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(picture alliance) Gauck for President – Vielleicht der Beste, den Deutschland je hatte

Joachim Gauck - Welcome Mr. President

Er ist ein Anhänger der Freiheit, ein Mann des Wortes und ein reflektierter Geist, der uns die Demokratie wieder näher bringen wird. Warum sich Deutschland auf Bundespräsident Joachim Gauck freuen kann, auch wenn er Fehler machen wird. Ein Kommentar

So einen Bundespräsidenten hatten wir noch nie: ostdeutsch, parteilos, unkonventionell. Durch eine unverhoffte politische Wendung wird der pensionierte Rostocker Pfarrer und ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde Joachim Gauck am Sonntag zum Staatsoberhaupt der Bundesrepublik gewählt. Deutschland kann sich auf ihn freuen, weil er dem Amt wieder zu Ansehen verhelfen wird.

Gauck ist ein Mann des Wortes, der faszinierend reden kann. Da der Bundespräsident keine Macht hat, sondern nur durch Reden überzeugt, hat er mit dieser Gabe beste Voraussetzungen, dieses vernachlässigte Instrument wieder zum Klingen zu bringen. Statt langweiliger Politfloskeln werden wir geschliffene Sätze hören, über die es sich noch lange nachdenken lässt.

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Gauck stammt aus Ostdeutschland, wo er von der Erfahrung der SED-Diktatur geprägt wurde. Anders als viele seiner Landsleute hat er von Anfang an die epochale Befreiung verstanden, die das Ende der DDR bedeutete. Er war zwar kein Bürgerrechtler, zu dem ihn die Medien nachträglich erklärt haben, doch in seinem Habitus und seinen Überzeugungen ähnelt er Vaclav Havel und Lech Walesa. Gauck wird uns deshalb den Wert der Demokratie wieder nahebringen – so glaubwürdig wie kein Bundespräsident vor ihm.

Seine Diktaturerfahrungen haben Gauck zu einem vehementen Anhänger der Freiheit gemacht. In Deutschland haben diese inzwischen Seltenheitswert. Immer mehr Menschen erwarten die Lösung ihrer Probleme vom Staat, halten Sicherheit und Gleichheit für wichtiger als Freiheit und Selbstbestimmung. In einer Zeit, in der der Liberalismus auch aus den Parlamenten zu verschwinden droht, wird Gauck den Wert der Freiheit wieder hoch halten. Deutschland braucht dies, wenn es im globalen Wettbewerb bestehen will, was nur durch Rückbesinnung auf die Kraft des Einzelnen möglich ist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Schwächen Joachim Gauck hat

Sein Leben in der DDR hat Gauck zu einem reflektierten Gegner des Kommunismus werden lassen. Während Öffentlichkeit und Politik in Deutschland weitgehend auf den Nationalsozialismus fixiert sind und viele Intellektuelle immer noch mit den Ideen von Marx und Co sympathisieren, hat Gauck auch die linke Spielart totalitärer Herrschaft im Blick. Die „Internationale der Einäugigen“ (Ralph Giordano) wird es deshalb in Zukunft schwerer haben und Deutschland wird näher an seine osteuropäischen Nachbarn heranrücken. Unsere politische Kultur, die immer noch stark von den bizarren Vorstellungen der 68er geprägt ist, wird ausgewogener, freier und weniger neurotisch werden.

Gauck ist der erste Bundespräsident, der keiner Partei angehört. Als »linker, liberaler Konservativer«, wie er sich selbst einmal genannt hat, passt er in keine Schublade. Er hat auch nicht die deformierende Ochsentour eines Parteifunktionärs hinter sich und ist keinem politischen Netzwerk verpflichtet. Da der 72-Jährige nicht darauf angewiesen ist, eine zweite Amtszeit zu bestreiten, ist er so unabhängig wie kein Staatsoberhaupt vor ihm. Statt gestanzter Formeln werden wir deshalb in Zukunft aus dem Bundespräsidialamt auch eigenwillige, unkonventionelle und unbequeme Äußerungen hören. Dem Amt und dem Land mit seinem Hang zu politischer Überkorrektheit wird das gut tun, weil es dem politischen Denken neue Räume öffnet.

Da Gauck kein Politprofi ist, wird er Fehler machen. Gerade die, die ihn jetzt in den Himmel loben, werden sich dann als Erste auf ihn stürzen. Spätestens wenn er ihnen unbequem wird, werden sie jede seiner Reden darauf abklopfen, ob man sie skandalisieren kann. Es besteht jedoch Hoffnung, dass er sich davon nicht beeindrucken lässt, weil er auf Niemandes Wohlwollen angewiesen ist. Wenn er erfolgreich dem ersten Sturm getrotzt hat, werden hoffentlich auch andere mutiger werden.

Das alles heißt nicht, dass Joachim Gauck die Lichtgestalt ist, zu der ihn manche erhoben haben. Er hat Fehler und Schwächen, über die der Schriftsteller und DDR-Dissident Jürgen Fuchs in seinem monumentalen Werk „Magdalena“ ausführlich geschrieben hat. Ein fundamentaler Fehler war es zum Beispiel, dass er in der Stasi-Unterlagen-Behörde Dutzende ehemalige Stasi-Mitarbeiter angestellt hat. Dass er diesen Irrtum bis heute nicht eingestehen will und seinem Nach-Nachfolger Roland Jahn bei der Lösung des Problems nicht zur Seite steht, zeigt eine Charakterschwäche. Auch die Gereiztheit, mit der er oft auf ehemalige DDR-Bürgerrechtler oder Stasi-Opfer reagiert, steht in paradoxem Widerspruch zu seinen Überzeugungen.

Vor den eigenen Schwächen kann man sich am besten schützen, wenn man Freunde und Berater hat, die einen darauf hinweisen. Es liegt daher in Gaucks eigenem Interesse, solche unabhängigen Geister um sich zu scharen und auch als erster Mann im Staat nicht abzuheben. Wenn er diese Lebensweisheit beherzigt, wird er ein richtig guter Bundespräsident – vielleicht der Beste, den Deutschland je hatte.

Hubertus Knabe ist Historiker und Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Die Wahrheit über die Linke“ (List Taschenbuch)

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