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Kein Mahnmal - Wer denkt an die Opfer des Kommunismus?

Bis heute gibt es in Berlin kein zentrales Mahnmal für die Opfer stalinistischer Gewaltherrschaft. Das Gedenken ist geprägt von Verleugnung, Verengung und Zersplitterung – und wird wahlweise mit dem NS-Terror aufgerechnet. Es ist Zeit für ein Umdenken

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Malte Lehming ist Autor und Leitender Redakteur des Berliner "Tagesspiegels".

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Es gibt ein Bild von Angela Merkel und Wladimir Putin vom vergangenen Montag in Hannover, dem die affekthascherische Wucht der halbnackten Frauen von Femen völlig fehlt. Deshalb wurde es wohl von keiner Zeitung abgedruckt. Das Bild entstand am frühen Morgen. Es zeigt die Deutsche und den Russen, wie sie am Ehrenfriedhof am Maschsee-Nordufer einen Kranz ablegen, um der Opfer der Nazi-Herrschaft zu gedenken.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, am 6. April 1945, hatte die Gestapo in Hannover 526 Kriegsgefangene und Insassen von Konzentrationslagern ermordet, darunter 154 Bürger der Sowjetunion. Sie hatten zuvor selbst ihre Gräber ausheben und sich in Viererreihen aufstellen müssen. Dann wurden sie durch Kopfschuss hingerichtet. Es war ein Verbrechen, das die Verbrechen vertuschen sollte. Es ist gut, dass Merkel und Putin daran erinnert haben.

Das Bild vom Maschsee sowie der Auftritt der Femen-Frauen, die den russischen Präsidenten in erster Linie zu amüsieren schienen, führt zu einer hypothetischen Frage: Wie wäre es, wenn Putin, wenn er mal wieder nach Berlin kommt, auch einen Kranz ablegen würde an einem zentralen Mahnmal für die Opfer des Kommunismus? Doch ein solches Mahnmal fehlt. Fast ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kommunismus in Europa ist der Kontinent von einer gesamteuropäischen Erinnerungskultur noch weit entfernt.

Gerade in Berlin, dem Brennpunkt des Kalten Krieges, fällt das besonders auf. Dominiert wird das Gedenken an die Kommunismus-Opfer von Verleugnung, Verengung und Zersplitterung. Im alten Westteil der Stadt, im Bezirk Tiergarten, steht das sowjetische Ehrenmal – in der Mitte der acht Meter hohe Rotarmist, eingerahmt von zwei sowjetischen T-34-Panzern (Verleugnung). Am Steinplatz in Charlottenburg wurde 1951 ein Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus aufgestellt. Auch in der Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde steht ein kleiner Stein mit der verblichenen Inschrift „Den Opfern des Stalinismus“ (Verengung). Es gibt das ehemalige Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen und daneben die Maueropfer-Dokumentation an der Bernauer Straße (Zersplitterung).

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Zentrale Orte des Gedenkens geben Aufschluss über den kollektiven Erinnerungsraum einer Gesellschaft. In Berlin zählen dazu die ermordeten Juden, die Sinti und Roma, die Homosexuellen, demnächst kommen die bei Auslandseinsätzen getöteten Bundeswehrsoldaten hinzu sowie die Revolutionäre vom Herbst 1989.

In Prag, Moskau, Sofia und Budapest allerdings hat man längst auch Orte geschaffen, um an jene Verbrechen zu erinnern, die im Namen von Stalinismus und Kommunismus begangen wurden. Etwas Vergleichbares fordern rund 30 Gruppen, die sich in der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft zusammengeschlossen haben. Überlegt wird auch, die Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in der Neuen Wache entsprechend umzuwidmen.

Wie auch immer: Es ist höchste Zeit für die Debatte. Stalin und den Kommunismus in den Blick zu nehmen, bedeutet dabei keineswegs, Hitler und den Nationalsozialismus zu nivellieren. Die Angst vor diesem Missverständnis ist zählebig. Sie rührt noch aus der Zeit des Historikerstreits, ist aber unbegründet. Wer sie schürt, befördert eher das Verdrängen. In Russland wird Stalin – der Sieger über den Hitler-Faschismus – bis heute stärker verehrt als Michail Gorbatschow. An jedem 5. März, dem Todestag des Diktators, werden an dessen Grab an der Kremlmauer rote Nelken niedergelegt. Vizepremier Dimitri Rogosin will gar die Stadt Wolgograd wieder in „Stalingrad“ zurücktaufen.

Der Historiker Götz Aly wirft nun den Opfern des Kommunismus, die einen zentralen Ort des Gedenkens in Berlin fordern, „besinnungslose Gedenkeritis“ vor. Man dürfe die Häftlinge von Hohenschönhausen mit denen des Archipel Gulag nicht in einem Atemzug nennen, sagt Aly.

Wirklich nicht? Am 27. Mai 1950 rief Erich Honecker auf dem ersten Deutschlandtreffen der Jugend aus: „Es lebe der Bannerträger des Friedens und Fortschritts in der Welt, der beste Freund des deutschen Volkes, Josef Wissarionowitsch Stalin – hurra!“

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Jörg Plath | Sa., 29. Juli 2017 - 10:29

Leider hat sich an der Situation auch bis heute nichts geändert. Die UOKG hat das Mahnmal/Denkmal weiterhin auf der Agenda, das aber auch schon seit Jahren. Politisch passiert nichts. Ich habe den Eindruck, dass das auch nicht gewollt ist. Mir ist nicht bekannt, dass Frau Merkel in Bezug auf die Würdigung der Opfer des Kommunismus bisher über die Maßen in Erscheinung getreten ist. Sie tritt bezüglich dieses Themas eigentlich gar nicht in Erscheinung. Gerade diese fehlende Würdigung und Anerkennung durch die Politik ist es, die auch fast 30 Jahre nach dem Mauerfall eine wirkliche Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur und eine Bewältigung des Traumas des Kommunismus unmöglich macht.