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Wahlkampftrends - Der Gerechtigkeitsbegriff wird vergiftet

Die Sozialdemokratie hat ihre eigenen Begriffe kontaminiert. Im zweiten Teil der Trends zur Bundestagswahl analysieren Thomas Leif und Gerd Mielke symbolisch-sprachliche und mediale Aspekte der bevorstehenden Wahlkämpfe

Autoreninfo

Thomas Leif ist Journalist, Film- und Buchautor sowie Honorarprofessor für Politologie an der Universität Koblenz-Landau. Im SWR Fernsehen moderiert er die politische Talkshow 2+Leif.

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Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Fachkonferenz „Wahlkampf-Strategien 2013 – Das Hochamt der Demokratie” und kann in Originallänge unter www.talk-republik.de heruntergeladen werden. Dieser Teil ist der zweite eines dreiteiligen Aufsatzes:

Teil 1: Parteitaktiken: Wahlkampf der symmetrischen Demobilisierung

Teil 2: Wahlkampftrends: Der Gerechtigkeitsbegriff wird vergiftet

Teil 3: Wahlkampftrends: Das fiktionalste und unpolitischste Rennen aller Zeiten

 

In den Foren, in denen die Wahlkampfszenarien der Parteien, ihre Sprache, Bildsprache und ihr Medienbezug diskutiert wurde, wird deutlich, dass der kommende Wahlkampf in einem von Grund auf veränderten sprachlich-symbolischen Kontext stattfindet. Dieser Wandel des sprachlichen und symbolischen Kontextes wird aber auch auf die Ebene der politischen Mobilisierung und Konfrontation abfärben. Auch hierzu drei Anmerkungen.

Politik als Unterkategorie der Spaß- und Comedy-Kultur

1. Völlig ausgeklammert wird bislang in der Analyse von Wahlkampfstrategien, dass wir in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten eine sehr veränderte politische Rhetorik vorfinden. Zum einen sind eine Reihe von vor allem für die Sozialdemokratie wichtigen politischen Begriffen wie „Reformen“, „Fortschritt“ oder „Gerechtigkeit“ im Blick auf ihre traditionellen Begriffsinhalte weitgehend kontaminiert worden. So lassen sich mit diesen Begriffen nicht mehr die programmatischen Perspektiven und Horizonte andeuten, die mit der SPD lange Jahrzehnte eng verbunden waren. Ganz gleich, welche politische Veränderungen im Bereich von Renten, Pflege, beim Gesundheitswesen und in der Bildung in Betracht gezogen werden: für die Beschreibung aller Varianten der Veränderung werden dieselben Begriffe angeboten und benutzt. Alles ist irgendwie schon einmal als „Reform“ bezeichnet worden; damit werden aber Reformansprüche und Reformtraditionen eigentlich kaum mehr kommunizierbar.

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Dasselbe gilt auch für die „Gerechtigkeit“, den Begriff für die sozialdemokratische Kernkompetenz. Sie ist eine inflationäre Kategorie geworden und kann zum Angriff auf politische Gegner nur noch sehr eingeschränkt genutzt werden. Für die eher linke Seite des Parteienspektrums gilt so insgesamt, dass sie mit stumpf gewordenen begrifflichen Waffen ins Gefecht ziehen muss. Hier hat die konservative Seite in den vergangenen Jahren einen strategischen Erfolg verzeichnen können, in dem sie geschickt zentrale Begriffe besetzen konnte, ohne den Nachweis zu führen, dass sie diese Begriffe auch mit inhaltlicher Substanz füllt. Am sinnfälligsten ist dies in der Frage eines garantierten Mindestlohns. Die eigentliche Schwäche des rot-grünen Lagers zeigt sich darin, dass sie sich im Kampf um die Hegemonie wichtiger Begriffe in der Politik in der Defensive befindet. Union und FDP ist es in der Vorwahlzeit sogar gelungen, den Botschafts-Kern der rot-grünen Steuerpläne als Angriff auf die Mittelschicht umzudeuten.

Eine weitere Veränderung der politischen Sprache wird vor allem bei der Nutzung der sozialen Medien und neuer Dialogformen erkennbar. Politische Rhetorik hat sich hier immer auch der lässigen und lockeren, mit leichtem Spaß-Jargon durchsetzten Sprache anzupassen. Fast werden die Wahlkämpfer in eine chronisch unernste Attitüde gezwungen; die Bedrohlichkeit mancher gesellschaftlicher Situationen lässt sich in diesem Sprachduktus schon fast nicht mehr mitteilen. Über den sprachlichen Duktus von social-media-Agenturen wird Politik zunehmend einer allgemeinen Spaß- und Comedy-Kultur eingegliedert. Der große Erfolg von politischen Satire-Sendungen (z.B. heute show, extra 3 u.a.) unterlegt diesen Trend.

