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(picture alliance) Kitschiger Adventsschmuck oder Glaubenskerzen? Die Mehrheit der Deutschen verbinden mit dem Wort „christlich“ etwas Positives

Religion und Politik - Wie christlich sind wir wirklich?

Bundeskanzlerin Angela Merkel weiß ihre Religiosität gut zu verstecken und Politiker, die sich zum Glauben bekennen, wirken merkwürdig. Warum tun wir uns so schwer mit dem Christentum, fragt Wulf Schmiese in seiner Mittwochskolumne

Es sagt sich leicht, wir lebten in einem christlich geprägten Land. Dieser Tage wird ja auch allüberall dazu passend geschmückt: Die Adventslichter an den Straßen und Einkaufspassagen werden angeknipst, die Weihnachtsmärkte öffnen, selbst die Etagen der Politik werden ganz feierlich christlich ausgestattet. An diesem Mittwoch überreichen katholische Schüler aus dem Fichtelgebirge dem Bundestag einen Christbaum mit selbstgebastelten Anhängern. Morgen werden geistig Behinderte Menschen dasselbe machen. Evangelische Christen sorgen am Freitag für einen großen Adventkranz im Parlament. Und vor dem Bundesrat wird eine mächtige Tanne aus Bayern allen deutschen Bundesländern Weihnachten einleuchten.

Doch was steht hinter der Symbolik? Wie christlich sind – und geben – sich noch unsere Politiker?

Im Kanzlerbüro von Angela Merkel – immerhin Pfarrerstochter und Vorsitzende der sich christlich nennenden Volkspartei – hängt, anders als bei all ihren CDU-Vorgängern, kein Kreuz an der Wand. Ein rostbraunes Kreuz steht bei ihr nur im Regal, eingekeilt zwischen Grundgesetz und Brechts Werken. Das schmale Kreuz wirkt genauso versteckt wie der christliche Glaube der Bundeskanzlerin. Sie hat als Ostdeutsche ihren Glauben stets als Privatsache gesehen. Von ihrer Partei musste sie sich deshalb anhören, das Christliche immer weiter verblassen zu lassen in der CDU.

Doch im Laufe der vergangenen Jahre hat sich Merkel bemüht, zumindest etwas deutlicher ihr Christsein zu betonen. Inzwischen spricht sie zuweilen öffentlich über Gott. Sie freue sich über den gemeinsamen Gottesdienst auf dem Parteitag, sagte sie noch vor einer Woche. „Wir beten für die Opfer“, sagte sie nach dem Amoklauf von Winnenden vor zwei Jahren, was bereits ungewöhnlich altmodisch klang. Und als sie mit Amerikas Präsident Barack Obama die Frauenkirche in Dresden besuchte, da beteten beide andächtig vor dem Altar. Jedoch: Es gibt davon kein Foto; die Zwiesprache mit Gott sollte selbst in dieser Situation nicht öffentlich werden. Es war der Wunsch des deutschen und nicht des amerikanischen Protokolls.

All das zeigt den vorsichtigen Umgang selbst gläubiger Politiker mit dem christlichen Glauben. In jeder Partei gibt es prominente bekennende Christen. Doch sie alle – Andrea Nahles von der SPD, Winfried Kretschmann von den Grünen, Bodo Ramelow von der Linken und Philipp Rösler von der FPD – wirken exotisch kokett, wenn sie von sich als Christen sprechen. Warum wirkt das Bekennen zum Christentum in einem doch christlich durch und durch geprägten Land so merkwürdig?

Nach den im vergangenen Jahr aufgedeckten Missbrauchsskandalen beider Kirchen ist es nicht gerade populär, jenen Glauben zu verteidigen, unter dessen Deckmantel diese Verbrechen geschahen. Die Kirchen verlieren Mitglieder in Scharen – viele gehen, weil sie angeekelt sind von den abscheulichen Taten und der feigen Scheinheiligkeit, durch die das alles über Jahrzehnte verdeckt wurde. Doch hier geht es um das Versagen von Würdenträgern einer Institution, teils auch der Institutionen selbst. Es geht nicht um christlichen Glauben. Eine Allensbach-Umfrage belegt, dass für die Mehrheit der Deutschen – trotz zunehmender Kirchen-Skepsis – das Wort „christlich“ auf Anhieb sympathisch klinge.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie kaltherzig Schäuble die katholische Kirche erlebte.

Christliche Bekenntnisse in der Politik werden aber auch gemieden, weil Politiker gegenüber anderen Religionen nicht intolerant erscheinen möchten. Deswegen gibt es im Gebetsraum im Bundestag kein dauerhaft hängendes Kreuz. Dort sollen sich auch Muslime und Juden Gott zuwenden können. Diese Toleranz hat ihren Ursprung in erlebter christlicher Intoleranz.

