Die Damen in Weiß
Die „Damen in Weiß“ protestieren stets friedlich / Foto: Benedikt Vallendar

Kirche auf Kuba - Sammelbecken der Unzufriedenen

Noch immer herrscht in Kuba Mangel. Kritik an diesen Zuständen steht unter Strafe. Die Kirche bietet den Unzufriedenen Zuflucht, muss sich aber auch den Behörden anpassen. Ein Besuch bei Priestern vor Ort

Benedikt Vallendar

Autoreninfo

Dr. Benedikt Vallendar, geboren 1969 im Rheinland, studierte Romanistik, Jura, Niederländische Philologie und Geschichte in Bonn, Madrid und an der FU Berlin. Er ist Berichterstatter der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main und unterrichtet an einem Wirtschaftsgymnasium in Sachsen.

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„Nein, mit der Presse rede ich nicht“, der Rektor des katholischen Priesterseminars in Kubas Hauptstadt Havanna gibt sich zugeknöpft. Monsignore stammt aus Spanien und möchte auch seinen Namen „auf keinen Fall“ in der Zeitung lesen. Man habe mit Journalisten „schlechte Erfahrungen“ gemacht, sagt er. Am Ende sei meist anderes geschrieben worden als vorher mitgeteilt wurde und der Ärger mit den Behörden groß gewesen. So endet das angemeldete Gespräch im Foyer des Priesterseminars in Havannas beschaulichem Diplomatenviertel Vedado bereits nach wenigen Minuten.  

Doppelrolle der Kirche

Der Grund für die abweisende Haltung des Rektors liegt auf der Hand: Mehr und mehr entwickelt sich seine Kirche, teils gegen den Willen ihrer Leitung, zum Sammelbecken unzufriedener Bürger über die seit 1959 diktatorisch regierenden Kommunisten. Allen voran die „Damen in Weiß“, Kubas wohl bekannteste Oppositionsgruppe, deren Mitglieder sich jeden Sonntag den Segen für ihre mutigen Protestaktionen holen. Erst vor wenigen Tagen wurde die Aktivistin Jackeline Heredia Morales aus der Haft entlassen. Die zweifache Mutter war verurteilt worden, weil sie öffentlich gegen die Diktatur in ihrem Land protestiert hatte. 2005 erhielten die „Damen in Weiß“, den Sacharow-Preis des europäischen Parlaments für Menschenrechte und Demokratie. Wo immer die Damen friedlich demonstrieren, befinden sich die Sicherheitsorgane in Alarmbereitschaft; aus Angst, der Funke könnte einen Flächenbrand wie einst im früheren Ostblock auslösen.

Auch aus diesem Grund sieht sich vor allem die katholische Kirche Kubas in eine Doppelrolle gedrängt: Einerseits will sie Bedrängte vor Verfolgung schützen. Andererseits soll das eh schon angespannte Verhältnis zu den Behörden nicht weiter angeheizt werden. Gleichzeitig ist die Unzufriedenheit der Bürger durchaus berechtigt. Denn der Alltag auf Kuba gleicht einem Überlebenskampf, beim Essen ebenso wie in der Gesundheitsversorgung, bei der allenfalls die ärztliche Beratung kostenlos ist. „Bis heute ist der kubanische Staat auf Lebensmittelkarten angewiesen“, sagt Martin Lessenthin, Sprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main. Am schwierigsten sei es für Mütter mit kleinen Kindern, denen es an Milchprodukten fehle, obschon die ausreichende Versorgung offiziell garantiert sei.

