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(picture alliance) Armin Laschet, künftiger Vorsitzender der NRW-CDU

Armin Laschet - „Wir dürfen die CDU nicht sozialdemokratisieren“

Der designierte Vorsitzende der NRW-CDU, Armin Laschet, kritisiert im Cicero-Online-Gespräch die Bundespartei, Kanzlerin Merkel sowie seine beiden Vorgänger Norbert Röttgen und Jürgen Rüttgers. Zudem fordert er eine Grundsatzdebatte über den künftigen Kurs der Union

Herr Laschet, als künftiger neuer Vorsitzender des größten Landesverbands der CDU müssen Sie eine Partei aufrichten, die völlig am Boden liegt. Haben Sie weiche Knie?
Das ist in der Tat eine große Herausforderung, das wird nicht einfach. Die NRW-CDU hat am 13. Mai eine historische Niederlage erlitten. Rheinländer und Westfalen, Sozialausschüsse und Mittelstandsvereinigung, jung und alt zusammenzuhalten, das wird meine Hauptaufgabe sein. Die sehe ich mit einigem Respekt.

Aber Sie haben selbst in Ihrer Landespartei nur die halbe Macht. Sie wollten eigentlich, dass das Amt des Landesvorsitzenden und des Oppositionsführers im Landtag in einer Hand liegt. Warum haben Sie den Machtkampf gegen Fraktionschef Karl-Josef Laumann gescheut? Weil Ihnen Kämpfen nicht liegt?
Na ja, auf die Idee ist noch niemand gekommen, der mich kennt. 

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Diesmal haben Sie es nicht gewagt. Weil Sie fürchteten, eine dritte Niederlage nach den beiden 2010 gegen Norbert Röttgen im Kampf um Landesvorsitz und Spitzenkandidatur und gegen Laumann um den Fraktionsvorsitz wäre für Sie die letzte?
Ich hätte das diesmal gewinnen können, es gab viele Ermutigungen. Es ist aber nicht immer klug, nach jedem Posten zu greifen. Die Fähigkeit zur Gemeinsamkeit, wenn die Basis dies wünscht, ist auch ein Zeichen von Klugheit. Wenn das im Team funktioniert, was Karl-Josef Laumann und ich in langen Gesprächen sorgsam überlegt haben, kann das eine Erfolgsgeschichte werden.

An der SPD mit der Troika sieht man, dass es nicht funktioniert. Irgendwann muss die Entscheidung fallen, wer der Frontmann ist.
Bisher fährt die SPD ganz gut damit.

Die Kanzlerin steht unangefochten der Spitze!
Das liegt aber nicht an der Troika der SPD mit ihren drei Kandidaten und ihren ganz unterschiedlichen Profilen. Natürlich muss man irgendwann die Richtungsentscheidung fällen. Und wir werden 2016 oder 2017, wenn es auf die nächste Landtagswahl zugeht, auch eine klare Entscheidung treffen, wer antritt.

Also ist die Entscheidung nur aufgeschoben?
Wenn die SPD ein Jahr vor der Bundestagswahl nicht weiß, wen sie ins Rennen schickt, müssen wir das nicht fünf Jahre vorher klären. Das hat auch Vorteile.

Viele haben die schwere Niederlage der CDU am 13. Mai vor allem dem Spitzenkandidaten Norbert Röttgen zugeschoben, der Düsseldorf offensichtlich nur als kurzen Zwischenstopp auf dem Weg zur Nachfolge von Angela Merkel und ins Kanzleramt betrachtete. Aber liegen die Ursachen nicht viel tiefer? Schon bei der letzten Wahl bekam die NRW-CDU das schlechteste Ergebnis seit 1945.
Nobert Röttgen hat seine Verantwortung für das Ergebnis übernommen und Konsequenzen gezogen. Aber das war nicht der einzige Grund. Wir haben die Verschuldung im Wahlkampf zu einem Kernthema gemacht, aber letztlich nicht beantwortet, wie wir es besser machen würden. Das war ein großer Schwachpunkt...

… von Röttgen?
Wir wollen doch nicht nur über Norbert Röttgen sprechen! Der für mich beunruhigendste Punkt ist, dass wir Wirtschaftskompetenz eingebüßt haben. Wir haben in NRW oft Wahlen verloren, aber in Wirtschaftsfragen lagen wir immer vor der SPD. Deshalb wird es eine der Kernaufgaben sein, in diesem großen Industrieland dafür zu sorgen, dass wir die Wirtschaftskompetenz zurückgewinnen – mit Auswirkungen auch auf die Bundespartei. Wir müssen wieder die Partei werden, die in Wirtschafts- und Finanzfragen bei den Bürgern das höchste Vertrauen genießt. Die Wirtschaftsdaten sind so, dass man das eigentlich gut begründen könnte. Aber es gelingt uns nicht, das auch mit Personen zu verkörpern und mit Themen zu besetzen.

