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Wolfgang Kubicki im Interview - „Wir sind nicht kaltherzig“

Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Kiel, profilierte sich durch öffentliche Angriffe auf die eigene Parteiführung. Nun will er selbst die Geschicke der FDP lenken. Im Telefon-Interview beklagt er mangelnden Datenschutz im schwarz-roten Koalitionsvertrag und spricht sich für die Zerschlagung von Großkonzernen aus

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

So erreichen Sie Vinzenz Greiner:

Cicero Online: Herr Kubicki, kann’s losgehen? Sitzen Sie bequem?

Wolfgang Kubicki: Ich sitze nicht nur bequem, ich fahre gerade im Auto durch Hamburg in einem riesigen Stau. Schleswig-Holstein und Hamburg sind mittlerweile dabei, sich vom Rest der Republik abzunabeln, glaube ich. Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland ist wirklich bemerkenswert.

Infrastruktur – das wäre doch ein Thema für den Wahlkampf gewesen!

Wissen Sie: Wir haben im Wahlkampf eigentlich nichts kommuniziert außer unseren mangelnden Mut und mangelnde Souveränität. Wie sollen Sie jemandem vertrauen, der sich selbst nichts mehr zutraut und der zum Schluss sogar erklärt: „Wer Merkel will, muss FDP wählen“?

Die Antwort haben Sie ja an der Wahlurne bekommen. Welche Schuld haben Sie persönlich eigentlich am Wahldebakel?

Man kann sagen, ich hätte die Wahlniederlage verursacht, weil ich öffentlich gemahnt hätte. Oder man kann auch sagen, die Wahlniederlage ist zustande gekommen, weil man auf meine Mahnung nicht frühzeitig gehört hat. Ich überlasse die Antwort anderen.

Ich bin mir sicher, dass einige der Wahlkampfentscheidungen anders getroffen worden wären, wäre ich früher ins Parteipräsidium gewählt worden. 

Welche?

Die ganze Wahlkampfführung mit der Konzentration auf die Themen „Wir senken den Soli“ und „Wir kämpfen um Wachstum“. Das konnte eh keiner mehr glauben angesichts der Tatsache, dass wir schon mit knapp 15 Prozent der Wählerstimmen nicht mal eine klare Steuerreform durchgesetzt haben. Und Wachstum ist doch nur Mittel zum Zweck, um für eine möglichst große Zahl von Menschen Wohlstand zu organisieren.

Ich hätte mich niemals allein darauf reduzieren lassen. Und ich hätte in der letzten Woche definitiv nicht darum geworben, man müsse die FDP aus Mitleid wählen und nicht wegen ihrer eigenen Überzeugung.

Das Image-Problem der FDP. Warum soll eine „verbrannte Marke“, wie Sie einmal Ihre Partei bezeichneten, überhaupt neu aufgelegt werden? Wäre dann nicht eine neue Partei mit einem hippen Logo angebracht? Oder ein Wahlbündnis mit den Piraten?

Diese Frage ist frech, weil ich mir nicht vorstellen kann, welche Gemeinsamkeiten wir mit der Piratenpartei hätten. Die Marke der FDP ist beeinträchtigt. Ebenso wie in der Vergangenheit auch andere Marken im wirtschaftlichen Bereich beeinträchtigt waren. Es gab eine Zeit, da war zum Beispiel VW verpönt. Mittlerweile ist es einer der erfolgreichsten Konzerne, die wir in Deutschland haben.

Ich bin mir sicher, dass wir uns nicht wegen unserer Inhalte schämen und neu positionieren müssen. Das Karlsruher Grundsatzprogramm ist, wie ich finde, sehr überzeugend – auch für eine Vielzahl von Menschen. Miserabel war schlicht und ergreifend die Art und Weise unserer Präsentation.

Die FDP hat vieles wirklich nicht so glänzend präsentiert und kommuniziert.

Es wird eine neue Führung geben, die eine völlig andere Art der Kommunikation hat. Christian Lindner und ich beispielsweise kommunizieren anders, als es in der Vergangenheit Führungspersönlichkeiten unserer Partei getan haben. Christian Lindner kommuniziert nachdenklicher.

Sie, Herr Kubicki, sind aber für Ihre poltrigen Auftritte bekannt. Werden Sie alt?

Ich werde älter, wie wir alle.

