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(picture alliance) Beim Ausbau hakt's noch gewaltig: Monteure arbeiten in Nordrhein-Westfalen an einem Hochspannungsmast

Kompetenzwirrwarr - Wird die Energiewende zerrieben?

Die Energiewende ist ein ambitioniertes Projekt. Ob alle Teilziele erreichbar sind, bezweifelt selbst der Umweltminister. Wie ist das zu bewerten?

Am Montag und Dienstag findet zum dritten Mal der „Petersberger Klimadialog“ statt, zu dem Umweltminister aus 35 Staaten nach Berlin reisen. Ein wichtiger Termin, um „Vertrauen aufzubauen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft. Das scheint auch im eigenen Land nötig zu sein. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) gestand ein, dass die Regierung die Schwierigkeiten auf dem Weg zur Energiewende vor einem Jahr ziemlich unterschätzt hat. In einem Interview mit „Bild am Sonntag“ sagte er: „Wir haben Fehler gemacht.“

Zweifelt die Regierung tatsächlich an der Umsetzbarkeit der Energiewende?

Die Regierung eher nicht – vielleicht mit Ausnahme von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Aber in der Wirtschaft selbst gibt es starke Zweifel am Sinn und der Umsetzbarkeit der Energiewende. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel warnte am Wochenende in der „Rheinischen Post“ davor, „blind in die Krise“ zu kaufen. Altmaier selbst sagte: „Nicht jedem war der Koordinierungsbedarf bei der Energiewende klar.“ Bei ihm sind die leisen Zweifel an einigen Teilzielen der Energiewende eher als „Erwartungsmanagement“ zu verstehen. Beim Weltgipfel Rio+20 vor zwei Wochen sprach er immer wieder davon, dass verhindert werden müsse, dass die Erwartungen zu hoch seien. Sonst gäbe es Enttäuschungen wie nach dem katastrophal gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen 2009. Da er sein politisches Schicksal direkt mit dem Gelingen der Energiewende verbunden hat, muss er nun verhindern, auch für das Versagen anderer in Haftung genommen zu werden. Das trifft seinen Vorgänger Norbert Röttgen (CDU), der sich kaum um einen Dialog aller Beteiligten bemüht hatte. Es betrifft aber auch seine Kollegen Rösler und Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). Altmaier nennt beispielsweise das Ziel, bis 2020 eine Million Elektroautos auf den Straßen zu haben. 2011 sind nach Angaben des Kraftfahrtbundesamts ganze 2.154 zugelassen worden. Bis Ende 2011 gab es 4.541 Elektroautos in Deutschland. Würden bis 2020 jedes Jahr 2.154 neue zugelassen, wären es bis dahin gerade mal 21.773 – weit entfernt von einer Million.

Braucht das Land einen Energieminister?

Darüber sind die Meinungen geteilt. In der SPD hat diese Forderung relativ viele Anhänger. Auch der Bremer Regierungschef Jens Böhrnsen zählt dazu. Sein Parteichef Sigmar Gabriel sagte am Sonntag: „Die Bundesregierung muss Verantwortung abgeben, weil sich die Ministerien gegenseitig blockieren und das System selbst wohl nicht mehr verstehen.“ Er schlug eine „Energiewende-Agentur“ vor, in der Industrie, Wirtschaft, Verbraucherverbände, Länder, Stadtwerke und Energieunternehmen sitzen sollten. Ob er die Branchenverbände der erneuerbaren Energien absichtlich vergessen hat? „Diese Agentur muss der Politik dann Vorschläge machen, an welcher Stelle Entscheidungen getroffen werden müssen“, fuhr Gabriel fort.

Aktuell sind die Zuständigkeiten für die Energiewende auf mehrere Ministerien verteilt: Das Umweltministerium verantwortet den Ausbau erneuerbarer Energien. Das Wirtschaftsministerium ist für die Energieeffizienz, den Ausbau des Stromnetzes, das Gas-Pipelinenetz und die strategische Ölreserve zuständig. Das Bau- und Verkehrsministerium soll mittels eines Sanierungsplans die Gebäudesanierung und zudem einen klimafreundlichen Wandel beim Verkehr bewirken. Das Landwirtschaftsministerium achtet darauf, dass die Bauern vom Ökoenergieboom profitieren. Und das Forschungsministerium entscheidet, woran geforscht wird.

Einerseits macht diese Verteilung eine enge Kooperation zwischen den Ministerien notwendig. Andererseits bildet diese Verteilung die Realität ab. Energiepolitik hat eine zentrale wirtschafts-, umwelt- und gesellschaftspolitische Bedeutung. In einer Agentur, wie sie Gabriel vorschlägt, würden die verschiedenen Interessen ebenso aufeinanderprallen wie sie es jetzt bisweilen im Kabinett tun. Aber es ist ziemlich sicher, dass es keine Energiewende gäbe, wenn die bisherigen Wirtschaftsminister – von Wolfgang Clement (SPD) über Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bis zu Rösler – dafür zuständig wären. Die Ressortverteilung führt zu einer Machtteilung, die der Energiewende mehr nutzt als schadet.

Seite 2: Wo hakt es bei den erneuerbaren Energien?

