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(picture alliance) Die Geister, die er rief... Christian Wulff kommt nicht aus den Schlagzeilen

Bundespräsident - Wulff müsste gehen – nun wird er bleiben

Mit einem sofortigen Rücktritt hätte Christian Wulff Schaden von sich und seinem Amt abwenden können. Nun muss er bleiben – und niemand wird damit glücklich werden

Christian Wulff befindet sich in einem klassischen Dilemma. Er hat sich in eine Situation hineinmanövriert, in der es keinen Ausweg mehr gibt, um ungeschoren zu entkommen. Egal, wofür er optiert, er wird verlieren. Und trotz alledem muss er sich entscheiden: Trete ich vom Präsidentenamt zurück oder harre ich aus? Sehenden Auges scheint er letztere Alternative gewählt zu haben, wohl wissend, dass die Aussitzstrategie nicht immer erfolgreich und vor allem nicht jedermanns Sache ist.

Ist das eine kluge Strategie?

Betrachten wir die Sache aus der Perspektive des Präsidenten. Wulff ist sich der Zwangslage vollkommen bewusst. Wenn er jetzt zurücktritt, dann wird er die nächsten dreißig, vierzig Jahre die Bürde des geschlagenen und gescheiterten Mannes zu tragen haben. Er wird in die Geschichte eingehen als der jüngste Präsident mit der kürzesten Amtszeit, der sich mit ein paar Geschäftstüchtigen und Wohlhabenden gemein machte, aber zu unbedarft war, die Sache vollkommen zu vertuschen oder ihr den Odem des Selbstverständlichen einzuhauchen. Für Ersteres ist er einfach nicht kriminell genug, für Letzteres fehlt ihm das Amigo-Gen. Bei Franz Josef Strauß wäre es eine Nicht-Meldung gewesen, dass er in besten Freundschaftsverhältnissen mit Millionären steht und sich deren Privilegiertheit persönlich zu Nutzen macht. Bei Wulff ist es aber gerade deshalb eine Meldung, weil er sich jahraus, jahrein als Saubermann der deutschen Politik geriert hat. Man könnte es auch anders sagen: Er ist in die Grube gefallen, die er sich selbst geschaufelt hat.

Eine Chance hat er verpasst, die ihn ehrenhaft aus der Sache hätte entkommen lassen können: den sofortigen Rücktritt mit dem Eingeständnis, dass es ein nicht zu verzeihender Fehler war, im Landtag von Niedersachsen gelinde gesprochen nur die halbe Wahrheit gesagt zu haben. Dass er also dafür stante pede die Verantwortung übernommen hätte und zurückgetreten wäre. Aber einen Käßmann konnte und wollte er nicht machen, weil er ahnte, dass ihm eine Rückkehr zu einer hinreichenden Integrität, gar zu einer neuen Heiligkeit nicht gelingen würde. Was ihm dabei noch in die Quere kommt, ist die fehlende Kaltschnäuzigkeit eines Gerhard Schröders, den es nie juckte, dass er der Genosse der Bosse war. Dieser wollte es unbedingt, jener keinesfalls sein.

So stellt sich für Wulff sein Verharren als wahrlich alternativlos dar. Ginge er, könnte er sich den Rest seines Lebens nicht mehr in den Spiegel schauen. Er hat die Alternative des freiwilligen Rücktritts nicht. Was wäre er ohne sein Präsidentenamt? Genau der liebe Schwiegersohn, als der er verspottet worden ist. Genau der Emporkömmling, über den die Multimillionäre dieser Republik den Rest seiner Tage die Spottkübel ausschütteten. Man muss nicht viel Empathie besitzen, um zu wissen, dass er des Lebens nicht mehr froh werden würde. Wulff muss also bleiben.

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Und Wulff ist sich dieser Alternativlosigkeit vollkommen bewusst. Wenn er vermeldet, dass er die Sache guten Gewissens durchziehen will, dass er selber wissen müsse, "was man macht" und nur er sein Verhalten zu verantworten habe und das auch vorgeblich kann, dann weiß jeder sensible Beobachter, dass es sich hier um das klassische Pfeifen im Wald handelt. Wulff muss jetzt den Yes-I-can-Bundespräsidenten spielen. Er muss business as usual an den Tag legen, the show must go on. Aber er bringt sich dabei sehenden Auges in die Klemme. Was, wenn auch nur noch wenige prekäre Details bekannt werden? Was sagt er dann? Dass er es nicht mehr verantworten kann, um zu schließen mit: "Das kann ich nicht."? Nein, das wird er nicht tun, komme, was da wolle.

Und wir alle ahnen, dass nicht viel mehr kommen wird als diese immer gleichen kleinen Vorteilsannahmen, die wir Normalsterblichen doch auch alle mitnähmen. Warum also mit dem Finger auf Unseresgleichen zeigen? Uns schwant, dass wir keinem durchtriebenen Betrüger vom Schlage eines Guttenbergs aufgesessen sind, sondern nur einem homo novus, der auch gerne mal im Swimming Pool der Reichen baden wollte. Große Leichen im Keller sind nicht zu erwarten. Und genau das weiß auch Wulff. Er weiß, dass er noch einmal davon kommen wird. Und er weiß das insbesondere, weil die gegenwärtige politische Situation ihn schützt. Angela Merkel und die ganze Koalition wird ihn - von Schäuble und von der Leyen abgesehen - halten wollen, halten müssen, um nahezu jeden Preis: Weil der Schaden für das Amt nach dem so kurz zurückliegenden Rücktritt von Köhler unermesslich wäre, weil die Euro-Krise, die FDP-Krise und die niedrigen Umfragewerte der Union eine weitere Krise gar nicht zulassen. Merkel wird ihm schon gesteckt haben, dass er bleiben muss. Ja, Wulff muss bleiben. Ob er will oder nicht.

Aber Wulff kennt - und das ist und bleibt das Dilemma - auch den Preis, den er dafür zahlen wird. Die wahre lame duck der nächsten Jahre ist er. Alle Maßhalte-Reden, alle Integritäts-Appelle gerinnen zur Realsatire. Kein Botschaft der Bunten Republik, des dazugehörigen Islams oder der Zivilcourage gegen Rechtextreme kommt mehr von einem würdigen Staatsoberhaupt, alle seine Worte sind schal und bekommen den Beigeschmack, dass da einer seine Weste wieder rein waschen will. Wulff weiß auch das, er weiß, dass er die Zwickmühle nicht verschwinden machen kann, aber was will er machen? Er wird darunter leiden, aber im Zweifelsfall wird er das eher ertragen als die Schmach des Gehens.

Wulff ist ein Gefangener seiner selbst geworden. Er bleibt und glaubt das Dilemma mit der Wahl des - für ihn - vermeintlich kleineren Übels gelöst zu haben. Er müsste gehen, aber er muss bleiben. Er wird damit nicht glücklich werden. Und wir alle auch nicht.

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