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(picture alliance) Ein rechter Schatten befleckt die Piratenpartei – aber nicht nur sie

Piraten - Wie gehen andere Parteien mit Extremismus um?

Der Berliner Fraktionsgeschäftsführer der Piraten, Martin Delius, hat sich mit einem Nazi-Vergleich ins politische Abseits befördert. Wie gehen andere Berliner Parteien mit extremen Ansichten um?

Extremisten gab und gibt es in allen Parteien – jedenfalls aus der Sicht der politischen Konkurrenz. Rechtsextreme in der CDU oder der FDP, Linksextreme bei den Linken oder in der SPD, Rassisten außerdem – die anderen schlagen verbal hart zu, wenn sich ein Mitglied einer etablierten Partei im Ton vertan oder gedanklich verirrt hat. Auch die Grünen sind betroffen: Ihnen werfen Kritiker und Gegner immer mal wieder „Ökofaschismus“ vor oder, in stark abgemilderter Form, Regelungswut und Regelungswahn.

Dass die Grünen alles bis ins Letzte regeln wollten, war einer der Lieblingsvorwürfe des früheren FDP-Fraktionschefs Martin Lindner an die Konkurrenz.

Umgekehrt hat sich Lindner, heute Bundestagsabgeordneter und Berliner Landeschef der Liberalen, in seiner Zeit im Abgeordnetenhaus mehrfach heftig im Ton vertan, indem er Nazi-Vergleiche zog. Beim ersten Mal, im Juni 2004, ging es um eine FDP-Klage gegen den Landeshaushalt. Sie fand die Sanierungsbemühungen des Senats nicht ausreichend. Der PDS-Abgeordnete Marian Krüger (die Linke regierte seit 2001 mit der SPD und nannte sich damals noch PDS) wertete das als „Demontage der Berliner Interessen“ in „schäbiger Weise“. Lindner keilte zurück, es sei „unverschämt“, dass ein PDS-Abgeordneter den Liberalen „in der Manier eines Roland Freisler“ Schäbigkeit und Ehrlosigkeit vorwerfe.

Vier Jahre später sagte Lindner in einer Plenardebatte über die Finanzkrise: Linke und NPD seien aus „demselben Holz geschnitzt“. Das zeige sich beim „Aufnehmen diffuser Ängste der Bevölkerung“ und beim „Schüren dieser Ängste“.

Weil Lindner für seine Freude am Austeilen bekannt war, gab es im Ernst niemanden in der Berliner Politik, der ihm vorwarf, er könne oder wolle nicht zwischen links und rechts unterscheiden. Da war der letzte Zusammenstoß der CDU mit dem Extremismusvorwurf erheblich heikler. Es ging um den Abgeordneten René Stadtkewitz.

Der frühere CDU-Mann aus Pankow hatte sich im Streit um eine Moschee in Heinersdorf sozusagen radikalisiert. Aus einem gestandenen Kommunalpolitiker wurde erst ein Islamkritiker, dann ein Islamgegner, der alles Liberale verlor. Landes- und Fraktionschef Frank Henkel sah Stadtkewitz’ Aktivitäten mit Sorge, denn er versuchte, seine Partei auf eine liberale, großstadtgemäße Integrationspolitik einzustimmen. Als Stadtkewitz eine gemeinsame Veranstaltung mit dem radikalen niederländischen Islamkritiker Geert Wilders plante, reichte es Henkel: Er kündigte an, Stadtkewitz’ Ausschluss aus der Fraktion zu betreiben. Wenig später verließ Stadtkewitz die CDU und gründete die Partei „Die Freiheit“.

Stadtkewitz hatte sich in seiner Kritik am Islam stets auf Thilo Sarrazin bezogen. Der SPD-Mann, der vom Bundesbanker zum Bestsellerautor geworden war, ist das ungleich prominentere SPD-Pendant zum Gründer der „Freiheit“. In seiner Zeit als Finanzsenator hatte Sarrazin noch gelegentlich Hartz-IV- Empfänger heruntergemacht. Seine Beschäftigung mit muslimischen Migranten trieb ihn in den „Rassismus“ – so lautete jedenfalls der Kernvorwurf zahlloser SPD- Parteifreunde. Rassismus ist nach dem Rechts- und dem Linksextremismus der dritte unter den Ismen, die man sich als Politiker zu verkneifen hat. Zwar fand sich rasch ein Gutachter, der Sarrazins seinem Buch vorausgehende Thesen in einer Zeitschrift „eindeutig rassistisch“ fand. Doch im Ordnungsverfahren gegen Sarrazin, das die SPD betrieb, um ihn auszuschließen, sollte von „Rassismus“ nicht mehr die Rede sein. Im April 2011 verzichtete die SPD-Führung dann überraschend auf die Fortsetzung des Ausschlussverfahren.

Hinter dem Streit um Sarrazin und den angeblichen Rassismus ist der Vorwurf des linken Antikapitalismus weitgehend verschwunden. Kein Sozialdemokrat geriert sich öffentlich als Linksradikaler, der Banken verstaatlichen will – oder als Linksextremist, der gegen Banker hetzt. Im Gegenteil: Der frühere Innensenator Ehrhart Körting dürfte vielen aus der Seele gesprochen haben, als er mal gewaltbereite Autonome als „rotlackierte Faschisten“ beschimpfte.

Sogar bei der Linkspartei sind extremistische Forderungen zumindest offiziell nicht extrem weit verbreitet. Das Mitregieren über zehn Jahre in Berlin hat die Pragmatiker in der Partei nach vorn gebracht. Anfälle von Extremismus wirken gestrig. Als die Bundesvorsitzenden der Linken dem greisen kubanischen Diktator Fidel Castro zu einem kampferfüllten Leben gratulierten, sagte der Berliner Linken-Landeschef, Klaus Lederer: „Mir steht es bis hier oben.“ Er habe den Eindruck von der Bundesspitze, „dass hier einige ihre sektenmäßigen Rechnungen auf dem Rücken der wahlkämpfenden Landesverbände austragen wollen“.

Einen Prozess der Zähmung durchliefen auch die Berliner Grünen in dreißig Jahren Parteigeschichte. Lange gab es einen Parteiflügel, der „Gewalt gegen Sachen“ für statthaft hielt. Das gab die Partei auf, um im Abgeordnetenhaus koalitionsfähig zu werden. Der polemische Vorwurf des „Ökofaschismus“ wird den Berliner Grünen bislang nicht gemacht; der wird laut, wenn es um Förderungen für Solarzellen oder Windparks geht – keine Themen für die Stadt. Eine Ahnung grüner Regulierungslust vermittelte allerdings Renate Künast im Berliner Wahlkampf: Sie träumte von Tempo 30 für die ganze Stadt und einen „Regionalflughafen“ statt des internationalen Willy-Brandt-Airports. Aber das hat sich erledigt.

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