François Fillon will eine radikale Abwehr des generösen Sozialmodells in Frankreich / picture alliance

Francois Fillon - Biedermann als Brandstifter

François Fillon gilt nach dem Sieg bei den Vorwahlen der Republikaner als Favorit für die Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Paradoxerweise reißt er damit die Linke aus ihrer Lethargie. Selbst Marine Le Pen gibt sich sozialer denn je

Stefan Brändle

Autoreninfo

Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Der Startschuss erfolgt laut und deutlich. Die Vorwahl der Republikaner lanciert auf spektakuläre Weise die Präsidentschaftswahl im kommenden Frühjahr. Alle Medien und Demoskopen rechneten mit dem gemäßigten Alain Juppé oder dem rührigen Nicolas Sarkozy –  gesiegt hat mit 66 Prozent der Stimmen der Biedermann François Fillon. Dabei wollen seine liberalkonservativen Überzeugungen so gar nicht zum jakobinisch-etatistischen Frankreich passen. Selbst am wenigsten überrumpelt durch seinen Überraschungssieg, kündigte der 62-jährige Gaullist am Sonntagabend gleich einen „kompletten Wechsel der Software“ an. Damit meint er eine radikale Abkehr von jenem generösen Sozialmodell, welches Herz und Seele der französischen Republik ausmacht.

Gegen den Widerstand der Straße

Auf die Journalistenfrage, ob er dieses Sozialmodell zerstören wolle, donnerte Fillon in der TV-Debatte am vergangenen Donnerstag: „Von welchem Sozialmodell sprechen Sie? Von dem Modell, das sechs Millionen Arbeitslose generiert, das zwei Millionen Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren außerhalb der Schule oder Ausbildung belässt; von dem Modell, das die Mittelklasse herabstuft, das die Armut und die Wohnungsnot nicht zu bekämpfen vermag?“

Doch nicht genug damit – Fillon will sein Programm wirklich umsetzen, wenn nötig gegen alle Widerstände der Straße. „Ich werde nicht zittern“, richtet er sich an die Adresse seiner politischen Gegner und warnt die Gewerkschaften: „Ich suche die Konfrontation nicht, aber manchmal ist ein Kraftakt nötig.“

Fusion von Sarkozy und Juppé

Mit solchen Worten hat Fillon die Vorwahlen gewonnen. Wie sich zeigt, gelang Fillon eine Art Fusion von Sarkozy und Juppé – mit dem Ersten hat er das rechte Programm gemein, mit dem Zweiten das unaufgeregte, präsidiale Gebaren. Eine erste, noch am Wahlabend erstellte Umfrage erscheint wie Verlängerung seines Triumphs: Danach werden Fillon im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen von Ende April 26 Prozent der Stimmen gutgeschrieben, zwei Punkte mehr als Front National-Kandidatin Marine Le Pen; mehr oder weniger knapp dahinter, würden alle Linkskandidaten ausscheiden. Im entscheidenden Wahlgang gewänne Fillon die Wahl gegen Le Pen mit 67 zu 33 Prozent, also ebenso klar, wie er am Sonntag Alain Juppé überflügelt hatte.

Fillon hat ein starkes Argument: Niemand kann bestreiten, dass Frankreich neue Wege einschlagen muss, wenn es die rekordhohe Massenarbeitslosigkeit nicht nur mit Lippenbekenntnissen bekämpfen will. Um den Wirtschaftsmotor anzuwerfen, will der Ex-Premier die Vermögenssteuer abschaffen und die Firmenabgaben senken; als großer Defizitgegner würde er dafür die Mehrwertsteuer erhöhen.

„Er gibt den Reichen und nimmt den Armen“

Und darin liegt, wahlpolitisch gesprochen, seine große Schwäche: „Er gibt den Reichen und nimmt den Armen“, resümierte Laurent Joffrin von der Zeitung Libération am Montag. Der sozialistische Präsidentschaftskandidat Arnaud Montebourg schimpft, Fillon plane „die Zerstörung der Sozialversicherung und einen Sozialplan für die Beamten“; ins gleiche Horn blasen dessen Rivalen Emmanuel Macron,  der eine eigene Unterstützerbewegung im Internet namens En marche gegründet hat, und Jean-Luc Mélenchon, der für die Kommunistische Partei antreten wird. Erstmals seit langem spricht die Linke wieder mit einer Stimme – gegen Fillon. Das Wochenmagazin L’Obs fasst dies in die griffige Titelschlagzeile, Fillon sei „erzreaktionär, ultraliberal, pro-Putin“. 

