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(picture alliance) Ein Aufsteller erinnert am Rande der diesjährigen BKA-Herbsttagung an die Mordopfer des NSU

BKA-Tagung zur NSU - „Wir haben verstanden.“ Ach ja?

Immerhin – das BKA stellte seine diesjährige Herbsttagung in Wiesbaden unter den Titel: „Bekämpfung des Rechtsextremismus“. Die Einen übten Selbstkritik und gestanden, das Thema insgesamt unterschätzt zu haben, die Anderen wiesen Vorwürfe strikt von sich. Ein Bericht von Volker Schmidt

Man könnte meinen, die deutschen Sicherheitsbehörden hätten aus der lange unentdeckten Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) gelernt. Immerhin stellte das Bundeskriminalamt seine traditionelle Herbsttagung in Wiesbaden ganz ins Zeichen der – so der Titel – „Bekämpfung des Rechtsextremismus“.

Mehrere hochrangige Vertreter von Polizei und Verfassungsschutz übten Selbstkritik: Zu Beginn der zweitägigen Konferenz in Wiesbaden räumte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ein, die deutschen Sicherheitsbehörden hätten die Dimension des Rechtsterrorismus unterschätzt. Er sprach ein Jahr nach Bekanntwerden der Existenz einer rechtsextremen Terrorzelle von einem „Schock für die Sicherheitsbehörden“. Auch Jörg Ziercke, seit vielen Jahren BKA-Präsident, gestand ein, es habe Fehler gegeben.

Doch schnell schalteten beide von ein wenig Zerknirschung um auf die Abwehr von dem, was sie für Überreaktionen halten. Keineswegs sei die Polizei auf dem rechten Auge blind, sagte Ziercke. Die Ermittler hätten ein mögliches rechtsextremes Motiv der Morde durchaus geprüft, es habe sich aber schlicht nicht erhärten lassen. Und Innenminister Friedrich erklärte, es sei unangemessen, gleich die gesamte Sicherheitsarchitektur der Republik infrage zu stellen.

Generalbundesanwalt Harald Range, seit der Aufdeckung der NSU-Serie mit den Ermittlungen betraut, verwies zwar darauf, die Gesellschaft stelle sich „die beklommene Frage“, ob die Taten hätten verhindert werden können. Bei seiner Antwort beschränkte er sich allerdings weitgehend auf die juristischen Schwierigkeiten seiner Behörde, wenn es darum gehe, die Ermittlungen an sich zu ziehen. Dass die Mordserie lange in der Hoheit der Länder verfolgt wurde, liege an den hohen und zum Teil vage definierten gesetzlichen Hürden dafür, dass der Generalbundesanwalt sich für zuständig erklärt.

Mehrere Redner verwiesen darauf, dass sich die rechtsextreme Szene inzwischen gezielt so organisiere, dass sie nur schwer zu verfolgen sei. Scheinbar lose Stammtische, Kameradschaften und die sich oft über das Internet organisierenden Autonomen Nationalisten erfüllten nicht die Definition der terroristischen Vereinigung, sagte Range.

Auch Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, beschrieb, wie sich die Szene verändert habe: weniger Personen, aber dafür höhere Militanz. Viele Gruppen verbänden „Lifestyle mit Neonazismus“, sagte er und sprach von einem „Aktionismus ohne ideologische Tiefe“ – der aber gravierende Auswirkungen habe: „Jeden Tag geschehen in Deutschland zwei rechtextreme Gewalttaten, davon eine fremdenfeindlich motiviert.“ Dabei gehe die Tendenz von spontanen Prügeleien zu geplanten Aktionen, bis hin zu den „kaltblütigen Exekutionen“ der NSU-Terrorzelle. Diese Gefahr hätten die Behörden zu spät erkannt.

Um solche Versäumnisse in Zukunft zu verhindern, setzen die Akteure vor allem auf eine bessere Vernetzung. Friedrich und Maaßen erhoffen sich Abhilfe vom Gemeinsamen Abwehrzentrum Rechts der Polizei und der Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern, von der Verbunddatei für rechtsextreme Gewalttäter und einer Stärkung der Rolle des Bundes. Keinesfalls könnten Verfassungsschutzämter und der Staatschutz der Polizei auf den Einsatz von V-Leuten verzichten. Maaßen betonte, nur mit ihren Erkenntnissen ließen sich Terrorakte verhindern und Menschenleben retten. Auch Generalbundesanwalt Range hält V-Leute für unersetzbar. Er nannte den verhinderten Anschlag auf die Grundsteinlegung eines jüdischen Kulturzentrums in München 2003 als Beispiel. Die Frage, wie die Spitzel geführt werden und welche Regeln für sie gelten, stehe aber auf einem anderen Blatt.

Es blieb dem Politologen Armin Pfahl-Traughber überlassen, darauf hinzuweisen, dass Reformbedarf beim Verfassungsschutz tiefer gehe, dass mehr Kommunikation nicht reiche. Pfahl-Traughber unterrichtet an der Fachhochschule des Bundes auch Verfassungsschützer. Er hält die „schwerwiegenden Fehler und Versäumnisse“ in der Verfolgung der NSU-Mörder nicht für einen Zufall. Sie seien vielmehr Folge einer „Fixierung auf ein überkommenes Modell terroristischer Organisation“: die geschlossene Gruppe nach dem Vorbild der RAF.

Die Behörden hätten, meinte er, erkennen müssen, dass Rechtsextreme die losen Strukturen islamistischer Terrorzellen übernehmen könnten. Dass dies nicht geschehen sei, liege nicht an einem Verwaltungs-, sondern an einem Erkenntnisproblem. Seiner Einschätzung zufolge fehlt den Behörden die Fähigkeit zur Analyse. Die Dienste bräuchten „mehr Fachleute statt Verwaltungsjuristen“ auch in den Führungsetagen, und es müsse eine „stärkere Kooperation von Sicherheitsbehörden und Sozialwissenschaften“ geben.

Einige Redner aus Wissenschaft und Journalismus wunderten sich bei der Tagung zwar darüber, dass Rechtsrock-Konzerte oder Neonazi-Veranstaltungen mit Freizeitcharakter so oft offenbar unbehelligt von den Sicherheitsbehörden stattfinden können. Der Tenor der Veranstaltung aber sollte ein anderer sein: Wir haben verstanden. Zweifel daran sind angebracht.

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