Wolfgang Schäuble etwa hat in seiner Kindheit erfahren, wie kaltherzig und kleingeistig die katholische Kirche sein konnte: Weil sein katholischer Vater die Kinder evangelisch hat taufen lassen, schloss ihn die Kirche von den Sakramenten aus. Als dann die CDU Schäubles Vater Ende der Vierziger Jahre in einer Kleinstadt als Bürgermeister aufstellen wollte, versuchte der Erzbischof das zu verhindern. Für Schäuble mag diese frühe Erfahrung mit ein Grund dafür zu sein, dass man religiöse Vielfalt auch in der Politik zulassen sollte. So konnte er 2006 in einer Regierungserklärung als Bundesinnenminister zur von ihm geschaffenen Islamkonferenz sagen: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und er ist Teil unserer Zukunft.“ Niemand empörte sich über diesen Satz. Denn jeder wusste, dass der überzeugte Protestant Schäuble den eigenen christlichen Standpunkt deshalb nicht verrücken würde. Die Islamkonferenz hatte für ihn auch einen sicherheitspolitischen Aspekt, das Ziel also, dass im christlich-abendländisch geprägten Deutschland die Scharia keine Rolle spielen darf. Das wurde allseits respektiert.

Aufsehen erregte Schäubles Satz erst, als ein anderer Politiker ihn etwas verkürzt sprach: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Das sagte Bundespräsident Christian Wulff am 3. Oktober 2010. Daraufhin schien das Land geradezu entflammt vor Aufregung. Was war der Unterschied? Der Katholik Christian Wulff ist wie Schäuble bekennender Christ. Niemand wird ihm unterstellt haben, die eigene Glaubenshaltung räumen zu wollen. Der Unterschied war die anti-islamische Stimmung, die vor einem Jahr in Deutschland herrschte. Das Buch von Thilo Sarrazin stand auf den Bestsellerlisten ganz oben, Millionen Deutsche glaubten allen Ernstes: „Deutschland schafft sich ab.“

Schon Jahre zuvor lebten manche Menschen in einer Phobie vor dem Islam, der Überfremdung, der panischen Angst vor einer fremden Religion. Manche von ihnen radikalisierten sich, wurden Terroristen und mordeten friedlich lebende Mitbürger, die sie dem islamischen Glauben zuordneten, die sie für „undeutsch“ hielten. Es ist von keinem dieser rechtsextremen Terroristen bekannt, dass sie irgendeine Nähe zum christlichen Glauben hatten.

Es wäre absurd zu behaupten, dass diese Wahnsinnigen von ihren Taten gelassen hätten, wenn Politiker mehr christliches Selbstbewusstsein gezeigt und damit wahre Gelassenheit und Toleranz vorgelebt hätten. Es lässt sich aber fragen, ob Sarrazins Buch jene Ängste und Wulffs selbstverständlicher Satz ebensolche Empörung auch bei nicht gewaltbereiten Deutschen hätte auslösen können, wenn die Mehrheit wirklich in ihrer so häufig beschworenen „christlich-abendländischen Kultur“ wurzeln würde. Wenn sie zumindest das Christliche kennen würde, käme ihnen das Religiöse der gewöhnlichen Muslime weniger fremd und bedrohlich vor.

Angela Merkel wurde auf einem Kirchentag angesprochen, dass die zunehmende Zahl der Muslime in Deutschland etlichen Sorge bereiten würde. Ihre Antwort war einfach: „Wer Angst vor zu viel Moscheen hat, der sollte mal häufiger selbst in die Kirche gehen.“ Dazu bieten sich in den kommenden Wochen viele Gelegenheiten: Am Sonntag ist tatsächlich schon wieder der Erste Advent.

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Irene Fähndrich | So., 10. Dezember 2017 - 18:24

Leider wird - wie in den Köpfen der meisten Menschen - auch in diesem Artikel die Institution Kirche mit dem Christentum verwechselt bzw. in einen Topf geworfen. Es hat aber beides nichts miteinander zu tun. Das Christentum wurde nicht durch die Kirche begründet sondern durch Christus selbst. Um Christ zu sein müßte man sich an ihm selbst orientieren, seine Worte und sein Leben studieren. Es wäre eine direkte Nachfolge und kein Pflegen von äußerlichen Ritualen oder bekennenden Worten.
Die starke Verbindung von Kirche und Staat in Deutschland sehe ich als sehr kritisch an. Eine Staatskirche ist im Grundgesetz nicht vorgesehen, deshalb sollte es sie auch nicht geben. Die Macht der Kirchen ist zu groß in Deutschland. Solange sie das Recht auf das Christentum beanspruchen und die Regeln vorgeben, wird es schwierig sein, wirklich Christ zu werden. Dazu müsste die Kirche geradezu überwunden werden.