Anstellen statt Einkaufen

Noch immer herrscht auf Kuba Mangel. „Selbst für Grundnahrungsmittel müssen wir anstehen“, klagt Pastor Manuel Alberto Morejón Soler, der regelmäßig Vorladungen zur Polizei erhält, wenn er mit Ausländern gesichtet wurde. Die staatlichen Läden sind meist leer und nur auf den wenigen, teuren Privatmärkten, die jetzt wieder mehr und mehr dem Staatsmonopol unterliegen, gibt es Maniok, Mais und etwas Obst zu kaufen. Wer in US-Dollar oder Euro zahlt, bekommt sein Wechselgeld oft in der quasi wertlosen Landeswährung Moneda nacional (MN) zurück. Rund 600 MN, also umgerechnet knapp 24 Euro, verdient ein kubanischer Lehrer im Monat und das bei Preisen, die teilweise an Tokyo oder Tel Aviv erinnern. Diese Preise sind in der zweiten Landeswährung angezeigt: dem Peso convertible (CUC). Dieser ist eins zu eins an den Dollar gekoppelt und wird von ausländischen Touristen wie Einheimischen genutzt. „Nur mit Devisen kommt man hier über die Runden“, sagt Pastor Morejón. Eine Dose Limonade etwa oder etwas Gehacktes zum Abendessen ist für die meisten Kubaner zu teuer. Ganz zu schweigen von Käse, einer Flasche Wein oder Salzgebäck.

Ohne Überweisungen von Verwandten und einträglichen Nebenjobs kämen nur wenige über die Runden, worunter bei Lehrern naturgemäß der Unterricht leidet. Und doch sind Privatschulen weiter verboten, was die Regierung als „Errungenschaft“ preist. Um damit zugleich den weltweit gehegten Glauben zu konterkarieren, Kuba sei in Sachen Bildung „führend“ in ganz Lateinamerika. Denn von freiem Internetzugang, gar WLAN können die meisten kubanischen Schüler nur träumen. Auch lesen dürfen sie nur das, was die Zensur erlaubt. Allem voran die Selbstverherrlichungsliteratur des Castro-Regimes, deren Titel die Auslagen der wenigen Buchhandlungen im Zentrum La Havannas zieren.

Marode Infrastruktur

Zur katholischen Kirche pflege Pastor Morejón gute Beziehungen, sagt er. Viele Gemeindemitglieder sind miteinander befreundet und engagieren sich sozial. In Rincón, eine halbe Autostunde von La Havanna entfernt, betreibt die katholische Kirche ein Zentrum für Leprakranke. Französische Ordensschwestern verwalten das Haus und leben von Spenden aus der Heimat. „Zurzeit haben wir kein fließendes Wasser“, klagt Schwester Martha, die Leiterin. Das erschwere die Arbeit.

Die Schwestern kümmern sich liebevoll um die von Alter und Krankheit gezeichneten Männer, waschen und pflegen sie und helfen ihnen beim Anziehen. Das Wasser holen sie von auswärts und sammeln es in Plastiktonnen und Eimern, die vor den Krankenbaracken stehen. Auf dem Gelände stehen Obstbäume und zwei Bananenstauden. Sie dienen der Eigenversorgung, ohne die der Klosterbetrieb wohl binnen kurzem kollabieren würde. „Dabei könnte Kuba sogar Lebensmittel exportieren, würde der Staat nur endlich mehr Eigeninitiative erlauben“, sagt Pastor Morejón.

Angst vor dem Geheimdienst

Zwischen Golfplätzen und schmucken vier- bis fünf-Sterne Hotels steht die katholische Kirche Santa Elvira auf der Urlaubsinsel Varadero. Das Gotteshaus wurde 1938 errichtet und gehört zu den wenigen kirchlichen Gebäuden, die nach der kommunistischen Machtübernahme 1959 nicht konfisziert und zweckentfremdet wurden. Pfarrer Jesus Mazcoleti ist seit Januar 2011 im Amt. 