Nun ja, Sie sagen, die FDP müsse weniger schrill, weniger großmäulig sein.

Das klingt gar nicht mehr nach mir, weil Sie glauben, ich sei großmäulig. Ich versuch das mal zu kontern: Die schleswig-holsteinische FDP hat seit dem Jahr 1992 bei keiner Wahl unter fünf Prozent bekommen.

Ich glaube, dass die Menschen von uns erwarten, dass wir pragmatische Lösungen anbieten und nicht so tun müssen, als seien wir im Besitz letzter Wahrheiten.  

Aber sie mögen den gepflegten Auftritt. Heißt das, dass Sie jetzt ruhiger werden wollen?

Nein. Ich würde mich gerne mit Argumenten auseinandersetzen und nicht von Vornherein zurückweisen, dass Argumente keine Existenzberechtigung hätten – was wir unserer eigenen Partei allerdings auch gelegentlich vorgeführt haben. Der Umgang mit Frank Schäffler zum Beispiel entspricht nicht meinem liberalen Weltbild. Ich teile viele seiner Auffassungen nicht. Aber auch seine Meinung hat Respekt verdient.

Was meinen Sie dann mit „völlig anderer Art von Kommunikation“, wenn Sie nicht ruhiger werden wollen?

Christian Lindner und ich lassen uns beide nicht darauf reduzieren, dass die FDP eine Steuersenkungspartei oder nur Wirtschaftspartei ist. Wir legen beide sehr viel Wert darauf, dass unser Freiheitsbegriff in Zusammenhang mit Verantwortung steht und deshalb diejenigen, die leistungsfähiger sind, auch eine größere Verantwortung für die Gemeinschaft haben.

Christian Lindner wettert auch gegen das Machtdiktat des „Konzernkapitalismus“. Will die FDP jetzt mehr Wähler mit Che-Guevara-Shirts statt Lacoste-Polos?

Ich dachte bisher, Cicero sei eine vernünftige Zeitschrift. Das ist ja nicht die Alternative. Selbstverständlich hat das eine große Bedeutung. Gerade für Ordoliberale, die wissen, dass es keinen gänzlich freien Markt geben darf, weil es dort nicht mehr nach wirtschaftlichen Kriterien sondern nur noch nach Machtkriterien geht.

Wenn wir Unternehmen haben, die so groß sind, dass für sie die Insolvenzordnung nicht mehr gelten muss, darf oder kann, dann haben wir ein gespaltenes Recht. Und dann müssen wir dafür Sorge tragen, dass diese Unternehmen kleiner werden, sodass sie keine gesellschaftlichen Eruptionen mehr auslösen können. Oder aber wir müssen dafür sorgen, dass die Insolvenzordnung im Zweifel dort auch durchgesetzt wird.

Ich akzeptiere nicht die Behauptung, es gäbe systemrelevante Banken, die nicht pleitegehen können. Dann haben wir keinen einheitlichen Rechtsstaat mehr, sondern einen, in dem es die Möglichkeit für einige wenige gibt, sich auf Kosten der Allgemeinheit einen schlanken Fuß zu machen.

Das klingt nach dem Versuch, sich auch ein wenig fürs linke Milieu zu öffnen.

Wir müssen uns weder öffnen noch schließen. Wir müssen einfach nur unsere Grundsätze in praktische politische Handlungsanleitungen umsetzen. Und dann werden wir – egal wo – eine ausreichende Anzahl von Menschen finden, die die FDP unterstützen.

Die Tatsache, dass die FDP als kaltherzig, als egoistisch und egomanisch dargestellt werden konnte, ist auch ein Beleg dafür, dass das Image zu unseren Lasten verändert wurde und wir nichts dagegen unternommen haben.

Es gibt zwar einige wenige Libertäre in der FDP, die glauben, man müsse den Staat abschaffen und jeder müsse zunächst an sich selbst denken, weil dann an alle gedacht sei. Ich halte das aber für einen völlig falschen Weg. Denen sage ich immer: Leute, wenn euer Haus brennt, dann ruft ihr auch die Feuerwehr und schaut nicht zu, wie’s abbrennt.

Wir sind nicht kaltherzig. Im Gegenteil: Wir sind eine auf die Menschen ausgerichtete Partei. Wir brauchen die Solidarität und die Gemeinschaft. Das sind Grundfesten der Liberalen. Allerdings kann nur der solidarisch sein, der selbst stark genug ist, weil er ansonsten ja nicht helfen kann.