Auch wenn Frankreichs gebeutelte Linke durch Fillons Vorwahlsieg wie wiederbelebt wirkt, hat sie noch ein personelles Problem: Präsident François Hollande spielt mit einer Wiederkandidatur und den Nerven seiner Parteifreunde. Am Montag traf er Premier Manuel Valls, der sich am Sonntag ohne Rücksicht auf seinen Vorgesetzten Hollande „bereit“ erklärt hatte. Ihre Aussprache muss die Lage bald klären. Danach werden die Sozialisten zum Angriff auf Fillon blasen. Ihre Hoffnung: Wenn sie in die Stichwahl kommen, können sie den Liberalkonservativen schlagen.

Deshalb ist mit einer sehr harten Präsidentschaftskampagne zu rechnen. Der Spitzenkandidat der Republikaner hat den Ton vorgegeben, seine linken Herausforderer werden kontern. Und sie wissen, wieviel auf dem Spiel steht: Wenn sie keine glaubwürdige Antwort zustande bringen, hat Le Pen eine parat. Fillon habe „das schlimmste Programm sozialen Kahlschlags, das jemals existiert“ habe, wettert sie.

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Peter Hofstetter | Mo., 28. November 2016 - 18:01

Knopfdruck ändern, das ging in Italien mit Renzi schon nicht, das geht nie.

Daher ist es wahrscheinlich, dass Fillon die Linken, die er gegen Le Pen braucht, verschreckt, und ebenso scheitert, wie am Sonntag Renzi in Italien scheitern wird.
Die Folge ist der Austritt Italiens und Frankreichs aus dem Euro und der Zerfall der EU.

Nachdem beide vor allem Streit, Betrug, Erpressung und unkontrollierte Einwanderung zum Nachteil der europäischen Völker gebracht haben, ist eine Neuausrichtung des Kontinents dringend zu wünschen.
Wir müssen wieder an Adenauer und de Gaulle anknüpfen und an ihr "Europa der Vaterländer". Das hatte immer eine Mehrheit, nicht aber das, was anonyme und ungewählte Politiker wie Juncker daraus gemacht haben, das Projekt "Monsterstaat".

Arndt Reichstätter | Mo., 28. November 2016 - 18:09

Da François Fillon das inflationäre Geldsystem nicht anspricht, ist ein schlechtes Zeichen. Allerdings klingt sein Programm sehr gut. Für allem für französische Verhältnisse.

Die Behauptung der Zeitung Libération "er gebe den Reichen und nimmt den Armen", ist hauptsächlich Unsinn. Anscheinend schreibt hier ein ökonomisch Ungebildeter, denn tatsächlich müssen die Armen vor allem aus der Herrschaft der Bürokraten befreit werden. Große Firmen sind nur deshalb kapitalstark (nicht reich!), weil sie die Bedürfnisse von Menschen am besten erfüllen. Auch ein Großkonzern verdient normalerweise nicht mehr als 5% Marge, im Gegensatz zu den Lobbyisten in einem Wohlfahrtsstaat, die locker mal 700% Gewinn einstreichen.

Hauptanteilseigner bei Libération ist übrigens Rothschild. Die sind ja dafür bekannt, dass sie sich um die Armen kümmern :)

Bernd Fischer | Mo., 28. November 2016 - 19:36

Ihr tut mir richtig leid gegen wem ihr hier so mit peinlicher Häme...penetranter Unsachlichkeit...und Inbrunst... so anschreibt.
Kaczynski -Polen
Marine Le Pen-Frankreich
Geert Wilders-Holland
Viktor Mihály Orbán
Dänische Volkspartei DF
Trump USA
und jetzt neu als Tagesknüller...François Fillon-Frankreich
Und nachdem ihr euch an den "Rechten" abgearbeit habt, kümmert ihr euch um die "ewigen" Kommunisten" und schüttet den nächsten "Hämekübel" aus.
In Bulgarien gewinnen die Russlandfreundlichen
Prorussischer Kandidat gewinnt Präsidentenwahl in Moldau.

