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(picture alliance) Den alten Kopf der Republik "haben wir derweil in Formalin eingelegt"

Ehrensold verdient - Wulff half Deutschland aus der Midlife-Crisis

Die Deutschen sind Christian Wulff einiges schuldig. Denn erst durch das Absägen des Staatsoberhaupts vom Volkskörper können sich die Bürger dieses Landes wieder schöne Gedanken machen

Ich finde, Christian Wulff hat sich seinen Ehrensold verdient. Vielleicht nicht ganz redlich und in dieser Form auch nicht unbedingt nach seinen Vorstellungen. Aber 199.000 Euro im Jahr sind doch eigentlich ein geringer Preis für das, was der Mann in den vergangenen Wochen geleistet hat. Die nationale Therapiesitzung hätte ohne ihn jedenfalls nicht stattgefunden; verwirrt, halt- und orientierungslos würden wir Deutsche immer noch durch unser öffentliches Leben taumeln und mit uns hadern, ohne genau zu wissen, warum. Dabei waren die Symptome dieser Midlife-Crisis (wenn nicht sogar eines regelrechten Burnouts) doch ganz offensichtlich: plötzliche Schweißausbrüche, nächtliche Angstzustände, grundlose Niedergeschlagenheit, überraschende Wutanfälle. Ein allgemeines Gefühl von Überfordertheit.[video:CICERO vor Ort: Was halten Sie von Joachim Gauck?]

Warum? Ganz einfach: Deutschland ist zwar beruflich überaus erfolgreich, aber mit den zwischenmenschlichen Beziehungen wollte es letzthin einfach nicht mehr so recht klappen. Ist ja auch kein Wunder, wenn die französische Gattin sich derart gehen und ihren einstigen Charme nur noch aus kalter Berechnung aufblitzen lässt. Ganz zu schweigen von den alten Geliebten: Griechenland und Italien, vor kurzem noch laszive Schönheiten mit betörendem Temperament und einer irgendwie erotischen Unzuverlässigkeit. Wer hätte schon ahnen können, dass die beiden sich über Nacht in hässliche Schabracken verwandeln, die einem ständig ans Portemonnaie wollen. Wobei Griechenland auch noch die ganze Zeit rumkeift und Töpfe klappernd durch die Gegend läuft, um jedem unserer Nachbarn zu erzählen, was für ein egoistisches Schwein wir seien. Das hält doch auf Dauer keiner aus.

In so einer Situation gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Männer kaufen sich bunte Klamotten und einen teuren Sportwagen und reden sich ein, dass von jetzt an alles so sei wie damals. Frauen dagegen gehen lieber zum Psychiater. Letzteres ist vernünftiger, und weil wir bekanntlich eher zur Vernunft neigen als zu Übersprunghandlungen und noch dazu ein erfolgreiches Gender-Mainstreaming-Programm durchlaufen haben, blieb nur der Weg zum Therapeuten. Besser gesagt: zu den Therapeuten, denn sicher ist sicher. Allesamt schlugen sie freilich als Behandlungsmethode die Familienaufstellung vor. Damit man hinterher im Reinen mit sich sei oder so ähnlich.

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Dr. Jauch, ein schlacksiger Typ mit kindlichen Zügen, ließ es in seinen Sitzungen eher sanft und verständnisvoll angehen; Prof. Plasberg, ein unsympathischer Gernegroß mit Chefarztallüren, war eher auf Krawall gebürstet und konfrontierte sein Patientenkollektiv mit allerlei unangenehmen „Wahrheiten“, wie er es immer nannte. Maischberger, Will und Illner, drei ausgewiesene Kapazitäten auf ihrem Gebiet, hatten es indes schwer, mit der Expertise ihrer männlichen Kollegen Schritt zu halten. Aber auch auf sie haben wir gerne gehört, ihre Ratschläge tragen wir im Herzen. Das Problem, so diagnostizierten es jedenfalls unisono die fünf Ärzte unseres Vertrauens, sei ganz und gar mentaler Art, eine Kopfsache eben. Von kognitiver Dissonanz war die Rede, von einem „Störgefühl“. Dass wir unzufrieden mit uns selbst seien, uns ungeliebt fühlten. Dass es dafür aber gute Gründe gebe, weil wir mit zunehmendem Alter nur noch uns selbst gesehen hätten und unseren eigenen Vorteil.[gallery:Die Bilder der Wulff-Skandale]

Wir müssten wieder lernen, so hieß es in den Séancen ein ums andere Mal, Verzicht zu üben, den materiellen Dingen nicht so viel Bedeutung beizumessen. Sollten ehrlich zu uns selbst sein und zu den anderen. Die Probleme ansprechen, anstatt nur um den heißen Brei herumzureden. Offenheit pflegen und „Transparenz“. Und dass wir dafür erst einmal den Kopf frei bekommen müssten.

Nach fast zwei Monaten des guten Zuredens fassten wir uns dann endlich ein Herz und rissen uns unser dysfunktionales Staatsoberhaupt vom Hals. Manchmal braucht es eben radikale Lösungen; mit diesem Kopf voller schädlicher Gedanken war jedenfalls kein Staat mehr zu machen. Bis Mitte März soll unser neues Haupt da sein, randvoll mit wertvollen Ideen und versehen mit einem Mund, um diese wie Musik erklingen zu lassen. Dann beginnt endlich ein neues Leben, die Herzen der anderen werden uns zufliegen wie die Tauben der Liebe einem frischvermählten Paar.

Bis es soweit ist, müssen wir uns noch mit einem Übergangshaupt begnügen, aber das ist nicht so schlimm. Denn seit wir den alten Kopf abgelegt haben, sind wir endlich wieder halbwegs bei uns; die Fieberschübe schwellen seit dem Wochenende merklich ab, der Volkskörper erhebt sich aus seinem Krankenbett und geht auf immer noch etwas wackeligen Beinen in die Küche, um die erste anständige Mahlzeit seit vielen Wochen zu sich zu nehmen. Tatsächlich, das Essen schmeckt schon wieder!

Unseren alten Kopf haben wir derweil in Formalin eingelegt und bewahren ihn in schlechtem Angedenken auf dem Bücherregal auf, gleich neben dem Grundgesetzkommentar von Maunz, Dürig, Herzog und den gesammelten Reden Richard von Weizsäckers. Da steht er zwar nicht so gut, aber ein anderes Plätzchen ließ sich auf die Schnelle nicht finden. 199.000 Euro kostet die fachgerechte Aufbewahrung des Asservats im Jahr. Ein Tausender mehr, und es wäre eine runde Sache. Das sollte uns der Spaß wert gewesen sein.

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