Deshalb bin ich sicher, dass wir die Menschen mit einer etwas anderen Art aufzutreten und zu kommunizieren wieder erreichen werden.

Sie haben 2012 in der heute show gesagt, dass die FDP den Nerv der Leute nicht treffe. Wie wollen Sie künftig diesen Nerv finden und treffen?

Indem wir deutlich machen, dass liberale Überzeugung ein Lebensgefühl ist.

Deutschland versprüht dieses Lebensgefühl nicht gerade. Im September haben die Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich konservativ und etatistisch gewählt.

Ja, das haben sie. Aber es gibt eine ausreichende Anzahl von Menschen in diesem Land in der Größenordnung von bis zu 30 Prozent, die ihr Leben selbst gestalten, genießen wollen und dafür sehr viel tun wollen. Und diese Menschen möchten in einer Gesellschaft leben, in der sich alle Menschen so positionieren können. 

Dieses Lebensgefühl kann man vermitteln.

Sie sagen, „liberal“ heißt, das eigene Leben gestalten zu können. Sind Sie dann Schwarz-Rot dankbar für den Koalitionsvertrag? Darin finden sich ja Forderungen wie die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und der Wegfall der Optionspflicht bei der Staatsbürgerschaft.

Das ist etwas, was die FDP schon immer in ihrem Programm hatte. Aber das hat die Große Koalition ja nicht verwirklicht. Sie wartet immer noch auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, um das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften zu generieren. Die vollständige Gleichstellung ist im Koalitionsvertrag nicht enthalten.

Ich erkenne in dem Papier relativ wenig Liberales. Wenn ich mir vorstelle: Vorratsdatenspeicherung, die künstliche Aufregung der Sozialdemokraten über die NSA-Affäre… Wir liefern denen jetzt die Daten von 82 Millionen Menschen frei Haus, die müssen jetzt gar nicht mehr spionieren. Und das anlasslos. Ich finde das unerhört. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird schlicht und ergreifend ignoriert.

Ich sehe auch sonst nichts, was darauf hinausläuft, die Bürgerrechte und die Privatsphäre zu schützen.

Dann haben Sie also doch etwas mit den Piraten gemeinsam.

Wir haben mit den Piraten nichts gemeinsam, weil es diese Forderung der FDP schon gab, als es die Piraten noch nicht gab. Und wir formulieren unsere Vorstellungen auch nicht in Anlehnung oder Abgrenzung zu anderen politischen Organisationen.

Ich kann nicht ausschließen, dass der ein oder andere Punkt auch in anderen politischen Organisationen aufgenommen wird. Aber ich bin sicher, dass es keine andere Partei gibt, in der das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, zu Wettbewerb, Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft auf der einen Seite, und zum Schutz der Privatsphäre – soweit es geht – auf der anderen Seite, so verankert ist wie in der FDP.

Wie erklären Sie sich dann, dass etwa 800.000 ehemalige FDP-Wähler zur Linken, Grünen und SPD gegangen sind. Wissen die alle nicht, was „liberal“ bedeutet?

Die Tatsache, dass Menschen woanders hingegangen sind, kann auch was damit zu tun haben, dass sie von uns weggegangen sind, weil sie das Erscheinungsbild der FDP in ihrem öffentlichen Wirken für nicht mehr akzeptabel gehalten haben.

Wenn ich sozusagen Grundrechts- und Bürgerrechtsliberaler wäre und von der FDP nicht mehr angesprochen würde, dann würde ich eher zu den Sozialdemokraten gehen als zur Union. Und wenn ich auf mehr Wettbewerb setzen würde, würde ich eher zur Union gehen als zur SPD.

Aber noch einmal: Dass Menschen von uns weggegangen sind, hat etwas mit unserem Erscheinungsbild zu tun und nicht mit der Attraktivität der anderen. Die Erfolglosigkeit der FDP bei der Bundestagswahl haben wir uns selbst zuzuschreiben – und niemand anderem.

Wenn die Union, die für Wirtschaftsliberale durchaus wählbar ist, jetzt potenziell mit den Grünen koalieren kann – wo ist dann die Funktion der FDP?

Dann können Sie auch fragen: Wo ist die Funktion der Grünen? Die Koalition allein ist noch kein Selbstzweck. Es geht um praktische Lösungsmöglichkeiten.