Hat das in NRW nicht schon unter dem „Arbeiterführer“ Jürgen Rüttgers begonnen?
Die Regierungspolitik der fünf Jahre Schwarz-Gelb von 2005 bis 2010 war ein Aufbruch und viele Menschen haben dies so empfunden. Wir hatten viele neue Ideen. Wir haben 2008 eine solide Finanzpolitik gemacht und einen ausgeglichenen Haushalt erreicht, wir haben an den Hochschulen für Innovationen gesorgt, wir haben eine moderne Familien-und Integrationspolitik gemacht und in Bildung investiert. Aber der Eindruck, unser Vorbild sei Johannes Rau, war falsch und hat viele Leute verunsichert. Den waren sie ja endlich los, der hat dem Land nicht gut getan, den wollten unsere Wähler nicht wiederhaben! 

Die CDU hat die Landtagswahl zur Abstimmung über die Schuldenpolitik von Rot-Grün gemacht. Die Wähler fanden jedoch offenbar deren Kurs richtig. Hatte Röttgen also nicht doch Recht als er kurz vor der Wahl sagte, es gehe auch um die Sparpolitik der Kanzlerin in der Euro-Krise?
Natürlich hatte er Recht! Er wollte meiner Einschätzung nach nicht eine mögliche Niederlage Angela Merkel in die Schuhe schieben, sondern er wollte eine klare Antwort auf die Wahlen in Frankreich und Griechenland geben und sagen, wir haben eine andere Idee von Politik, selbst wenn die jetzt gescheitert ist. Da muss man Grundsätze auch aufrecht erhalten und den Wählern immer wieder erklären, dass Verschuldungspolitik auf Dauer nicht trägt. Das war ehrlich verbunden mit dem Risiko, auch eine Wahl zu verlieren. 

Ihre Partei hat am 13. Mai nur noch ein Viertel der Wählerstimmen bekommen, nur jeder Sechste Wahlberechtigte unterstützt sie noch. Bei der Landes-SPD sind es, gemessen an der Wahlbeteiligung, 25 Prozent. Erleben wir die finale Krise der Volksparteien?
26 Prozent sind ein ernster Vorgang. Aber auch die "Nicht-Volksparteien" sind nicht stabiler. Wir erleben gerade, wie sich die Linke zerlegt. Ob die Piraten von Dauer sind, ist offen. Die Grünen sind inzwischen auch eine wenig innovative Partei. Mein Ziel ist, dass die CDU aus der Krise wieder neue Kraft schöpft, um ihren Charakter als Partei für das ganze Volk zu bewahren.

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Sie möchten wie Merkel die CDU modernisieren und öffnen für neue Themen und Wählergruppen. Aber in den Städten, bei den Frauen, Jungen und grün-Angehauchten, Ihren Zielgruppen, gewinnt die CDU nicht hinzu. Im Gegenteil: Bei den Erstwählern lag die CDU bei der Landtagswahl noch hinter den Piraten auf Platz 4. Ihre stärkste Wählergruppe sind die Rentner.
Wir dürfen den richtigen Kurs der Öffnung erstens nicht unter dem Ziel der Sozialdemokratisierung verfolgen, indem wir deren Themen übernehmen. Oder zweitens gar nur um neue Wählerschichten zu erschließen. Wir müssen aus unseren Grundsätzen, die Bestand haben, für die heutige Zeit neue Antworten finden müssen. Der große Konzilspapst Johannes XXIII hat das "Aggiornamento" genannt, bleibende Werte in die heutige Zeit übersetzen. Die Antworten sind anders als vor 30 Jahren. Dazu gehört die Frage nach den konservativen Wurzeln. Ist die Wehrpflicht ein konservativer Wert? Die hat ein konservativer CSU-Verteidigungsminister abgeschafft! Nicht weil er einen Linksruck wollte, sondern weil die sicherheitspolitischen Herausforderungen heute eben andere sind.

Aber das ist in der Union kaum diskutiert worden. Viele Mitglieder kommen nicht mehr mit, in welchem Tempo die CDU alte Grundsätze über Bord wirft.                                               
Die Aussetzung der Wehrpflicht ist – im Gegensatz zur Energiewende – auch in den Landesverbänden breit diskutiert und auf einem Bundesparteitag beschlossen worden. Sie bedeutet keine Aufgabe konservativer Substanz, weil die Lage heute anders ist als im Kalten Krieg. Das gilt auch für andere Fragen. Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen beim Schulkonsens mitgemacht. Andere haben gesagt, da habt Ihr schon wieder etwas preisgegeben! Aber der Druck dazu kam aus den konservativsten Regionen, weil auf dem Land die Abnahme der Schülerzahlen das bisherige dreigliedrige Schulsystem in Frage stellt und neue Kooperationsformen erfordert.

Dennoch benötigen Sie für ihre neue Politik Mehrheiten, auch in der eigenen Partei.
Die Wahl 2010 haben wir auch deshalb verloren, weil wir dem Wunsch der Bürgermeister und der Eltern zu wenig Rechnung getragen haben. Es war kein Gewinnerthema mehr, nur auf das dreigliederige Schulsystem zu setzen, ohne neue Kooperationsmöglichkeiten.

Sie gehörten in den 90er Jahren zur „Pizza-Connection“, die eine Annäherung an die Grünen suchte. Die Grünen stehen jetzt aber wieder fest an der Seite der SPD. Ist der Traum von Schwarz-Grün ausgeträumt?
Leider ist der Versuch in Hamburg und im Saarland gescheitert, aus lokalen und regionalen Gründen. Die Grünen haben sich, auch in NRW, wieder sehr an die SPD angelehnt. Im Wahlkampf haben die sogar Frau Kraft auf ihre Plakate gedruckt. Gebracht hat es ihnen nichts.

Gab es denn in NRW jemals eine Chance für Schwarz-Grün?
2010 hätte es sie gegeben, wenn wir nicht so viel verloren hätten. Jetzt ist der Zug erstmal abgefahren. Ich sage aber nicht, Schwarz-Grün ist nicht mehr denkbar. In vielen NRW-Kommunen ist es Realität. Thematisch wird sich das im Land wie im Bund an Einzelfragen entscheiden. In Zeiten vieler Parteien in Parlamenten entscheiden dies die Wähler. 

Wenn Sie es nicht schaffen, den Landesverband bis zum nächsten Jahr wieder so aufzurichten, dass die CDU im bevölkerungsreichsten Bundesland deutlich mehr Stimmen holt als die 26 Prozent, wird Merkel nicht Kanzlerin bleiben. Ist sie jetzt von Ihnen abhängig?
Wenn wir in NRW nicht mehr als 26 Prozent erzielen, ist die Bundestagswahl verloren. Das ist klar. Deshalb müssen wir ganz schnell aus der Lethargie heraus kommen. Ich halte das für möglich, weil Wähler sich heute schnell bewegen. Wenn sie merken, die haben die Botschaft verstanden, da tut sich was in der CDU, die haben neue Ideen, dann kommen sie auch zurück. Das ist meine Hauptaufgabe für die nächsten zwölf Monate.

Das heißt, Sie werden sich auch in der Bundespolitik stark einmischen?
Ja. Wir wollen sie mit unserer programmatischen Arbeit befruchten. Zu unserer Landesfamilie gehören Persönlichkeiten wie Friedrich Merz und Norbert Blüm. Volkspartei CDU wird hier gelebt. Deshalb wird das, was wir hier leisten, auch die Bundespartei beeinflussen.

Holen Sie Merz zurück?
Er ist mir ein wichtiger Ratgeber. Aber er macht beruflich jetzt etwas anderes.

Gibt es jemand anderes, der für Wirtschaftskompetenz steht? Sie sind es ja bislang auch nicht.
Als Landesvorsitzender werde ich das Thema sicher besetzen, aber wir brauchen dafür auch neue, gute Leute. Unternehmen, große wie kleine, haben zum Beispiel ihre Probleme mit der Energiewende und sind uns auch deshalb nicht mehr gefolgt.

Auch dafür trägt Röttgen die Verantwortung.
Wir alle.

Werden Sie den Anspruch erheben, anstelle von Röttgen einer der Stellvertreter von Merkel zu werden?
Es ist jetzt nicht die Zeit, Ansprüche zu stellen. Wir werden nach Absprache mit den anderen Landesverbänden nach der Sommerpause entscheiden, ob wir bei der bisherigen Praxis bleiben, dass der Vorsitzende des größten Landesverbandes auch stellvertretender Bundesvorsitzender ist.

Mit Röttgen, dem neuen Umweltminister Peter Altmaier, Kanzleramtschef Roland Pofalla und Generalsekretär Hermann Gröhe bildeten Sie einst eine auch persönlich untereinander befreundete CDU-Nachwuchstruppe in Gegnerschaft zu Helmut Kohl. Ist dieses Bündnis nun zerstoben?
Das war nie ein Bündnis gegen Helmut Kohl und erst Recht keines, um gemeinsam an die Macht zu kommen. Die echten Freundschaften, die uns verbanden, auch mich mit Norbert Röttgen, waren sehr persönlich. Wir mochten uns. Das beschränkte sich nicht auf die Politik. 

Kann es in der Politik, wenn es um die Vergabe von Spitzenposten geht, überhaupt persönliche Freundschaften geben?
Ich habe die vielleicht illusionäre Hoffnung, dass wir eines Tages daran wieder anknüpfen können.

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