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Rücktrittsdrohung von Wolfgang Schäuble - Merkels Varoufakis

Im Streit um die Griechenlandpolitik hat Finanzminister Wolfgang Schäuble eine rote Linie übertreten: Er hat mit seinem Rücktritt kokettiert. Die Art und Weise ist unerhört – und verfassungswidrig. Ein Kommentar

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Das vorweg: Ich lag falsch. Angela Merkel und Wolfgang Schäuble sind sich im Prinzip nicht einig in der Europapolitik, in der Griechenlandpolitik.

Sie sind komplett überkreuz. Sie will keinen Grexit, er will ihn immer noch. (Das „auf Zeit“ kann man sich dabei schenken. Ein temporärer Grexit ist so etwas wie die „Aussetzung“ der Wehrpflicht).

Wolfgang Schäuble hört nicht auf, das in der Öffentlichkeit zu sagen. Er stellt sich als Chefverhandler des dritten Hilfspakets quer zu der Politik der Bundeskanzlerin.

Das allein ist schon ungeheuerlich. Aber es wird noch ungeheuerlicher. Schäuble sagt in einem Interview mit dem „Spiegel“, niemand könne ihn zu irgendetwas zwingen. Er könne ja jederzeit zum Bundespräsidenten gehen und um seine Entlassung bitten.

Schäuble missachtet das Grundgesetz


Einen vergleichbaren Vorgang sucht man in den Kabinetten der vergangenen 30 Jahre vergeblich, wenn es ihn denn je gegeben hat. Finanzminister Wolfgang Schäuble stellt sich über die Kanzlerin. Nicht sie würde er um seine Demission bitten, sondern gleich das Verfassungsorgan Nummer eins. Nur mal so zur Erinnerung: Im Grundgesetz steht nicht, wer keine Lust mehr hat als Minister, der geht zum Bundespräsidenten und meldet sich ab. Sondern da steht: „Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen.“ Auf Vorschlag des Bundeskanzlers!

Der Jurist Schäuble macht damit zweierlei. Er führt Merkel vor. Und er missachtet das Grundgesetz. Dort steht, in Artikel 65: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung.“ Schäubles Gebaren missachtet den ersten Satz und ist vom zweiten nicht gedeckt. Es ist ihm egal, wer unter ihm Kanzler ist. Einen selbsternannten Zweitkanzler aber sieht die Verfassung nicht vor.

Noch einmal: Dieser Vorgang ist atemberaubend und unerhört. Seltsamerweise wird das bislang kaum so kommentiert. Das Land scheint völlig eingelullt von Merkels Regierungsstil, dass jede berechtigte Wallung und Empörung erlahmt. Oder wie ist das sonst zu sehen, wenn der wichtigste Minister – dem Merkel für diesen Posten damals eine Wild Card gesichert hat bei der Vergabe der Ministerien – der Kanzlerin auf der Nase herumtanzt und im Bundestag 60 Abgeordnete der eigenen Fraktion gegen ihre Kanzlerin stimmen? Dabei haben diese 60 (plus fünf Enthalter) im Unterschied zu Schäuble immerhin noch das Grundgesetz auf ihrer Seite. Sie sind frei in ihrer Entscheidung.

Merkel hielt ihm die Treue


Schäuble hat viele Jahre unter Merkel ertragen. Ihr Zaudern, ihr Taktieren, ihr Lavieren. Aber selbst im striktesten Hintergrundgespräch hat er sich lieber die Zunge abgebissen, als davon etwas zu erkennen zu geben.

Sie wiederum hielt dem Mann, den sie so oft erniedrigt hat, die Treue, als er lange Zeit wegen der Folgen seiner Behinderung im Krankenhaus lag. Damals bot er ihr – und nicht dem Bundespräsidenten! – seinen Rücktritt an. Sie lehnte ab. Er solle sich alle Zeit nehmen, die er für die Genesung brauche, sagte sie damals am Krankenbett zu ihm.

Das Verhältnis Merkel/Schäuble ist eines der komplexesten und kompliziertesten in der deutschen Politik. Es hat gehalten, trotz allem. Jetzt hält es nicht mehr. Schäuble erträgt Merkels Politik offenbar nicht mehr, weil er als überzeugter Europäer ihre Griechenlandpolitik für falsch hält. Wenn das aber so ist, dann muss er entweder die Kanzlerin von seiner Politik überzeugen. Oder gehen. Oder sie muss ihn entlassen. So wie das jetzt läuft, geht das jedenfalls nicht. Und so geht das auch nicht lange gut.  

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