Habt Ihr Journalisten euch noch nie die Frage gestellt warum die Situation in Europa so ist wie sie im Moment ist, und wer sie verursacht hat?
Warum seid ihr so feige?
Wer hindert euch daran die echten Probleme anzusprechen......der Chefredakteur....oder der Herausgeber? Oder der Zeitgeist??????
Die Angelsächsische Presse ist hart und brutal und spricht Fakten an , im Gegensatz zur deutschen Presse.

FritzXaver | Mo., 28. November 2016 - 19:37

hat schon einmal jemand darüber nachgedacht, das der Herr die Vorwahl nur gewonnen hat, weil viele nicht Republikaner die Vorwahl genutzt haben um Sarkozy zu verhindern. Bei den richtigen Wahlen dürfte dieser Herr in Frankreich deutlich weniger Zustimmung bekommen. Sein an Reagan/Thatcher erinnerndes neoliberales Konzept führt ja auch völlig in die irre.
Der farb- und glücklose möchtegern Sozialist dürfte ebenfalls kaum Zustimmung finden. Le Pen wird die stärkste politische Kraft werden und wird nur durch den Zusammenschluß von Sozialisten und Republikaner verhindert werden können.

Nicolas Wolf | Mo., 28. November 2016 - 20:27

Na das sind ja mal gute Nachrichten! Ich verstehe zwar den Brandstifter nicht, aber egal. Frankreich hat offensichtlich eine Wahl zwischen einer Erneuerung durch den "Neoliberalismus" und eine sozialistischem "weiter so" unter Le Pen und momentan liegt Le Pen hinten. Auch wenn man Unfragen ja aus bekannten Gründen in letzter Zeit nicht so sehr trauen darf, drücke ich Herrn Fillon die Daumen.

Das er den Reichen gibt ist einfach nur Blödsinn, denn im Artikel steht nichts davon. Die Senkung von Steuern ist kein Geben, es ist nur weniger Nehmen! Märchensteuer hin oder her, nur Menschen können Steuern zahlen, alles andere ist Augenwischerei, daher nimmt er den Armen auch so nichts...

Dimitri Gales | Mo., 28. November 2016 - 21:23

Fillon hat sein Programm auf den Tisch gelegt - ein klar artikuliertes und umfangreiches Programm. Nun müssen die Bürger entscheiden, ob sie das mitmachen wollen. Das ist nicht sicher. Bei letzten Stichwahl hat ja nur ein kleiner Teil der Wahlberechtigten abgestimmt - offenbar insbesondere jene, die das Programm Fillon bevorteilen würde. Denn eines ist klar: die Wohlhabenden und Arbeitgeber würden gewinnen, jene die wenig haben, würden die Verlierer sein. Die Arbeitslosigkeit würde in die Höhe schnellen, die Zahl der Bedürftigen, der Ausgegrenzten würde steigen. Fillon sagt, man müsse diese Rosskur durchziehen, damit es dem Land dann besser gehe. Nur: für wen wird es besser. Le Pen wird ihn in diesen Punkten attackieren, ebenso die Linke, oder was von ihr übrig geblieben ist. Mit Hollande, dem in seinem Amt gescheiterten Präsidenten, wollen die Franzosen nichts mehr zu tun haben. Er blieb was er immer war: ein Parteiapparatschik.

Joost Verveen | Mo., 28. November 2016 - 21:45

Mein Tip für die Wahlen in F sieht so aus:

Premier tour=
Fillion raus, Le Pen und Manuel Valls kommen weiter. Ich weiß es klingt seltsam, aber die Konservativen sind nur noch eine leere Hülle, die von der Systempresse bejubelt wird.

Second tour=
Le Pen gewinnt knapp. Anschließend jubelt die Presse nur noch über die Sozialisten. Die Konservativen lösen sich auf wie die in Italien.

