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(picture alliance) Wie konservativ ist sie wirklich?

Christdemokratie - Wie konservativ ist Merkels CDU?

Der CDU fehlt das konservative Profil, lautet ein vielzitierter Ausspruch. Doch was ist heute überhaupt konservativ? Konservativismus auf einen Nenner zu bringen, ist schier unmöglich. Dennoch hat es Merkel versäumt, das Konservative neu zu definieren

„Die CDU hat kein Profil mehr.“ Das sagt sich leicht. Schwer ist hingegen die damit zusammen hängende Frage zu beantworten: „Wo ist die CDU noch konservativ?“ Angela Merkel selbst jedenfalls fand keine rechte Antwort, als sie knapp 100 Tage nach dem schwarz-gelben Wahlsieg auf einer ersten Bilanz-Pressekonferenz gefragt wurde, worin denn nun diese „Wunschkoalition“ konservativer sei als das Bündnis, das sie zuvor mit der SPD geführt hatte.

Und damals ahnte niemand, was alles noch von dieser Bundesregierung und somit der CDU kurzerhand abgeschafft werden würde: die Kernenergie, die Wehrpflicht, die Hauptschulen... Trotzdem wurde da schon wie mit der Lupe nach konservativem Profil der Merkel-CDU gesucht. Und auf dem kommenden Leipziger Parteitag wird die Suche mit Sicherheit fortgesetzt werden.

Ein Jahrzehnt ist Angela Merkel nun CDU-Vorsitzende. Von Anbeginn stand sie bei vielen Parteifunktionären in Verdacht, die gute alte CDU nicht nur protestantischer und ostdeutscher, sondern auch sozialdemokratischer machen zu wollen. Jetzt, wo zudem auch der ewige SPD-Wunsch nach einem Mindestlohn CDU-Programmatik wird, scheint sich das ja vollends zu bewahrheiten. Das zumindest denken viele.

Die konservativen Kritiker in der CDU haben nur alle ein Riesenproblem: Sie wissen selbst nicht, was eigentlich konservativ ist. Jeder einzelne von ihnen wird es für sich allein vielleicht noch wissen. Aber alle zusammen kommen nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Nicht mehr.

Seit die CDU mit Kanzlerin Merkel regiert gab es immer wieder Versuche Konservativer, sich zu finden und die konservative Wurzel der Partei wieder zu beleben. Da gab es mal ein Treffen vier aufstrebender Nachwuchspolitiker im Berliner Kaffeehaus Einstein, die ein Konservatismus-Papier entworfen hatten, aus dem aber nie mehr wurde. Da gründete sich ein „Arbeitskreis Engagierter Katholiken“, der aber unbeachtet rechts liegenblieb. Da veröffentlichen eine Handvoll CDU-Landespolitiker geharnischte Gastbeiträge in Zeitungen und forderten mehr konservatives Profil. Alle dachten, die wagten einen Aufstand. Doch auch daraus folgte nichts und niemand redet mehr darüber. Schließlich schrieb Roland Koch zum Abschied aus der Politik sogar ein Buch mit dem Titel „Konservativ“. Aber auch das wurde trotz kluger Gedanken kein Renner, nicht einmal innerhalb der CDU.

Denn es fehlte bei all den Versuchen die einheitliche Definition, was heute eigentlich konservativ sein könnte. Es zeigte sich, dass jeder andere Vorstellungen vom Konservativen hat. Bereits im Privaten lebten all diese Konservativen unterschiedlich: Bei den Älteren hatten sich daheim die Ehefrauen um die Kindeserziehung gekümmert, die Jüngeren priesen Kitas und Krippen, damit ihre Frauen arbeiten konnten. Die einen hielten Kernkraftwerke, Genmais und Stammzellenforschung für den Fortschritt. Die anderen sahen davon die Schöpfung bedroht, die Konservative doch bewahren wollen. Papsttreue nannten das Kirchenasyl christliche Haltung und forderten den Abzug aus Afghanistan. Dagegen warnten Vaterländische vor Überfremdung und forderten, Islamismus an allen Fronten zu bekämpfen.

Es ist nicht neu, dass Konservatismus kaum definierbar ist. Ideengeschichtlich ist es ein Ozean. Seit dem 18. Jahrhundert brandeten immer wieder neue und anders brechende Wellen des Konservatismus in Deutschland an: von der feudalgesellschaftlichen Reaktion bis zu Reformismus, von Antimoderne bis zu Technikbegeisterung.

Bei der Gründung der CDU 1945 einte die Nationalkonservativen mit den Liberal- und Sozialkonservativen das überkonfessionell Christliche, deshalb der Name „Union“. Ansonsten begann die CDU als lockeres Geflecht von Menschen völlig konträrer Vorstellungen – eine antisozialistische Notgemeinschaft. Erst 1978 gab es das erste gemeinsame Grundsatzprogramm.

Da hatte die SPD, getragen vom Genossen Trend, längst den Kampfbegriff von der konservativen Union geprägt, um sie gestrig erscheinen zu lassen. Das fürchterlichste Gestern lag damals noch nah, weshalb diese linke Propaganda wirkte und schon damals viele in der CDU den Begriff „konservativ“ mieden. Dennoch stiftete für die ganze Union Identität, was gemeinhin als konservativ galt: Für sie blieb die deutsche Frage offen. Heute ist die CDU stolz darauf, sich auf diesem Feld gegen den Zeitgeist gestellt zu haben. Doch sie hat nichts Vergleichbares mehr, das alle – also auch alle, die sich explizit nicht für konservativ in der CDU halten – eint. Seit die deutsche Frage gelöst, ist die konservative Frage der Union offen.

Die CDU kann sich weitere konservative Siege zugute halten. Welcher ihrer ernstzunehmenden Gegner wünscht heute noch Multikulti statt Integration? Die Notwendigkeit einer Leitkultur wird nur noch selten bestritten, auch wenn die CDU selbst kaum noch davon zu sprechen wagt. Vorreiter dieser Politik wie Beckstein, Schäuble und Merz provozierten als Konservative. Sie hatten den Mut, das auszuhalten. Ihr Streit gab der Union, was ihr nun fehlt: Identität und Profil.

Es ist aber keine Führungsschwäche der Vorsitzenden Merkel, sich selbst nicht konservativ zu geben. Im Gegenteil: Auch keiner ihrer Vorgänger ließ sich genau orten. War Adenauer, der die Westbindung dem vereinigten Deutschland vorzog, links oder rechts? Wo stand Erhard, der die Marktwirtschaft sozial machte? Der ausgleichende Kiesinger hat mit der SPD harmonisch regiert. Und Kohl selbst betet der CDU noch heute als sein Credo der Macht vor: „Unser Standort bleibt die politische Mitte.“ Merkel hat das beherzigt. „Die Mitte“, das ist ihr Schlagwort.

Dennoch hat Merkel versäumt, das Konservative neu zu definieren: Und wenn es am Ende die Eurorettung, der Erhalt der EU oder nur das Bändigen der Finanzmärkte ist, was sie für konservative Politik erklärt. Die CDU wird eine Definition brauchen. Spätestens für die nächste Phase der Opposition.

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