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Umfragetief - Was die Grünen-Hasser verkennen

Ist der unerwartete Popularitätsverlust der Grünen kurz vor den Bundestagswahlen tatsächlich der Anfang vom Ende grüner Verbots- und Regulierungspolitik? Leider nein, denn grünes Denken ist heute so weit verbreitet, dass es keiner eigenen Partei mehr bedarf

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

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Es ist schon irgendwie seltsam: Monatelang wird darüber diskutiert, warum die Grünen so gute Umfrageergebnisse erreichen, wo ihnen doch eigentlich nahezu alle eigenen Themen abhanden gekommen seien. Klimapolitik und Atomausstieg seien mittlerweile Kanzlerinnengeschäft und auch ansonsten falle es Bündnis 90/Die Grünen immer schwerer, das eigene Profil im Schlafwagen-Wahlkampf 2013 zu schärfen.

Jetzt schlägt sich offensichtlich dieser schrittweise Verlust von Profil und Alleinstellungsmerkmalen in einer leicht sinkenden Popularität nieder, und schon krabbeln zahlreiche Grünen-Hasser aus ihren Schreibstuben und singen aufgeregt den Abgesang auf die grüne Politik. In Artikeln wie „Grüne stürzen ab“, „Sieben Gründe für den Niedergang der Grünen“, „Die Grünen scheitern am eigenen Anspruch“ oder „Der grüne Stern sinkt“ mischt sich unter inhaltliche Informationen durchaus auch Häme.

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Dabei hätten sich eigentlich gerade die Grünen-Kritiker in den letzten Monaten darauf konzentrieren müssen, das grüne Denken in allen anderen Parteien zu kritisieren. Sie hätten hinterfragen müssen, warum es ausgerechnet konservative Politiker waren, die sich als Verwirklicher grüner Paradiesträume hervortaten und noch -tun. Doch nichts dergleichen: Viel lieber bohrte man sich in die schlüpfrige und von zahlreichen verschiedenen Ideologiesträngen durchsetzte Entstehungsphase der grünen Partei, „entdeckte“ dort vermeintlich sensationelle moralische Doppeldeutigkeiten und strickte hieraus fadenscheinige Kampagnen, um sich möglichst weit von der so verhassten Partei zu distanzieren und öffentlichkeitswirksam das Schlammwerfen auf alles „Grüne“, „Linke“ und „68erige“ zu eröffnen, ohne dabei zu merken, wie lächerlich man sich damit macht.

Grünen-Bashing in Mode

Zweifellos könnte man sich als Kritiker grüner Politik daran ergötzen, dass der Öko-Partei gerade der Wind scharf ins Gesicht bläst und „Grünen-Bashing“ zur Stunde Mode ist. Und sicherlich ist es auch ganz hilfreich, dass grüne Politik nicht nur innerhalb ihrer lebens- und weltenrettenden Wohlfühl-Blase, sondern auch einmal in ihrer bevormundenden und verbotslüsternen Dimension präsentiert wird. Doch leider wird hier ein wesentlicher Aspekt oft vergessen: Die tatsächlich relevante grüne und bevormundende Politik wird schon lange nicht mehr in der grünen Partei gemacht.

Auch wenn personelle und so manche hochstilisierte kulturelle Unterschiede die grüne Partei auf Bundesebene als für die C-Parteien nicht koalitionsfähig erscheinen lassen – auf der inhaltlichen Ebene funktioniert die Integration grünen Denkens in die Politikentwürfe anderer Parteien bereits seit Jahren reibungslos. Ihre eigentliche historische Mission – die moralische Versöhnung der Menschen mit einem Wirtschafts- und Politiksystem, das grundlegende Fortschritte nicht mehr zu leisten imstande ist – hat die Partei erfolgreich erfüllt: Technikangst, Wachstumskritik und Fortschrittsskepsis sind weitgehend und tiefgreifend verankert, und wirtschaftliche wie politische Stagnation hören nach ihrer grünen Umfirmierung nun auf die Namen „Nachhaltigkeit“ und „Politik im Namen kommender Generationen“.