Grüne verstehen nichts von Umweltschutz;
Sozialdemokraten sind weder besonders sozial noch ausgesprochen demokratisch;
Und christliche Parteien heissen auch bloss so.
Es wird erst interessant, wenn die islamischen Neudeutschen nicht mehr die Systemparteien der Eingeborenen sondern eine eigene "Islamische Heilspartei" wählen werden. Demographisch werden sie dazu in spätestens 20 Jahren in der Lage sein.

Michaela Diederichs | Mo., 28. November 2016 - 23:20

Sehnsucht nach Werten. Familie, Arbeit, Religion, auch hier offenbar eine Mittelklasse, die sich nicht mehr vertreten sieht durch die Politik. Ein deutliches Signal für DE und Europa. Wer genug Geld, Zeit und/oder Langeweile und sonst keine Sorgen hat, wird dem Wachtelkönig das Biotop erhalten, der Kröte über die Straße helfen, sich vegan ernähren, politisch korrekt sprechen und ganze Flüchtlingsfamilien bei sich aufnehmen. Wahlversprechen, die immer neue Wohltaten generieren, fallen der Politik mehr und mehr auf die Füße. Wem hilft eine 35 Stundenwoche, eine immer frühere Verrentung, wenn er keinen oder nur einen sehr schlecht bezahlten Job findet? Angesichts der Digitalisierung von Arbeit müssen Politiker Antworten finden. Wir müssen uns neu besinnen auf einen verloren gegangenen Wertekanon - auch in DE - sonst geht es in die falsche Richtung. Dem Mittelstand geht die Geduld aus. Der Bogen in der westlichen Welt ist überspannt. Die Zeit zur Besinnung - hier: bis zur Wahl - ist kurz.

Lorenz Kaspar | Mo., 28. November 2016 - 23:38

Bei solch einer boulevardesken Schlagzeile verzichte ich auf das Weiterlesen.

Andreas Müller | Di., 29. November 2016 - 07:46

Wenn Fillon gegen Le Pen in die Stichwahl kommt, steht die französische Linke vor einer interessanten Wahl: totale Selbstaufgabe mit Fillon oder eine Präsidentin Le Pen. 66% für Fillon erscheinen mir viel zu hoch. Es würde deutlich knapper werden.
Ganz nebenbei sei bemerkt, dass beide Kandidaten für Deutschland sehr unbequeme Präsidenten sein werden. Mit Le Pen kommt kurzfristig der Tod des Euro und des deutschen Exportmodells. Aber auch mit einem frischgewählten Fillon gäbe es eine heftige wirtschafts- und außenpolitische Konfrontation. Der nächste Präsident wird sich nicht mehr zum Vizekanzler machen lassen, und das ist auch gut so.

Christa Wallau, Linzer Weg 5, 53567 Asbach | Di., 29. November 2016 - 09:48

Frankreich kann nichts Besseres passieren als dieser Mann, den ich als einen "Realisten durch und durch" bezeichnen möchte. Die Wunschträume der lebensfrohen Franzosen sind längst ausgeträumt, und die Folgen ihres jahrzehntelangen Laissez-faires haben ihren Staat an den Rand des Ruins gebracht. Jetzt hilft nur noch Klartext, d.h. viele unpopuläre, rigorose Maßnahmen. Der Sozialstaat muß wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Damit meine ich: Es kann nur verteilt werden, was von Fleißigen, Strebsamen erwirtschaftet wird. Je mehr Franzosen (denen man ein höheres Maß an Rationalität nachsagt als den Deutschen) dies begreifen, umso eher besteht die Chance auf Besserung der Zustände. Fillon - so scheint mir - wird von Prinzipien geleitet, aus denen sich wieder ein tragfähiges Fundament für den französischen Staat errichten läßt; und wir Deutschen haben in unserer Geschichte ein leuchtendes Beispiel für polit. Handeln nach Prinzipien der Vernunft: Preußen (bis zum 1. Weltkrieg).

Offenbar scheinen Sie Frankreich und das französische Volk nicht zu kennen. Fillon ist eine Marionette der Privilegierten und der Finanzlobbys. Was nicht heisst, dass er in manchen Punkten unrecht hätte. Aber zu glauben, strenge Austerität und Vorteile für die Wohlhabenden würden in der heutigen Zeit Arbeitsplätze schaffen und die Armut zu reduzieren, heisst, die Leute für dumm zu verkaufen.