Wo hakt es bei den erneuerbaren Energien?

Das Ausbautempo der erneuerbaren Energien hat alle Prognosen übertroffen. Das passt vor allem den vier großen Energiekonzernen nicht. Denn inzwischen sind Wind- und Solarstrom eine echte Konkurrenz für Kohle- oder Atomkraftwerke. Aktuell kommen drei Strategien zum Einsatz, um den Vormarsch der erneuerbaren Energien zu bremsen. Peter Altmaier selbst hat ins Gespräch gebracht, den Ausbau an den Fortschritt beim Ausbau der Stromnetze zu koppeln. Hans-Peter Keitel vom BDI schlägt vor, den Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien um zehn Prozent zu beschneiden. Bisher gilt: Umweltfreundlicher Strom muss von den Netzbetreibern bevorzugt eingespeist werden. Nur wenn die Netzstabilität gefährdet ist, dürfen Wind- oder Solarparks abgehängt werden. Die Energiekonzerne und die Wirtschaftsverbände haben zudem eine Preiskampagne gegen die Erneuerbaren gestartet. Ihr Argument: Die Erneuerbaren sind schuld an steigenden Strompreisen. Eine These, die angesichts sinkender Preise an der Strombörse in Leipzig schwer haltbar ist. Nur für Haushaltskunden steigen die Preise – das allerdings seit Beginn der Liberalisierung des Strommarktes vor mehr als zehn Jahren. Aktuell liegt der Anteil der Förderumlage bei 3,5 Cent pro Kilowattstunde Strom. Im Herbst erwarten die Netzbetreiber bis zu fünf Cent, bei einem Preis von 23 bis 25 Cent für Haushaltskunden.

Das zweite Problem sind die gegenläufigen Ziele der Bundesländer. Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen verstehen den massiven Ausbau der Offshore-Windenergie in der Nordsee als Revitalisierungsprogramm ihrer Küstenregionen. Sie wollen „Stromexporteure“ für die industriellen Zentren in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern sein. Die beiden Südländer aber sperren sich gegen eine Abhängigkeit von den Nordländern und haben selbst ehrgeizige Ausbauprogramme für die Windenergie auf den Weg gebracht. Die Länder dazwischen wie Hessen und Thüringen dagegen sind wenig begeistert, als „Transitländer“ herzuhalten.

Wo liegen die Defizite bei der Erhöhung der Energieeffizienz?

Ziel der Bundesregierung ist, bis 2020 den Energieverbrauch um 20 Prozent zu senken. In seinem Interview hat Umweltminister Altmaier jetzt von nur zehn Prozent gesprochen – um dann daran zu zweifeln, ob selbst das erreichbar sei. Das liegt vor allem daran, dass es in Deutschland keine erkennbare Effizienzpolitik gibt. Zwar gibt es für Neubauten ziemlich strikte Auflagen für den Energieverbrauch von Gebäuden. Doch der Hauptanteil der Gebäude ist alt, mehr als die Hälfte ist sogar vor 1979 gebaut, also bevor es erstmals eine Energieeinsparverordnung (Enev) gegeben hat. Das Kreditprogramm der KfW-Bank zur Gebäudesanierung gibt es zwar seit Jahren. Doch sein Umfang ändert sich nahezu jährlich. Und um die Sanierungsquote von aktuell einem knappen Prozent auf zwei Prozent zu erhöhen, müsste der KfW-Fördertopf etwa fünf mal so groß sein wie er aktuell ist. Der Versuch, Gebäudesanierung steuerlich zu fördern, schmort seit Monaten im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat. Zudem hat Wirtschaftsminister Rösler hat ein Jahr hart daran gearbeitet, die EU-Energieeffizienzrichtlinie möglichst schwach ausfallen zu lassen – mit Erfolg.

Welche Entscheidungen stehen an?

In diesem Jahr soll es noch mindestens ein halbes Dutzend wichtiger Entscheidungen für die Energiewende geben. So soll ein Gesetz zur Netzanbindung von Offshore-Windparks auf den Weg gebracht werden. Gelingt es nicht, rechtzeitig eine Leitung zu legen, haften künftig alle Stromverbraucher, die Betreiber bekommen dann Strom bezahlt, den sie nicht ins Netz einspeisen können. Damit ist allerdings das Problem, dass der zuständige Netzbetreiber Tennet über zu wenig Eigenkapital verfügt, um die notwendigen Investitionen zu stemmen, noch nicht gelöst. Nach der Sommerpause soll der Streit über die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung im Vermittlungsausschuss gelöst werden.

Das wichtigste Vorhaben aber ist der Netzentwicklungsplan. Gerade endete die Erörterungsfrist für den Entwurf der vier großen Übertragungsnetzbetreiber. Demnächst werden sie den Plan der Bundesnetzagentur vorlegen, die ihn nach einer weiteren öffentlichen Diskussion dem Parlament übergibt. Der Bundestag entscheidet über den Plan, der in Zukunft jährlich fortgeschrieben werden soll. Kernstück sind mehrere große Leitungen von der Küste zu den industriellen Zentren im Süden und Westen Deutschlands. Insgesamt geht es um mehr als 4.000 Kilometer neuer Stromleitungen.

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