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(picture alliance) Champagner für wenige - denn Armut macht Angst

OECD-Studie zur Ungleichheit - Wir Reichen unter uns

„Divided we stand“. Eine neue Studie führt uns einmal mehr vor Augen, wie ungerecht es bei uns in Deutschland zugeht. Dabei sind neben den viel zu schlechten Löhnen aber auch wir selber Schuld - und unsere Angst vor der Armut

Ich war gerade in Stuttgart. Dort haben wir drei Salatherzen gekauft, für 3 Euro fünfzig. Es war in einem schönen Feinkostladen in der Innenstadt, draußen bimmelte der Weihnachtsmarkt, wir wollten noch Knödel für den Sauerbraten besorgen. Neben mir an der Kasse tätigten andere kaschmirgekleidete Damen ihre Einkäufe. Der Salat schmeckte prima, eigentlich wie der, den ich sonst aus dem Supermarkt hole. Da kostet er die Hälfte. Aber an diesem Tag gehörte das Einkaufen mit zum vorweihnachtlichen Gefühl, die Familie war beisammen, da sollte es etwas Besonderes sein. Beim Heraustreten in die Fußgängerzone saß da ein Bettler. Er hatte seinen amputierten Fußstumpf freigelegt, um das Mitgefühl der Passanten zu erregen. Ich hatte noch den Geruch des frischen Gemüses von der Feinkosttheke in der Nase und stapfte schnell vorbei.

Deutschland kann sich dieser Tage mal wieder einer Spitzenposition im internationalen Vergleich rühmen. Wir sind organisiert, diszipliniert, alles hört auf unser Kommando in Sachen Euro-Rettung. Und unser Land, so eine neue Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat seit 1990 einen gewaltigen Sprung gemacht – in Richtung Ungerechtigkeit. „Divided we stand“ – durch das Land geht ein Riss. Zu diesem Schluss kommt die OECD. Natürlich gibt es noch ein paar mehr Länder, in denen die Einkommensschere so weit auseinander klafft wie bei uns. Das sind dann Nationen wie die Niederlande, Frankreich oder Griechenland. Deutschland aber kann sich rühmen, von einer eher ausgeglichenen Gesellschaft in den 80er und 90er Jahren in das Mittelfeld der Ungleichheit hervorgeprescht zu sein. Vorne weg traben selbstbewusst noch immer ewige Sieger wie die USA und Mexiko.

57.300 Euro. Dieses Netto-Gehalt verdienten die obersten zehn Prozent der deutschen Einkommensbezieher durchschnittlich im Jahr 2008. Das ist in etwa acht mal so viel wie das Gehalt der untersten zehn Prozent, die wiederum mit nur etwa 7400 Euro Netto blöd dastehen. Damit hat sich Deutschland von einem Sechs-Zu-Eins-Verhältnis in den 90ern vorangetastet an den OECD-Durchschnitt, der momentan bei neun zu eins liegt. Unsere Einkommensungleichheit ist damit „erheblich stärker gewachsen“ als in den meisten anderen OECD-Ländern.

Mit welcher Begründung, mag sich der Laie da fragen. Warum ist das so? Wird nicht ständig das tolle Wirtschaftswachstum gelobt? Das kommt aber offensichtlich nicht den Menschen in Deutschland zugute, die es brauchen. Nein, die gut verdienenden sind es, bei denen die wachsenden Haushaltseinkommen zu Buche schlagen. Von den 0,9 Prozent des durchschnittlichen Wachstums erreichen Verdiener aus der untersten Einkommensklasse lediglich 0,1, die obersten zehn Prozent dagegen 1,6 Prozent. Schuld daran ist vor allem die katastrophale Entwicklung der Löhne, oder sollte man besser sagen: Nicht-Entwicklung?

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Seit Anfang der 90er Jahre konnten die Netto-Reallöhne in Deutschland kaum einen Zuwachs verzeichnen, zwischen 2004 und 2008 gingen sie sogar zurück. Die minimale Anhebung der Gehälter in Deutschland wird also meist sofort wieder von der Inflation geschluckt und das, obwohl die Arbeitnehmer besser denn je ausgebildet sind. „Gute Löhne sind essenziell“, heißt es indes bei der OECD. In einem Land aber wie Deutschland, das sich seit Jahren darauf beruft, die Löhne niedrig zu halten, um die Exportwirtschaft nicht zu gefährden, klingt das fast wie Hohn.

Ansätze der Bundesregierung, um die schlimmsten Auswüchse der Ungerechtigkeit einzudämmen, könnten Änderungen im Steuersystem oder auch das Verteilen von Sozialtransferleistungen sein, so sieht es die OECD. Dabei bleibt das Land aber weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Anstatt sich die fehlenden Gelder von den Besserverdienern zu holen, beschließt die schwarz-gelbe Koalition Steuererleichterungen. Überlegungen wie die der SPD über höhere Einkommenssteuern oder eine Vermögenssteuer werden weiter in den Wind geschlagen. So wird man der hiesigen Ungerechtigkeit nicht Herr. Mehr Menschen müssen in Lohn und Brot gebracht werden, in ordentliche Jobs mit Karrierechancen und guter Bezahlung. Bessere Bildung während der Kindheit, der Jugend und im Arbeitsalter sind nötig. Sinnvolle Steuer- und Sozialreformen und das Zwingen der Steuerflüchtigen in ihre Verantwortung. Das wären Maßnahmen, mit denen der Einkommensschere ein Hebel vorgeschoben werden könnte.

Eines aber können auch die besten politischen Maßnahmen nicht ändern – den sozialen Wandel und das ängstlich-krampfhafte Festhalten der Mittelschicht an ihren einmal gewonnenen Pfründen: Das Modell „Chefarzt heiratet Krankenschwester“ läuft aus, so die Studie der OECD. Heute heiratet also der Chefarzt die Oberärztin, so bleiben die Reichen unter sich und vermeiden die Gefahr, sich mit der dreckigen Armut abzugeben und womöglich in ihre Fänge zu geraten. Was einst altmodisch klang, wird so wieder Avantgarde. „Divided we stand.“

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