Frankreich wäre schon sehr geholfen, wenn denen, die arbeiten, auch Vorteile aus ihrer Mühe entstehen würden. Dies ist in Frankreich seit langem nicht mehr der Fall (und wie lange noch in der BRD?). Nun, man darf Fillon „eine Marionette der Privilegierten und der Finanzlobbies nennen“. Doch wie müsste man Leute wie Steinbrück und Schäuble bezeichnen? Interessenvertreter der darbenden Griechen oder des arbeitenden deutschen Volkes? Nein, sie vertreten – genauso wie der französische, „sozialistische“ Finanzminister Sapin – die Interessen der Finanzwelt. In dieser Hinsicht ist Fillon bloss etwas ehrlicher und mutiger. Auch weiss er offensichtlich, dass die heile Welt des aufgedunsenen, multikulturellen Sozialstaates ein Auslaufmodell ist, das sich mit Euros nicht mehr in alle Ewigkeit finanzieren lässt.
P.S. Ich kenne Frankreich (wo ich seit 40 Jahren lebe) sehr gut und kritisiere als Schweizer auch sehr gern die sogenannte BRD. Dabei mag ich Deutschland sehr.

Tatsächlich hat sogar die CDU ( in Teilen ) begriffen das der von den Reichen und deren Handlangern im Bundestag Jahrzehnte lang gern behauptete Satz: "Wenn es den Unternehmen gut geht, geht es allen gut", als kompletter Unfug heraus gestellt hat. Ziel eines Unternehmens ist Gewinnmaximierung und nicht das Weiterreichen staatlicher Unterstützung ( Steuergeschenke ) an die Bevölkerung.

Sie haben sicher recht was die Schaffung von Arbeitsplätzen betrifft.
Aber es kann nicht sein, daß Frankreich jedes Jahr auf´s neue Schulden aufnimmt um der Bevölkerung einen Renteneintritt mit 60 zu ermöglichen.
Weitere fünf Jahre Hollande wären eine Katastrophe.

Dimitri Gales | Mi., 30. November 2016 - 15:01

Antwort auf von Robert Flag

Hollande ist politisch so gut wie tot. Er war ja nur ein Verlegenheitskandidat, er musste an die Stelle eines anderen "sozialistischen" Kandidaten treten (Strauss-Kahn), jener, der ein Problem mit einem Hotelzimmer in New York hatte. Man stimmte für ihn, weil man Sarkozy unbedingt loshaben wollte. Es ist richtig was Sie sagen, aber die ganze Welt ist hochverschuldet, es dreht sich hier um ein globales, komplexes Problem, das ein Land allein auf keinen Fall lösen kann.

Da habe Sie völlig recht. Aber wie soll man es anfangen ?
Es ist ja schon unmöglich nur drei Staaten auf eine Linie zu bringen, geschweige denn 27. Deshalb sehe ich die realistischste Lösung darin, daß einer den Anfang macht.
Nehmen Sie als Beispiel den Brexit. Bis jetzt haben sich alle Unkenrufe nicht bewahrheitet, und ich glaube das wird auch in Zukunft nicht passieren.

"Es kann nur verteilt werden, was von Fleißigen, Strebsamen erwirtschaftet wird."
Die Eurozone als Ganzes hat jahrelang eine sehr ausgeglichene Außenhandelsbilanz gehabt. Da gab es KEIN Problem, sondern ein gesundes Gleichgewicht, leider aber nur nach außen.
Seit der Kürzungspolitik ab 2010 ist der Außenhandel deutlich ins Plus gerutscht, weil die EUROpäer mehr produzieren, als sie verbrauchen. Frankreich ist das durchschnittlichste Euro-Land. Eine Politik, mehr zu erwirtschaften und sich nicht gleichzeitig (nur evtl. an anderer Stelle) mehr zu gönnen, ist deshalb völlig unsinnig. Die Europäer müssen ihren Ungleichgewichte im Innern abbauen, nicht auch noch welche nach außen aufbauen. Spätestens dann, wenn Donald Trump mit Zöllen draufhaut, ist es mit den Überschüssen sowieso vorbei. Die deutsche Begeisterung für Überschüsse ist völlig neben der Spur und ein Hauptproblem. Man muss hoffen, dass Fillon vernünftiger ist als seine Fans.

