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() Herbert Wehner als SPD-Franktionschef
Wehners grausames Geheimnis

Nach intensiven Forschungen in den Archiven des Moskauer Geheimdienst FSB ist der Hamburger Historiker Reinhard Müller zu neuen Erkenntnissen über die Vergangenheit von Herbert Wehner gelangt. In seinem Buch „Herbert Wehner – Moskau 1937 dokumentiert“, das im September erscheint, wird Müller ausführlich darlegen, wie der bedeutende SPD-Politiker im Exil der dreißiger Jahre deutsche Genossen denunziert hat und damit Mitschuld an vielen Exekutionen trägt

Am Ende, so schien es, wollte er den Schleier lüften – zumindest ein wenig. 1982 gab Herbert Wehner jene „Notizen“ zur Veröffentlichung frei, die er 1946 verfasst hatte. In ihnen beschreibt er unter anderem seine Zeit im Moskauer „Hotel Lux“, wo er von 1937 bis 1941 einquartiert war. 1982, acht Jahre vor seinem Tod, erscheinen die Erinnerungen an jene Epoche stalinistischer Säuberungen, die er als Kandidat des Politbüros der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in Moskau erlebt hatte. Dabei, beteuert Wehner in den „Notizen“, handele es sich um „ehrliches Suchen nach der Wahrheit.“ Doch der langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende, der Zuchtmeister der Sozialdemokraten und Architekt der Großen Koalition hat nicht die Wahrheit gesagt. Die jüngste Geschichtsforschung bringt ans Licht: Sein Bekenntnis sei in Wirklichkeit ein „geschickt verfertigtes Mixtum Compositum aus Fakten, Fiktionen und Verdrängungsmustern“. Das schreibt der Historiker Reinhard Müller in seinem Buch, „Herbert Wehner – Moskau 1937" dokumentiert, das der Redaktion vorliegt und Mitte September erscheint. Demnach hat der konvertierte Sozialdemokrat, eine der prägendsten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegspolitik – in Leverkusen und Hamburg sind eine Straße und ein Platz nach ihm benannt –, Wesentliches über seine Zeit in Moskau verschwiegen. Die grausame Wahrheit leuchtete schon länger zwischen jenen Dokumenten über Wehner hervor, die sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in verschiedenen Archiven fanden. Mit ihnen begann sich ein neues Bild über jene Zeit abzuzeichnen, als der damalige KP-Funktionär im Moskauer „Hotel Lux“ wohnte und gelegentlich in die Lubjanka zitiert wurde. Dieser Ort war Zentrale und Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes. Hier begann für Tausende von Menschen in den dreißiger Jahren ihr qualvolles Ende. Akten ehemaliger Stasi- und SED-Behörden belegten schon Anfang der neunziger Jahre, dass Wehner politische Weggenossen während des stalinistischen Terrorregimes denunziert hatte. Die Akten provozierten Fragen: War er das Opfer dieses Terrorregimes, als das er sich in seinen „Notizen“ darstellte und als das ihn Biografen wie Hartmut Soell beschreiben? Oder war er in erster Linie Täter? Er war ein Täter. Diese Antwort gab bereits der im Oktober 2002 ausgestrahlte WDR-Dokumentarfilm „Tödliche Falle – Herbert Wehner in Moskau“ von Inga Wolfram, der sich bereits auf Erkenntnisse Müllers stützte. War der Film eine Behauptung, so liefert das Buch nun die Beweise. Galt er den Filmemachern noch als der konvertierte SPD-Politiker, der seine damaligen KPD-Genossen verriet, um die eigene Haut zu retten, so weist Müllers Untersuchung am Beispiel zahlreicher Personen und beigefügter Archivdokumente nach, dass Wehner vielmehr ein ehrgeiziger, ideologisch besessener Überzeugungstäter war. Schon lange vor seinen Aussagen in der Lubjanka hatte er begonnen, Parteigenossen genau zu beobachten und zu denunzieren, wenn sie seiner Karriere im Wege standen oder von der Parteilinie abwichen. Er hat sie später zu Dutzenden in das tödliche Visier der stalinistischen Verfolger gebracht. Das Buch macht klar: Erst dienstbeflissene Mitarbeiter wie Herbert Wehner brachten die stalinistische Überwachungs- und Verfolgungsmaschinerie auf Touren. Müller sammelte seine Erkenntnisse in den Archiven des Moskauer Geheimdienstes FSB. Sie sind noch heute schwer zugänglich, weil der russische Staat die Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit behindert. In Moskau entdeckte der Historiker Müller jedoch den „Direktivbrief Nummer 12“, einen streng geheimen Erlass des damaligen stalinistischen Geheimdienstchefs Nikolaj Jeschow zur Verfolgung deutscher „Trotzkisten“. Dieser Befehl war das Todesurteil etlicher deutscher Emigranten. Der internationalen Organisation „Memorial“ zufolge stieß er auch eine Operation gegen Deutsche und Deutschstämmige auf dem Gebiet der Sowjetunion an, die um die 70 000 Verhaftungen auslöste. In seinem Buch vergleicht Müller jetzt den „Direktivbrief“ mit anderen Materialien Wehners, die ebenfalls in den Moskauer Archiven schlummerten. Er weist nach, dass wichtige Informationen dieses folgenreichen Befehls von Wehner direkt stammen.

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