Es gibt eine ausreichende Wählerschar – das sehe ich beispielsweise an den Wahlergebnissen in Schleswig-Holstein –, die gerne möchte, dass die FDP in ihrer vollen Bandbreite am politischen Geschehen mitwirkt. Und das werden wir bei den nächsten Wahlen dokumentieren.

Die Tatsache, dass wir diesmal unter fünf Prozent gelandet sind, ist ein bedauerlicher Einzelfall in der deutschen Geschichte. Und ich werde alles, was ich tun kann, dafür tun, dass die FDP nicht noch mal ein solches Schicksal erleidet.

Der Parteichef hat ja schon Konsequenzen aus dem Schicksal der FDP gezogen. Was war eigentlich die größte Leistung von Philipp Rösler?

Er hat eine Vielzahl großer Leistungen erbracht. Seine größte Leistung war es, darauf hinzuweisen, dass es mit der Energiewende nichts werden kann, wenn man in wirtschaftliche Prinzipien wie Wettbewerb und Effizienz eingreift, weil das Gegenteil von gut immer gut gemeint ist.

Für die FDP-Führung interessiert sich niemand mehr. Wer soll sich dann eigentlich für einen Herrn Kubicki interessieren, der sich als Kritiker der Partei-Führung profiliert?

Viele. Sonst würden Sie mich ja nicht interviewen und einige andere auch. Ich kann mich nicht über Termine für Interviews und öffentliche Auftritte beklagen.

Also weiter kritisieren, aus der Reihe tanzen, wachrütteln?

Da ich mich anschicke, Führungsverantwortung mit zu übernehmen, muss ich nicht mehr wachrütteln, sondern mit der Vielzahl der Mitglieder meiner Partei dafür Sorge tragen, dass die Wahlniederlage vom September 2013 eine Episode in der deutschen Geschichte bleibt.

Deshalb fordern Sie vehement eine grundsätzliche personelle Neuordnung. Warum soll der Kelch ausgerechnet an Ihnen vorbeigehen?

Das entscheiden die Delegierten auf dem Parteitag. Ich stelle mich zur Wahl. Das ist ja nicht mehr als ein Angebot. Aber ich merke an der Tatsache, dass viele Landes- und Kreisverbände mich bitten, vor Ort für die liberale Sache zu werben, ein gewisses Bedürfnis vorhanden ist, dass ich mich mehr in die Partei einbringe.

Was sagen Sie dazu, dass Christian Lindner Marie-Agnes Strack-Zimmermann als künftige Partei-Vizin ins Gespräch gebracht hat. Wollten nicht eigentlich Sie künftig Stellvertretender Parteivorsitzender werden?

Wir wählen drei Stellvertretende Parteivorsitzende. Und wenn ich das richtig verstanden habe, wird Frau Dr. Strack-Zimmermann dort, wo ich kandidiere, nicht kandidieren. Auch das wäre egal, wir sind ja eine Wettbewerbspartei. Jeder ist dazu aufgerufen, der glaubt, er könne die FDP entscheidend voranbringen.

Die Partei wählt den aus ihrer Sicht besseren Kandidaten oder Kandidatin und wird dann die nächsten Jahre damit auch gestalten müssen.

Was könnten genau Sie besser zum Aufbau der FDP beitragen als jemand anderer?

Ich lese gelegentlich den Cicero, was nicht jeder in unserer Partei tut.

Jetzt mal im Ernst.

Also die Frage, was ich besser kann als andere, halte ich für wenig zielführend. Ich weiß, wie gut ich bin. Ich glaube, dass ich mit meiner Erfahrung, die Partei zu positionieren und Wahlkämpfe zu führen auch dazu beitragen kann, die nächste Bundestagswahl erfolgreich für die FDP zu gestalten – und überhaupt die nächsten Wahlen für die FDP erfolgreich zu gestalten.

Sie sehen gerne Kriegsfilme. Schauen Sie seit der Wahlniederlage andere Filme an – zum Beispiel „The Day After“, wo es um die Welt nach einem Atomkrieg geht?

Ich guck mir die Kriegsfilme ja nicht nach aktuellen Ereignissen an, sondern um zu entspannen. Mein Geschmack hat sich seit der Bundestagswahl nicht verändert. Ich gucke nach wie vor auch keine Doku-Soaps.

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