Robert Flag | Di., 29. November 2016 - 10:09

Ich weiß nicht ob die Presse in Frankreich ähnlich ferngesteuert ist wie in Deutschland. Auf jeden Fall wird es ein geballtes linkes Sperrfeuer geben.
Für Fillon spricht sein hartes Durchgreifen in der Finannzkrise, gegen ihn, daß er gern mal Geschenke annimmt, wie z.B. eine Nilkreuzfahrt von Mubarak.
Reformen sind im überschuldeten Frankreich überfällig und Fillon wahrscheinlich fähiger als der amtierende Waschlappen.
Vielleicht sehen wir demnächst die französische Version von Margaret Thatcher.
Würde mir, glaube ich, gefallen.

Bernd Fischer | Di., 29. November 2016 - 17:20

Antwort auf von Robert Flag

Vergessen Sie dabei die französischen Gewerkschaften nicht, wenn der Fillon die Margaret Thatcher spielen will.

Robert Flag | Mi., 30. November 2016 - 09:24

Antwort auf von Bernd Fischer

Mal sehen, ob sich dort ein zweiter Arthur Scargill findet : )

Robert Müller | Di., 29. November 2016 - 10:40

Ich finde gut, dass die Franzosen hier ein überzeugend "französisches" Reformangebot bekommen. Also kein zweiter "Schröder". Auch der konservative Ansatz ist eine echte Alternative, sowohl zu LePen, als auch zu den Pariser Linken. Interessant auch die dritte Alternative, dass nämlich Fillion - wie Trump - das ländliche Frankreich verkörpert. Speziell da in FR alles auf Paris konzentriert ist, mal etwas anderes. Ich glaube LePen macht das genauso. Im übrigen hätte ich es toll gefunden, wenn die Union auch die Kanzler-Kandidatur geöffnet hätte. Vielleicht wäre das ein Weg für die SPD, wobei angeblich der Kanzlerkandidat der SPD schon feststeht.

Statt "verkörpert" müsste es "anspricht" heißen, denn Trump als Milliardär "verkörpert" eher das was er angeblich ablehnt. Bei Fillion wäre deshalb interessant dessen Schattenkabinet zu sehen. Wenn dort auch wieder nur Absolventen der École nationale d’administration zu sehen wären, dann wäre klar, dass das nur Show ist, wie auch bei Trump.

Ursula Schneider | Di., 29. November 2016 - 11:17

Tendenziöser geht's wohl nicht. Was soll das?

Dass Frankreich dringend Strukturreformen braucht angesichts von Rekordverschuldung, hoher Arbeitslosigkeit und schlechter Wirtschaftslage, ist doch unbestritten. Man kann den Mut von Fillon nur bewundern, der es wagt, endlich mal die heißen Eisen anzupacken und damit den Abschied von diesem "generösen Sozialmodell", das nur auf Schulden basiert, einzuläuten.
Brändle nennt diese Misswirtschaft auch noch "Herz und Seele der französischen Republik". Klingt wie bei Kommissionspräsident Juncker, der Frankreichs Schulden und Reformunfähigkeit jüngst mit den Worten tolerierte, "weil es Frankreich ist". Sehr überzeugend!
Viele französische Wähler mit Durchblick wünschen sich wohl ein anderes Frankreich - trotz der angekündigten sozialen Einschnitte. Großen Respekt!

Frank Goller | Di., 29. November 2016 - 12:31

Vielleicht hat der Mann einfach nur einen realistischen Blick auf die Dinge.

Macar Combrailles | Di., 29. November 2016 - 12:38

Der Sozialismus im Frankreich liegt auf dem Sterbebett. (4% unterstützen Hollande) Niemand glaubt mehr an "sozialistische Werte", die nur Armut, Schuldgefühl, schlechte Leistungen schaffen. Aber Fillon hat nicht nur wegen ökonomischen Gründen gewonnen, sondern wegen seiner radikalen Reden gegen Islam. Sonst wäre der Abstand mit Juppé nicht so groß gewesen. Mit dem Statement ("wir müssen noch ein schweres Problem erledigen, nämlich Islam.. Mehr Laïzität brauchen wir nicht .. Warum auch noch? Islam muss einfach das akzeptieren, was die anderen Religionen in der Geschichte Frankreichs akzeptiert haben "..) hat Fillon das Hauptthema der nächsten Jahren in Europa genannt, nämlich die Frage der Identität. Das ist keine "Biedermann"s Frage sondern eine Zivilisationsfrage. Nach 4 Gemetzeln, einer Enthauptung, faschistischen Uniformen auf die Straßen, fängt erst Frankreich damit an, mit Fillon zu reagieren. 

