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Wahlumfragen - Die geheimen Tricks der Demoskopen

Wahlumfragen geben nicht jene Daten wider, die sie tatsächlich erheben. Bei der politischen Gewichtung wollen sich die meisten Institute nicht in die Karten gucken lassen. Dabei haben die Wähler ein Recht auf die Originaldaten

Autoreninfo

Wolfgang G. Gibowski hat 1974 die Forschungsgruppe Wahlen e.V. mitgegründet. Der Politikwissenschaftler ist heute als Bevollmächtigter des Landes Niedersachsen beim Bund tätig.

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Alle (vier) Jahre wieder. Die Konjunktur der medialen Wahlberichterstattung orientiert sich am Rhythmus der Bundestagswahlen. Pflichtschuldige werden somit alle vier Jahre auch die Zahlen problematisiert, die von Umfrageinstituten zur sogenannten Sonntagsfrage erhoben werden. Welche Daten sie tatsächlich erheben, welche Veränderungen sie an den erfragten Informationen vornehmen und welche Zahlen schließlich veröffentlicht werden.

In den 10 bis 20-minütigen Interviews, die heute ganz überwiegend telefonisch durchgeführt werden, werden in der Regel viele Fragen zum politischen Spitzenpersonal, zu aktuellen Themen und zu möglichen Koalitionen gestellt werden. Doch immer steht eine Frage stets im Mittelpunkt: „Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, würden Sie dann zur Wahl gehen?“ und bei einem „Ja“ folgt die Nachfrage: „Welche Partei würden Sie wählen?“. Wenn der Wahltermin näher rückt, fragen viele Institute dann noch genauer, welche Partei die Befragten mit ihrer Zweitstimme wählen würden.

Wahlforscher stehen dabei stets vor der Herausforderung, mehr sagen zu sollen und manchmal auch mehr sagen zu wollen, als die Umfrageergebnisse erlauben. Zwar stimmen alle darin überein, dass die Ergebnisse der Wahlabsichtsfrage nur das aktuelle Stimmungsbild in der Bevölkerung messen und keine Prognose für einen Wahltermin zu einem Zeitpunkt in der Zukunft sind. Aber natürlich gibt es mit dem näher rückenden Wahltermin den Anspruch und den Ehrgeiz, dem späteren Wahlergebnis möglichst nahe zu kommen.

Die Realität zeigt aber, dass dieses keineswegs immer gelingt. Die abnehmende Zahl der Stammwähler und damit einhergehende Zunahme potenzieller Wechselwähler ermöglichen erhebliche Schwankungen bei den Umfrageergebnissen bis zum Wahltag; insbesondere dann, wenn dramatischen Ereignissen, wie beispielsweise der Unglücksfall von Fukushima, den Wahlkampf prägen.

Umso erstaunlicher ist es, dass fast alle Umfrageinstitute die original erhobenen Ergebnisse der Wahlabsichtsfrage stark verändern und die ursprünglich erhobenen Ergebnisse verschweigen. Man spricht hier von politischer Gewichtung.

Im Reigen der bekannten Umfrageinstitute bildet nur die Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim eine Ausnahme. Sie macht die im Auftrag des ZDF erhobenen Ergebnisse der Politbarometeruntersuchungen der Öffentlichkeit sofort unverändert zugänglich. Sie veröffentlicht ungewichtete Zahlen zur politischen Stimmung und die Projektion eines zum jeweiligen Zeitpunkt möglichen Wahlergebnisses.

Wie hingegen in den anderen Instituten die Wahlabsichtsfrage verändert wird, das bleibt Betriebsgeheimnis.

In diese Black-Box lassen die Institute niemanden reingucken. Grundlage des Verfahrens – so viel ist bekannt – ist eine sogenannte Recall- oder politische Gewichtung. Bei dieser Methode werden die original erhobenen Ergebnisse der Wahlabsichtsfrage in dem Maße verändert, wie die Ergebnisse der ebenfalls erfragten Rückerinnerung (Recall) an das Wahlverhalten einer letzten vergleichbaren Wahl vom amtlichen Endergebnis dieser Wahl abweichen. Aber auch das Bauchgefühl der Meinungsforscher fließt in die politische Gewichtung ein.

Doch weder subjektive Einschätzungen, noch die Rückerinnerung der Wähler an früheres Wahlverhalten können ein geeignetes Kriterium für einen so starken Eingriff in die original erhobenen Daten sein.

Aufgrund der Vielzahl der politischen Wahlen in Deutschland fällt die Erinnerung an früheres Wahlverhalten auch mal falsch aus. So ist bekannt, dass die Befragten öfter glauben, bei der vorhergehenden Wahl die zurzeit regierenden Parteien gewählt zu haben, als dies tatsächlich der Fall war. Wähler, die aus taktischen Gründen bei der vergangenen Bundestagswahl die FDP wählten, aber eigentlich der Union näher stehen, neigen dazu, die Rückerinnerungsfrage - entsprechend ihrer eigentlichen Parteipräferenz - mit CDU oder CSU zu beantworten. So ist es nicht verwunderlich, dass zurzeit in der Rückerinnerung der Befragten das Ergebnis der CDU/CSU mit 40 Prozent oder mehr deutlich höher ausfällt als das letzte Wahlergebnis der Unionsparteien mit 33,8 Prozent.

Auch die SPD wird in den Recall-Ergebnissen des Politbarometers vom Juli 2013 deutlich überschätzt, FDP und Linke hingegen werden deutlich unterschätzt. Lediglich die Grünen erhalten in der Rückerinnerung einen Wert, der ihrem Wahlergebnis von 2009 entspricht.

Würde auf dieser Grundlage nun eine Recall-Gewichtung durchgeführt, so würden die Zahlen der Union und der SPD deutlich nach unten verändert werden. CDU/CSU käme anstelle der original gemessenen 44 Prozent nach der Gewichtung auf einen Wert irgendwo um die 35 Prozent, während die SPD von 26 Prozent auf unter 20 Prozent fiele. Die drei kleineren Parteien FDP, Linke und Grüne blieben ungefähr auf ihrem Ergebnis der letzten Bundestagswahl. Mit einer politischen Gewichtung würden also in diesem Beispiel die Ergebnisse von vier der fünf Bundestagsparteien so massiv verändert werden, dass sie den original erhobenen Daten nicht mehr ähneln.

Natürlich liegt damit die Frage nahe: Warum nehmen die Institute solche Veränderungen vor, wenn die so geheimnisvoll veränderten Prozentzahlen zur Wahlabsicht keine Prognose sein soll? Es liegt die Vermutung nahe, dass die Institute bei ihren Veröffentlichungen allzu heftige Ausschläge vermeiden und eine höhere Präzision ihrer Ergebnisse suggerieren wollen. Tatsächlich variieren die veröffentlichten Ergebnisse von Woche zu Woche meist nur um ein oder zwei Prozentpunkte und damit keinesfalls so stark wie in den Originaldaten.

Wenn wir davon ausgehen, dass die Umfrageinstitute ihre Erhebungen nach den Regeln der Kunst durchführen, dann beschreiben die ungewichteten Originaldaten die politische Stimmung unserer Gesellschaft korrekt. Und deshalb sollten die Institute diese Daten auch veröffentlicht, statt sie geheim zu halten. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, wie die Umfrageergebnisse ohne nicht nachvollziehbare und subjektive Veränderungen aussehen. Zudem können sie mit einer solchen Transparenz jedem Manipulationsvorwurf von Anfang an den Wind aus dem Segel nehmen.

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