassisten, selbst für Irre und Idioten. Der Staat muss absolut neutral bleiben. Auch das hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach klargestellt. Es wäre verheerend, wenn der Staat anfangen würde, zwischen richtigen und falschen Demonstrationen zu unterscheiden, zwischen legetimen und illegitimen Forderungen. Einer schleichenden Aushöhlung des Demonstrationsrechtes wäre so Tür und Tor geöffnet. Ähnlich problematisch wäre es, wenn bestimmte Orte vom Demonstrationsrecht ausgenommen würden. Zum Grundrecht gehört es selbstredend, dass der Veranstalter den Ort seiner Demonstration bestimmen darf. Natürlich wollen die Demonstranten an den Ort des Geschehens, an den Bauzaun, vor die Bank oder eben vor das Flüchtlingsheim. Nur dort schließlich können sie jene öffentliche Aufmerksamkeit erzielen, die mit dem Demonstrationsrecht notwendigerweise verbunden ist. Würden die Behörden anfangen, missliebige Demonstrationen an den Stadtrand zu verlegen, würde auch dies das Grundrecht ad absurdum führen.

Natürlich ist es eine Zumutung, wenn Menschen gegen Flüchtlinge demonstrieren, "Ausländer raus" grölen und ihnen das Recht absprechen, in Deutschland das Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen. Doch diese Zumutungen und auch die Menschenfeindlichkeit und den Hass, der sich auf solchen Demonstrationen offenbart, muss eine demokratische Gesellschaft aushalten.  Alles andere käme einer Selbstaufgabe der Demokratie gleich. Genauso allerdings wäre es eine Selbstaufgabe der Demokratie, wenn der Staat, seine Polizei und seine Justiz nicht dort einschreiten, wo Demonstranten Steine auf Flüchtlinge werfen oder Rechtsterroristen Flüchtlingsheime in Brand setzen. Das Strafrecht ist die rote Linie, hier die Versammlungsfreiheit, dort die konsequente Verfolgung von Rechtsbrechern. Beides bedingt einander. Am Besten wäre es, wenn alle Zuständigen in diesem Sinne ihre Arbeit machen. Dann wäre der Demokratie geholfen und auch den Flüchtlingen.

Lesen Sie morgen an dieser Stelle die Gegenmeinung: Warum eine Demokratie diesen Hass eben nicht aushalten muss

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