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Zukunft des Internets - „Wir werden nicht mehr offline sein“

Seit Wochen bestimmen NSA und Prism die Schlagzeilen. Nicht Wenige fragen sich, wie sie ihre persönlichen Daten im Internet schützen können. Unsere Vorstellung vom Datenschutz wird sich jedoch im Internet der Zukunft zwangsläufig ändern, sagt Dr. Jeanette Hofmann, Direktorin des Alexander-Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft

Autoreninfo

Bachelor in Politik- und Kommunikationswissenschaft. Studiert Internationale Beziehungen im dänischen Aarhus.

So erreichen Sie Sascha Brandt:

Wie sieht das Internet in 20 Jahren aus?
Ein wesentliches Merkmal wird sein, dass es verschwindet, dass es so unsichtbar wird wie andere funktionierende Infrastrukturen auch. Wir sagen ja nicht: „Ich benutze jetzt mal Strom.“ Strom als solches ist für uns nicht mehr im Bewusstsein. Das Internet dagegen schon, weil wir erst nach und nach immer online sind. Irgendwann werden wir nicht mehr offline sein können.

Das Unsichtbare ist laut Bundestag ein Merkmal des „Internet der Dinge“. Wie würden Sie dem Laien den Begriff erklären?
Zunächst ist das „Internet der Dinge“ ein Kunstbegriff wie etwa „Cloud Computing“ auch. Dabei bekommt eine bestimmte Technik einen Namen, der wiederum selbst die Technikentwicklung und die Art, wie wir diese Technik nutzen, prägt. In Amerika oder Japan hat sich der Begriff „Internet der Dinge“ aber nicht durchgesetzt – dort spricht man eher vom „Ubiquitous Computing“.
Immer mehr Dinge werden mit digitalen Schnittstellen ausgestattet, bekommen womöglich eigene IP-Adressen und werden selbst handlungsfähig. Es wird also mehr Beziehungen zwischen Maschine und Mensch, aber auch zwischen Maschine und Maschine geben. Diese Beziehungen können ganz unterschiedlicher Art sein: Entweder kontrollieren Maschinen andere Maschinen oder sie treffen durch die Interaktion mit anderen Maschinen selbst Entscheidungen – und verändern sich dadurch vielleicht auch selbst.

In welchen Bereichen kommt die Technik zum Einsatz?
In der Logistik ist sie am weitesten fortgeschritten. Solche Systeme kommen überall dort zum Einsatz, wo standardisierte Verhaltensweisen bestehen . Sie standardisieren gleichzeitig unser Verhalten – und je standardisierter unser Verhalten, desto eher ist es ersetzbar. Zum Beispiel automatische Supermarktkassen: Sie  ersetzen zunehmend Kassierinnen. Bezahlen kann man seinen Einkauf aber nur, wenn man ganz bestimmten Schritten folgt.

Wenn Geräte miteinander kommunizieren und eigenständig Entscheidungen treffen, gleichzeitig Maschinen unser Verhalten mehr und mehr normieren: Verändert sich dadurch nicht unser Selbstbild?
Das glaube ich schon. Beispiel Big Data: In dem Maße, wie wir unseren Alltag digitalisieren und immer mehr Kommunikation über das Internet erfolgt, in dem Maße erzeugen wir neue Informationen über uns selbst. Manche Leute sprechen davon, dass wir neue Narrative über moderne Gesellschaften schreiben. Und das kann man auch schon beobachten: Wir stellen Fragen und wagen Vergleiche, die ohne Big Data gar nicht vorstellbar sind. Letztens habe ich gelesen, dass jemand anhand von Twitter-Daten verglichen hat, wie lange Menschen unter anderem in New York und Istanbul schlafen. Wir haben mehr und mehr Informationen über moderne Gesellschaften, die wir zuvor nicht hatten. Dies verändert unser Selbstbild. Zudem schreiben wir diesen Daten eine hohe Autorität zu, womöglich mehr als unserem eigenen Urteil. Schließlich können auch Dritte Informationen über uns sammeln und diese zu Profilen zusammenführen, die ein Bild über uns erzeugen, das unserem Selbstbild gar nicht entspricht.

