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Evangelischer Kirchentag - Wer Substanz sucht, findet Realsatire

Kolumne: Grauzone. In Stuttgart findet dieses Mal das alljährliche Schauspiel des Evangelischen Kirchentags statt. Und auch dieses Jahr wird die Chance vergeben, etwas theologisch Substantielles zu ergründen und durch politisches Palaver ersetzt

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Seit Mittwoch läuft er wieder: Der Evangelische Kirchentag, diesmal in Stuttgart. Und wie immer, wenn sich das Kirchentagsvolk versammelt, werden wieder „gute Gespräche geführt“ werden, man wird „kritisch diskutieren“, man wird „Stellung beziehen“ (natürlich ebenfalls kritisch) und sich dabei ganz, ganz viel zuhören.

Das wirkt natürlich etwas verkopft und in einer modernen Eventgesellschaft alles andere als attraktiv. Daher wird man auch noch „fröhlich sein“ und „heiter“ und „ausgelassen feiern“.

Sagen wir so: Unter all den Großveranstaltungen dieses Landes, ist der Evangelische Kirchentag diejenige, die einer Realsatire am nächsten kommt. Kaum ein Event ist leichter mit seiner Karikatur zu verwechseln.

Das unfreiwillig Komische wird meistens bereits in dem jeweiligen Kirchentagsmotto deutlich. „Damit wir klug werden“, lautet es dieses Jahr.

Ein Psalm und seine richtige Bedeutung
 

Nun ist gegen Klugheit naturgemäß wenig zu sagen. Auch der Diagnose, dass auf dieser Welt ein deutlicher Mangel dieses begehrten Rohstoffes festzustellen ist, könnte man zur Not noch zustimmen. Was dem Motto jedoch seinen kirchentagsüblichen Beigeschmack verleiht, ist die penetrante Zivilisationskritik, die hier überdeutlich mitschwingt.

Ganz nebenbei, aber mindestens ebenso unüberhörbar wird hier schon mal die Richtung vorgegeben: gegen den bösen Machbarkeitswahn, gegen technischen Allmachtsglauben und menschliche Hybris. Offen diskutieren will man, aber bitte innerhalb eines sorgsam abgesteckten weltanschaulichen Rahmens.

Allerdings ist auch den Organisatoren des Kirchentages aufgefallen, dass der Psalm 90, dem die Kirchentagslosung entstammt, mitnichten eine Ermahnung zum nachhaltigen Wirtschaften oder zum ökologischen Umbau ist. Korrekt übersetzt lautet sie (Ps 90,12): „Unsere Tage zu zählen, das lasse (uns) erkennen, dass wir einbringen ein weises Herz.“

Um Weisheit geht es hier also. Aber nicht etwa um Weisheit im Umgang mit der Natur, der Wirtschaft oder den Ressourcen dieser Welt, sondern um Weisheit gegenüber dem eigenen Leben, der eigenen vergänglichen Existenz.

Gott als Angeklagter
 

Wer der Verfasser war, ist unbekannt, wie bei allen Psalmen. Nur dass er frühestens im 6. vorchristlichen Jahrhundert gelebt hat, wahrscheinlich später, wird an der Grundausrichtung des Textes deutlich. In seiner Bitt- und Klagehaltung passt er zu anderen alttestamentarischen Texten, die aus der Zeit nach der Tempelzerstörung (587 v. Chr.) und dem babylonischen Exil (bis 539 v. Chr.) stammen, wie etwa Hiob oder Kohelet (3. Jahrhundert v. Chr.).

Und dass es mindestens zwei Verfasser gewesen sein müssen, gilt vielen Exegeten als wahrscheinlich. Vermutlich war Vers 12, dem das Kirchentagsmotto entnommen wurde, ursprünglich einmal der Schluss. Später hat man noch fünf Verse hinzugefügt.

Psalm 90 – lesen Sie mal nach, es lohnt sich – ist, wie gesagt, ein Klagepsalm. Doch hier wird nicht einfach nur geklagt, hier wird angeklagt. Und der Anklagte  ist Gott.

Über die Vergänglichkeit des Lebens
 

Allerdings: Die Klage gegen Gott ist keine Klage über die Schlechtigkeit der Welt, über Ungerechtigkeit, Krieg oder Elend. Nicht die Gerechtigkeit Gottes wird in Frage gestellt (wie etwa im Buch Hiob). Psalm 90 zielt tiefer, ins Existentielle, dort wo kein Gott mehr Abhilfe schaffen kann – und schon gar kein Sozialpolitiker.

Denn geklagt wird über die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Diese Klage ist umso schärfer, da der Angeklagte das Unendliche selbst ist („von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du“).

Der Psalm schafft eine beinah buddhistisch anmutende Meditation über den ewigen Kreislauf des Lebens. Dieser wird allerdings nicht positiv konnotiert, sondern vor allem als ein unendliches Vergehen, Sterben und Verwelken dargestellt. Entsprechend ist das Leben vor allem Mühsal, „und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe“ (Vers 10), übersetzt die Luther-Bibel.

Das weise Herz, das der Text von Gott erbittet, zielt also auf Lebensklugheit, darauf, mit unserer Vergänglichkeit leben zu können. Man kann es auch drastisch ausdrücken: Der Psalm bittet um die Klugheit, sterben zu lernen.

Sehnsucht nach Substanz
 

Und was macht der Kirchentag daraus? Ein zutiefst spirituelles und existentielles Anliegen des Menschen verplappert er in ein Palaver über nachhaltiges Wirtschaften, alternative Energien und Bildungsgerechtigkeit. Ein Text, der in ergreifender Weise seelische Nöte artikuliert, wird als Aufhänger benutzt, um ein wenig über politischen Alltagskram zu quasseln.

So gesehen offenbart das Motto der Stuttgarter Großveranstaltung das Elend des institutionalisierten zeitgenössischen Protestantismus: Den mangelnden Willen, theologisch Substantielles zu sagen (obwohl die Ressourcen dafür vorhanden sind) und das hilflose Besetzen dieser Leerstelle mit Politik.

Einer, der das begriffen hat, ist Bundespräsident Joachim Gauck. Der mahnte in einer Diskussionsveranstaltung am Donnerstag: „Das Problem auf Kirchentagen ist doch, dass die Sehnsucht nach dem Schalom auf zu banale Weise in Forderungen an die Politik mündet.“ Wie wahr.

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Günther Biank | Do., 14. Juli 2016 - 11:11

Im Ehrenamt habe ich in der Ev. Kirche viel geleistet.
es gab einen Pfarrerwechsel, dann Mobbing, ich durfte gehen. Die Erträge meines Wirkens übernahm ein Kirchenvorstand. Ich habe viel recherchiert, bin dabei ein Buch zu schreiben, Titel:"Bruchlandungen" im Namen des Vaters und des Sohnes. Ihren Artikel möchte ich verwenden, wenn Sie gestatten, Sie werden es mir sagen: