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Blödsinns-These der Familienpolitik - Wir brauchen gar nicht mehr Kinder

Mehr Kinder? Nein, Danke! Eine Polemik

Autoreninfo

Konstantin Sakkas, geb. 1982, ist freier Autor und schreibt u.a. für Die Zeit und den SWR.

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Es kommt ziemlich selten vor, dass die Medien sich einig sind. Etwa beim Thema Familienpolitik. Allerorten liest man derzeit, die offizielle Familienpolitik der Bundesregierung sei eine „Katastrophe“. Die Kinderbetreuung sei zu wenig ausgebaut, Frauen würden durchs Muttersein immer noch an der Karriere gehindert, weshalb die deutsche Geburtenrate eine der niedrigsten Europas und der ganzen Welt sei, und das wiederum sei ja fatal, weil… Ja, warum eigentlich? Weil dann unsere Volkswirtschaft zusammenbricht? Weil das „deutsche Volk“ dann in fünfzig Jahren ausstirbt? Tja, warum eigentlich? Warum eigentlich brauchen wir so dringend Kinder?

Es ist Zeit, einmal mit diesen Mythen aufzuräumen, die immer noch durch unsere aufgeklärte Gesellschaft geistern. Zum einen: die Volkswirtschaft. Deutschland leidet seit 1990 an einem massiven Überschuss an Arbeitskraft. Meine Generation, die bestausgebildete nicht nur seit dem Krieg, sondern überhaupt seit es Deutschland gibt, steht arbeitsmarkttechnisch vor einem Scherbenhaufen. Die Konkurrenz in unseren geburtenstarken Jahrgängen ist erdrückend, Arbeitslosigkeit, ob offen oder verdeckt, geringfügige Beschäftigung oder Am-Tropf-der-Eltern-Hängen sind gang und gäbe. Umso größer wird der Segen sein für die kommenden Generationen, die in der Berufswelt endlich wieder Luft zum Atmen haben werden. Auch der vielbeschworene Fachkräftemangel in Deutschland ist eine Lüge. Jeder weiß es, keiner sagt es. Bei uns treten sich die Fachkräfte gegenseitig auf die Füße wie Häftlinge in einem indischen Knast. Wir haben keinen Fachkräftemangel. Wir haben keinen Geburtenunterschuss. Wir „brauchen“ nicht mehr Kinder.

Zum anderen: das „Volk“ selbst. Es ist kurios: zwar steht nirgends auf der Welt das Nationale so sehr im Schatten wie in Deutschland; wir haben keine Königin, keine Garderegimenter, kein trooping-the-colour. Moderatoren patzen regelmäßig bei der Anrede von Monarchen („Ihre Hoheit“), kein Schulkind kennt „den alten Barbarossa“ von Rückert, kein Abiturient wird einen Unteroffizier von einem Oberstleutnant unterscheiden können; aber bei dem Wort „Demografie“ werden plötzlich alle zu lauter kleinen Nationalisten. Deutschland stirbt aus! Wir werden überfremdet! So schallt es einem entgegen.

Seite 2: Aus der Demografie ergibt sich kein Argument

Was ist denn schlimm daran – falls es überhaupt so weit kommt? Denn zum einen ist die Bevölkerung Deutschlands immer noch viel zahlreicher als die der europäischen Konkurrenten, man nehme nur einmal Frankreich und Großbritannien; zum anderen aber geht man offenbar selbst im Jahr 2013 immer noch konkludent davon aus, dass Nationalität ein Wert an sich sei, den es um seiner selbst zu bewahren gelte. Huch, waren wir da nicht schon weiter? Die Chimäre einer vermeintlichen „Reinrassigkeit“ erhebt sich schattenhaft aus dem raunenden Moor der Publizistik, akklamiert von den Stammtischen und beschworen von der Politik.

Braucht's Kinder, um das „Volk” zu erhalten? (Foto: Picture Alliance)Dabei sind Einwanderung und Völkervermischung längst ein fait accompli: die größte Macht der Erde ist ein Staat, dessen Bevölkerung sogar ausschließlich aus Einwanderern besteht. Die Griechen, das geistige Muttervolk Europas, sind ein abenteuerliches Gemisch aus hellenischen, slawischen und türkischen Anteilen, kein Grieche wird seinen Stammbaum reinrassig auf eine Familie aus dem Athen von Platon oder Demosthenes zurückführen können. Und die Deutschen? Man achte mal beim nächsten Adelsball auf die Namensendungen der ostelbischen Gäste: alles ursprünglich Polen. Oder man blättere im Telefonbuch des Stuttgarter oder Düsseldorfer Bürgertums: lauter Hugenotten (und wer weiß, ob sich bei denen nicht mal jemand im Okzitanien des achten Jahrhunderts mit einem arabischen Fräulein gepaart hat…). Herbert von Karajan, feinste deutsch-österreichische Gentry, stammte von einem griechischen Händler ab, den es im 18. Jahrhundert nach Norden verschlagen hatte, die Familie hieß ursprünglich Karajannis und wurde vom Kurfürsten von Sachsen geadelt. Um das Aussterben des deutschen Volkes sollten wir uns wirklich keine Sorgen machen. Nach dieser Logik ist es nämlich schon längst ausgestorben.

Schließlich das Wichtigste: seit wann ist das Kinderkriegen ein Wert an sich? Sind diese Zeiten nicht Gottseidank vorbei? Kommt es im Leben nicht darauf an, glücklich zu sein, also ein gutes, das heißt: anderen und sich selber gerecht werdendes Leben zu führen? Ist auf diesem Horizont der Kinderwunsch nicht etwas ganz und gar Individuelles, weder demographisch noch volkswirtschaftlich Berechenbares, insbesondere in der Postmoderne, wo man mit minimalem Personalaufwand Wasserwerke und Mühlen betreiben und so schöne Dinge wie Einkaufszentren und Porsche Panameras bauen kann? Den Errungenschaften der Technik und des Sozialstaates danken wir es, dass keine Kinder mehr nötig sind, um die Grundversorgung am Leben zu erhalten oder sich fürs Alter abzusichern. Seien wir dankbar dafür!

Seite 3: Wer ein Kind will, sollte nicht so viel herumnölen

Es gibt keine Pflicht, Kinder zu kriegen. Und der Wunsch dazu sollte wohldurchdacht sein. Wenn er besteht, werden daran weder mehr noch weniger Geld vom Staat, weder bessere noch schlechtere Betreuung etwas ändern. Das war immer so, und das wird auch immer so sein. Unsere Großeltern, ob hanseatische Groß- oder Berliner Kleinbürger, haben unter ganz anderen Umständen Kinder bekommen und haben es überlebt, und damals war so gut wie jede Frau „berufstätig“, nur nannte man es nicht so. Wer heute ein Kind will, sollte nicht so viel herumnölen, sondern sich ganz einfach darüber klarwerden, dass das gleichsam auch eine Berufswahl ist. Und damit meine ich nicht automatisch die Frau in der Beziehung, im Gegenteil. Die kommende Epoche, zumindest in Europa, wird die Epoche der Hausmänner sein, und das ist auch gut so.

Eines aber ist klar: Ob Mann oder Frau, Kinder kriegt man nicht nebenbei; dass die Präsenzrituale und die krankhafte Inflexibilität im deutschen Arbeitsleben die Sache nicht leichter machen, ist unbestritten und dringend änderungsbedürftig. Aber dass jedes Paar unbedingt irgendwann einmal Kinder haben wolle, ist eine offiziöse Unterstellung, die durch nichts gerechtfertigt wird. Im Gegenteil, wer in seiner Beziehung wirklich glücklich ist, der will oft gar keine Kinder. Make love, not children – das möchte man einer Generation zurufen, die unter dem degoutanten Losungswort „Familienplanung“ gerne in eine ungesunde, unmoderne Verkrampfung zurückfällt.

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