Das Schicksal, von der Durchsetzungsfähigkeit ureigenster Inhalte möglicherweise nicht selbst profitieren zu können, teilen die Grünen mit einer Reihe von Organisationen und Individuen in der Ideen- und Kulturgeschichte der Menschheit. Sich dennoch in seiner wutschäumenden Ablehnung immer noch auf die grüne Partei zu konzentrieren und quasi nur darauf zu warten, bis entweder eine neue „skandalöse“ Enthüllung, ein Fehltritt oder eine Popularitätsdelle Anlass dazu bietet, ihren erhofften Abgesang herbeizuschreiben, offenbart auf Seiten vieler Grünen-Kritiker eine bewusste Einseitigkeit und politische Blindheit, die in ihrer Rückschrittlichkeit dem eigentlichen Hassobjekt kaum nachsteht. Die problematischen Grünen sind gar nicht in dieser Partei, haben ihr auch nie angehört und sie auch nie gewählt.

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Dass der jetzige „Einbruch“ grüner Popularität auf „nur noch“ 9 Prozent überhaupt so aufgeregt thematisiert wird, zeigt bereits, wie sehr der eigentliche inhaltliche Kern grünen Denkens auch mehr als 30 Jahre nach Gründung der dazugehörigen Partei noch immer verkannt wird. Schon immer standen das Misstrauen gegenüber der Vernunft- und Freiheitsfähigkeit des Menschen, die Skepsis gegenüber der von ihm gemachten Technologie, den Wissenschaften und dem aufklärerischen Prinzip der Moderne, die Welt im Interesse der Menschheit zu kultivieren, im Zentrum grüner Politik. Angereichert durch irrationale und naturreligiöse Ängste vor der drohenden Apokalypse bot dieser grüne Grundkonsens dem seit Ende der 70er Jahre freigesetzten Aktivistenpersonal sowohl linker wie auch rechter Gruppierungen eine neue Operationsbasis.

Tsunami spülte einen Grünen ins Ministerpräsidentenamt

Wann immer in den letzten 30 Jahren Ereignisse auf der Welt dazu herangezogen werden konnten, um der Forderung nach einer ökologisch motivierten Umkehr Nachdruck zu verleihen, stiegen Wahrnehmung und Popularität der grünen Partei spürbar an – wenngleich die Ausschläge seit der Jahrtausendwende geringer wurden. 2011 bedurfte es schon eines Erdbebens, eines Tsunamis und eines dadurch ausgelösten Unfalls in einem japanischen Kernkraftwerk, um den Bündnisgrünen nochmals eine aktionistische Verjüngungskur angedeihen zu lassen. Aufgrund der zwischenzeitlich tiefen Verankerung grünen Denkens in nahezu allen Parteien und Gesellschaftsschichten fiel dieser Schub deutlicher aus als in der Vergangenheit: Der japanische Tsunami machte einen grünen Ministerpräsidentenkandidaten in ungewöhnlich großen Kreisen wählbar und spülte die Grünen bundesweit in bislang unbekannte Zustimmungs-Hochlagen.

Dieses moralische Hochwasser weicht nun wieder einem klareren Blick auf die politische Wirklichkeit. Sie ist aber keinesfalls anti-grün, im Gegenteil: Sie ist so grün, dass es eigentlich keiner Partei mehr bedarf. Das Sinken des „grünen Sterns“ zu bejubeln, ist daher weltfremd. Viel wichtiger wäre es, den berechtigten Verdruss über Bevormundungs- und Angstpolitik auf eine breitere und inhaltlich tragfähigere Basis zu stellen. Die wirksamste Argumentation gegen Bevormundung jeder Couleur wäre eine kompromisslos humanistische, befreiende und aufklärerische. Doch genau eine solche ist leider auch bei dieser Wahl nicht im Angebot.

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