„Wir haben rund hundert Gemeindemitglieder“, sagt er. Darunter viele Europäer, Urlauber, vor allem aus Polen und Tschechien, die es gewohnt sind, sonntags zur Messe zu gehen. „An Priesternachwuchs mangelt es nicht“, sagt Mazcoleti. In den Theologenkonvikten von Santiago de Cuba und La Havanna bereiten sich zurzeit 55 Kandidaten auf ihre Weihe vor. „Varadero ist das schöne Schaufenster von Kuba“, sagt Pfarrer Mazcoleti schmunzelnd. Ein aufgehübschtes Eiland, das leicht ein falsches Bild vom Leben auf der Karibikinsel vermittelt. „Wer den wahren kubanischen Alltag kennen lernen will, ist hier fehl am Platz“, sagt Mazcoleti. Die meisten Kubaner lebten unterhalb der Armutsgrenze, sagt er, schlügen sich irgendwie durch und begehrten nicht auf, aus Angst vor Repressalien durch Polizei und Geheimdienst.

Propagandalügen der Partei

Auch ein Großteil der Staatsbetriebe leidet, was die Regierung mantramäßig auf das seit 1962 bestehende Embargo der USA zurückführt. Dass in Wirklichkeit die kommunistische Planwirtschaft und das Einparteiensystem Schuld an der Misere sind, wagen nur wenige zu sagen. „Die Menschen sind es überdrüssig, die Propagandalügen der Partei zu hören“, sagt eine alte Frau, die in Varadero regelmäßig zum Gottesdienst kommt. Sechzig Jahre Unterdrückung durch die Kommunisten, die sich gerne als „Vertreter des Volkes“ gerieren, hätten tiefe Wunden geschlagen, sagt sie. Kubaner haben es gelernt, sich verklausuliert auszudrücken. Und so offen, wie die alte Dame in der Kirche von Varadero sagt sonst kaum jemand auf Kuba seine Meinung – noch nicht.

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Juliana Keppelen | Mi., 30. August 2017 - 16:33

Erstens fungiert die Kirche auch bei uns zum Teil als Sammelbecken sie organisiert Tafeln, Kleiderkammern und andere soziale Dienste für Bedürftige. Armut und Bedürftigkeit sind auch im "Merkelland" zwar vorhanden aber kein Thema oder habe ich da bei dieser Presseveranstaltung was verpasst? Zweitens die Kirche muss sich anpassen im "Castroland" das ist bei uns gaaaanz anders wir haben Pastorentöchter, Pastoren und gelernte Pastorinnen im Parlament und die Amtskirche ist mir als APO auch noch nicht aufgefallen man denke nur an die Kirchentage, als Stargast ein "Drohnenkrieger" (um kein anders Wort zu gebrauchen) Wie sagte seinerzeit unser Pastor und Bundespräsident "mit der Elite haben wir kein Problem".

Dr. Lothar Sukstorf | Mi., 30. August 2017 - 18:05

Viva CHE! Viva FIDEL!

Dr. Lothar Sukstorf | Do., 31. August 2017 - 14:03

man liest dort auch an den Wänden ...siempre socialismo...und in vielen Hotel areas, die für Kubaner zugänglich sind, bereiten Mütter ihre ca. 14/15 jährigen Töchter auf, "brezeln" sie auf, damit "alte Säcke" Dollars springen lassen...und die kubanische Polizei steht daneben ohne einzugreifen...habe ich alles selbst gesehen...

Yvonne Walden | Mo., 11. September 2017 - 16:27

Allmählich sollten die staatlichen Machthaber auch auf Kuba bemerkt haben, daß ihr Staatswesen "abgewirtschaftet" hat.
Aber der Verzicht auf bisherige Pfründe dürfte diese Funktionäre schrecken.
Es hilft jedoch nichts: Irgendwann, vermutlich schon bald, werden sie ihre Vorrangstellung verlieren und das Volk an der Gestaltung des politischen Lebens auch auf Kuba beteiligen.
Es wäre doch schön, wenn sich Kuba - was ja möglich sein soll - selbst versorgen könnte.
Die klimatischen Bedingungen dürften optimal sein.
Vielleicht sollte die Kirche selbst aktiv werden und den Menschen zeigen, was in ihnen steckt.
Dann wäre sie nicht weiterhin ein Sammelbecken der Unzufriedenen, sondern die Zugmaschine eines neuen Kuba im 21. Jahrhundert.