Anton F. Keller | Di., 29. November 2016 - 13:00

Fillon bedeutet politischen Katholizismus im laizistischen Frankreich.

Was ist das geringere Übel?

Peter Bülow | Mi., 30. November 2016 - 17:20

M. Fillon hat einen sehr gut durchdachten, rationalen Gegenentwurf zu den sozialistischen Utopisten und den Isolationisten der FN vorgelegt. Es ist ein sehr französischer Entwurf, der zuerst dem FN den Wind aus den Segeln nehmen wird und nach der maßlose Enttäuschung über die Sozialisten ein hartes aber vernüftiges Sanierungskonzept anbieten kann. Fillon ist überzeugend, die Leute wissen nach 5 demütigenden Jahren, daß es jetzt um die Identität und die Zukunft Frankreichs geht. Wer die Franzosen kennt, weiß, daß sie allle wenn es brennt neben der Fahne stehen werden, Die Trikolore ist die Fahne der Republik, keine rote Fahne und auch nicht die Fahne des Katholizismus. Ich beneide Frankreich um diese Haltung und das Bewußtsein nationaler Identität. Das ist die wahre Stärke dieser großen Nation. Wir haben uns leider als Nation schon abgeschafft. Frankreich sollte deshalb nach der Wahl Fillon's in Europa die politische Führung übernehmen.

Ich habe für einige Positionen Fillons durchaus etwas übrig, mit denen er die Linke und den Front gleichzeitig besiegen könnte.
Aber ich habe nichts dafür übrig, dass er unter dem Strich die französische Wirtschaft produktiver machen will. Die Welt leidet an Überproduktion nach Überinvestition und einem Mangel an Einkommen, mit dem diese Produktion bezahlt werden kann. Beides muss ins Gleichgewicht gebracht werden, Effizienzsteigerungen müssen zu mehr Einkommen in der Breite der Bevölkerung führen.
Das deutsche "Modell" funktioniert nicht. Es hat nur mit Exportüberschüssen funktioniert, die mit Verschuldung im Ausland bezahlt wurden. Diese Verschuldungspolitik ist aber am Ende und bietet keinen Weg durch die Krise. Je eher Fillon das versteht, desto besser kann er sein Land durch die Krise und aus der Zwangsjacke der internationalen Finanzmärkte bringen. Wenn er der deutschen Politik nacheifert, fliegt ihm sein schönes Land um die Ohren.

Bernhard Küntzel | Do., 1. Dezember 2016 - 10:09

Die Frage eines sozialistischen Kandidaten im zweiten Wahlgang stellt sich gar nicht. Dazu müsste dieser nämlich einer der beiden Bestplatzierten im ersten Wahlgang werden, was angesichts der Gegner Fillon und Le Pen die allerunwahrscheinlichste aller Konstellationen ist. Man muss also gar nicht spekulieren, ob er dort Chancen hätte. 

Warum dieser Niedergang der Sozialisten? Es ist nicht nur das persönliche Versagen des "Tretbootkapitäns" Hollande, nicht nur eine verfehlte Wirtschaftspolitik, die ihm trotz ihres Opportunismus wenig Dankbarkeit eintrug, sondern die (Multikulti-)-Diversitätsideologie, die die traditionelle Wählerschaft dem PS viel stärker entfremdet hat. Er hat so nicht nur die Arbeiterschaft an den Front National verloren, sondern auch viele andere. Was als Kernwählerschaft bleibt,  sind gut verdienende höhere Angestellte, Beamte und große Teile der meinungsproduzierenden und lehrenden Klasse,, eine privilegierte Minderheitsklientel. Damit ist kein Staat zu machen.