Sehen Sie darin eine Gefahr?
Ja und nein. Einerseits gehöre ich nicht zu den Menschen, die beständig denken, dass jetzt der Himmel herunterfällt. Diese Haltung ist im Internet sehr verbreitet. Ich versuche eher in die Richtung zu denken: Wir werden etwas verlieren, zum Beispiel ein Stück individuelle und kollektive Autonomie. Gleichzeitig werden wir etwas anderes gewinnen: gesellschaftliche Emanzipation. In welchem Verhältnis Gewinn und Verlust zueinander stehen, das muss man sehen. Ich gehöre auf jeden Fall nicht zu denen, die denken, dass dies Prozesse sind, die sich ungesteuert durchsetzen und deren Opfer wir wären.

Wenn wir auf der Verlustseite bleiben: Gerade angesichts der NSA-Affäre sind Überwachung und Datenschutz sehr aktuelle Themen. Werden wir künftig unseren Begriff von Datenschutz neu definieren müssen?
Ja. Dienstleistungen, die auf Big Data beruhen, nicht in Anspruch zu nehmen, ist keine Alternative. Nach wie vor ist es so, dass Daten nur zweckgebunden erhoben und aufgehoben werden sollen. Big Data ist aber genau da gut, wo Anwendungen nicht-zweckgebundene Datensammlungen nutzen. Mit diesem Problem werden wir umgehen müssen.

Viele sehen einen Widerspruch zwischen Datenschutz und wirtschaftlichen Interessen. Facebook ist ein viel zitiertes Beispiel. Gleichzeitig sieht der IT-Konzern Cisco Systems im „Internet of Everything“, wie er „Ubiquitous Computing“ nennt, ein riesiges wirtschaftliches Potenzial: bis 2022 mehr als 14 Billionen Dollar. Wird der technologische Fortschritt nur von wenigen, großen Unternehmen geleitet?
Ich glaube schon, dass der Wandel, den wir in digitalen Umgebungen sehen, von wirtschaftlichen Interessen angetrieben wird. Aber das wird nicht nur von der Anbieterseite bestimmt. Nutzer haben einen extrem hohen Einfluss auf die Entwicklung genommen– und das schon seit den ersten Tagen des Internets. Ich gehe optimistischerweise davon aus, dass das Verhalten von Nutzern, ob sie eine Technologie annehmen oder nicht, auch künftig eine große Rolle spielen wird.

Sie waren selbst Mitglied in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages. Kann die Politik mit dem schnellen technologischen Wandel Schritt halten?
Jede der größeren deutschen Parteien hat inzwischen zwei, drei  Abgeordnete, die sich auf Themen wie Internetregulierung, Datenschutz oder Open Source  spezialisieren. Zu Beginn hatten sie es schwer, hierfür genug Aufmerksamkeit in den Parteien zu finden. Das hat sich aber mit dem Aufstieg der Piratenpartei geändert. Dadurch sind netzpolitische Themen mehr ins Zentrum gerückt, auch wenn sie weiterhin als nicht so wichtig angesehen werden wie etwa Finanz- oder Verteidigungspolitik. Politik ist generell langsamer als technologischer Wandel – das ist aber nicht nur schlecht: Es ist besser, wenn es längere Diskussionen über eine Regulierungsmaßnahme gibt, als dass Schnellschüsse in der nächsten Legislatur zurückgenommen werden müssen.

Wo liegt das größte Potenzial von Big Data und Ubiquitous Computing für die Gesellschaft?
Wissen, ganz klar, gerade auch weil wir Wissen in unserer Gesellschaft sehr hoch bewerten. Man kann zum Beispiel beobachten, dass durch Big Data Patientendaten zusammengetragen werden und wir so Krankheitsverläufe ganz anders wahrnehmen können. Zudem werden künftig neben Menschen auch Maschinen Informationen über ihr eigenes Handeln erzeugen und sich selbst verbessern. Ob man das nun schön findet oder nicht, sei mal dahingestellt.

Das Interview führte Sascha Brandt.


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