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CDU-Hoffnung Younes Ouaqasse - Merkelsöhnchen

Younes Ouaqasse ist 24, Muslim und überzeugter Christdemokrat. Ein Glücksfall für die neue Union

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Prosinger, Julia

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In einem grauen Gebäude spricht an diesem Tag ein Student über die Automarke Lamborghini. Fachhochschule Jena, Präsentationsübung. Lamborghini steht für Geschwindigkeit, für Coolness. Als Nächster ist Younes ­Ouaqasse dran. Er präsentiert die CDU. Die CDU stand nie für Geschwindigkeit, für Coolness schon gar nicht.

In jüngster Zeit aber ist die Partei schneller geworden, sie hat die Wehrpflicht abgeschafft, ist aus der Atomkraft ausgestiegen, akzeptiert schwule und lesbische Lebenspartnerschaften. Beim Parteitag im Dezember 2012 hat sie Aygül Özkan und Serap Güler in den Bundesvorstand gewählt. Und Younes Ouaqasse, Sohn marokkanischer Eltern, gläubiger Muslim. Ein Referat über die CDU muss Ouaqasse nicht vorbereiten. Mitglied wurde er mit 16. Ihm gefielen die Werte der CDU, Familie, Religion. Ouaqasse fand, dass seine Lebensgeschichte da reinpasste, er sah keinen Widerspruch. Mit 18 wurde er Bundesvorsitzender der Schülerunion und damit der erste Migrant, der eine CDU-Organisation anführte.

„Ich kann nicht einfach die Playtaste für meine Familienstory drücken“, sagt er, wenn man ihn nach seiner Geschichte fragt. Aus Sorge, dass ihn jemand zum Quotenmigranten macht. Dann erzählt er doch. Ouaqasse wurde 1988 in Mannheim geboren, lebte die ersten Jahre bei seiner Großmutter in Marrakesch. „Gemeinsames Essen, große Familie, es war eine schöne Zeit“, sagt er. Zurück in Deutschland, mit acht, war die Familie kleiner, dafür gab es Vergnügungsparks und Plastikroboter zum Spielen. Er musste die dritte Klasse wiederholen, übte abends mit dem Stiefvater Deutsch, kam auf die Hauptschule, schließlich auf ein Internat. Er war der Einzige mit Hip-Hop-Hosen. Die anderen trugen Polohemden. Die anderen gingen auf das Gymnasium, das zum Internat gehörte, er auf die Hauptschule auf der anderen Straßenseite. Mit einer Menge Trotz wurde aus seinem Notenschnitt von 3,7 eine 2,1 und schließlich ein Fachabitur.

„Unser dreigliedriges Schulsystem hat sich bewährt“, sagt Ouaqasse seither gern. Wer es nicht schaffe, der brauche mehr Zwang. In seiner Bewerbungsrede für den CDU-Bundesvorstand formulierte er das so: „Ich bin gegen ein Schulsystem, in dem Kinder erst ihren Namen tanzen können, bevor sie ihn überhaupt schreiben können.“ Das gab Applaus.

Mit 20 zog Ouaqasse zum Studium nach Jena an diese kleine graue Fachhochschule im Freistaat Thüringen, den er die Mitte Europas nennt. Für ihn, den deutschen Europäer mit marokkanischen Wurzeln, wie er sich sieht, gibt es kein Ost-West. Ihm fehlen überhaupt Kategorien. Ouaqasse, der Muslim, ist gegen Islamunterricht an deutschen Schulen. Er griff seine Parteikollegin Özkan an, als sie das Kruzifix in Klassenzimmern abschaffen wollte. Die doppelte Staatsbürgerschaft lehnt er ab. Er wollte sich immer voll zu Deutschland bekennen. „Ich liebe dieses wunderschöne Land.“

Europas Asylpolitik? Allein die Frage findet er ideologisch. Er rollt die Augen. Ist die heutige CDU noch glaubwürdig? „Die Gesellschaft verändert sich, wir verändern uns mit – aber unser Wertegerüst bleibt dasselbe.“ Die neuen Positionen der CDU? Bei einem Auto will man doch auch die Servolenkung, sobald es die serienmäßig gibt.

Wenn er politisiert, streift er gern seine Uhr ab und peitscht mit dem Armband auf den Tisch. Manchmal erwischt er damit sogar seine Gesprächspartner. Er will lieber über soziale Gerechtigkeit sprechen und über das, was er erlebt, wenn er auf Besuch in Berlin ist, durch die Stadt spaziert, sich Hochhäuser in Lichtenberg, Villen in Dahlem und Suppenküchen ansieht. Ein Interview mit Jean Ziegler, dem Globalisierungskritiker, hat ihn bewegt. „Ich bin schließlich Politiker, um die Welt ein wenig besser zu machen“, sagt er. „Aber gleichzeitig bin ich nur ein 24-jähriger Student.“

Es kommt vor, dass er das vergisst. Zum Beispiel, wenn er, BWL im fünften Semester, an dem ehemaligen UN-Sonderberichterstatter, 78, herumkrittelt: „Ein paar seiner Zahlen waren natürlich übertrieben.“ Oder als er, damals noch Vorstand der Schülerunion, Nebengast in Maybrit Illners Talkshow sein sollte. Er lehnte ab, weil er sich nicht mit drei Fragen abspeisen lassen wollte.

Fragt man Kommilitonen nach ihm, sagen einige, dass sie Ouaqasse für einen Schnösel halten. Weil er gegen den Studentenrat wettert: „Was soll der Bildungsstreik bringen? Dafür muss doch niemand Kosten für Polizeieinsätze verursachen.“ „Er macht Klientelpolitik für Reiche“, sagt Johannes Struzek, Mitglied des Studentenrats.

Abends sieht man Ouaqasse selten in Jenas Studentenkneipen. Er finanziert sich sein Studium, indem er bei einer Unternehmensberatung arbeitet, fährt nach Mannheim, zu seiner Familie, nach Berlin, zum Bundesvorstand an den Tisch der Kanzlerin. Manchmal, so wie heute nach seiner Präsentation in Jena, besucht ­Ouaqasse die Konkurrenz. Bei Jenas Grünen geht es um Biomasse. Zu Beginn soll sich jeder vorstellen. Ein Imker, ein Schäfer, ein Waldorfschullehrer melden sich. ­Ouaqasse stellt sich nur als BWL-Student vor, so bleibt er in der Beobachterrolle.

Ouaqasse ist mit Angela Merkel groß geworden. An Thüringens Hochschulen wirbt er neuerdings für Nachhaltigkeit, die Studenten sollen seltener aus Papp­bechern trinken. Schwarz-Grün kann er sich auch vorstellen. Seine Ideologie heißt Pragmatismus. 

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