Sozialdemokratie? Liberalismus? Eher kollektiver Gedächtnisverlust

2. Auffällig ist fernerhin bei der medialen Begleitung von Politik und Wahlkampf, dass die Medien und ihre Repräsentanten, sei es in den Zeitungen oder im Fernsehen, die politischen Auftritte der Kontrahenten nicht mehr in Parteitraditionen einordnen wollen oder einordnen können. Auf jeden Fall kommt eine in früheren Wahlkämpfen durchaus gängige Kommentierung der Kampagnen im Blick auf ihren Traditionsbezug oder ihre Bereitschaft zur programmatischen Abkehr kaum noch vor. Was also Sozialdemokratie oder Christdemokratie oder politischer Liberalismus heute ist oder auch sein könnte, wird einfach nicht mehr thematisiert. So findet der Wahlkampf in einer Kommunikationsschneise oder auch vielleicht in einem medialen Tunnel statt, die vor allem durch kurzfristige Bezüge auf die gerade ablaufenden Aktionen und Performanzen definiert sind. In diesen werden Traditionsstränge und Programminhalte gar nicht mehr wahrgenommen oder dargestellt.

Diese systematische und zielgerichtete Enttraditionalisierung und Entkontextualisierung der Parteien durch einen Medien-Mainstream entspricht der Plünderung des programmatischen Kontextes und politischen Erbes im Zuge der so genannten „Modernisierungen“, die beide großen Parteien unter Schröder und Merkel, aber auch die FDP unter Westerwelle in den vergangenen Jahren durchlaufen haben und immer noch durchlaufen. Die einzige Partei, der eine „Modernisierung“ in diesem Sinne bislang erspart geblieben ist, sind übrigens die Grünen; dies mag eine Ursache für ihre stabile Position auf dem politischen Markt sein. Die „Modernisierung“ wird noch ergänzt und abgerundet durch die Personalisierungstendenzen in all ihren Facetten, die im Übrigen in der medialen Darstellung weitaus stärker zum Vorschein kommen, als in den politischen Weltbildern der Wähler. In der Summe ist also hier eine planmäßige Arbeit an kollektiven Gedächtnisverlusten und einer „Entpolitisierung von Politik“ durch die Medien zu beobachten.

CDU-Wahlwerbespots illustrieren die Postdemokratie

3. Diese sprachlichen und medialen Veränderungen finden ihre Entsprechung vor allem in der visuellen Umsetzung der Kampagne der CDU. Die Bürgerinnen und Bürger werden im CDU-Werbespot nur noch in weitgehend entpolitisierten Situationen ihrer intimen und privaten Existenz gezeigt. Man liegt im Bett und wacht auf; man putzt sich die Zähne, man streicht sich die Frühstücksbrötchen. Weder allgemeine politische Botschaften noch größere Gefühle können und sollen in diese Intimitäten hineinprojiziert werden. Gute Politik ist, wenn man morgens aus einem warmen Bett aufsteht, sich die Zähne putzt und frühstückt.

Der Strategie- und Parteienforscher Ralf Tils hat im Blick auf den Wahlkampf herausgearbeitet, dass es darum ginge, etwa ökonomische oder kulturelle Mehrheit zu erringen. Dies setzt aber ökonomische oder kulturelle Beurteilungskriterien voraus, wie sie in Wahlkämpfen der Vergangenheit immer angesprochen worden sind. Betrachtet man jedoch die Filmausschnitte aus der Werkstatt der CDU-Kampagen, so geht es darum, die Mehrheit derjenigen zu erreichen, die morgens zufrieden aus einem warmen Bett steigen: eine bezeichnende Illustration der These vom Zeitalter der Post-Demokratie.

[gallery:Griechenland unter: Karikaturen aus drei Jahren Eurokrise]

Betrachtet man die vorliegenden Kampagnen der Parteien zur Bundestagswahl, so kann man Elemente von Wahlkämpfen und Wahlkampfszenarien studieren, die gezielt und auf verschiedenen Ebenen zu den politischen Konflikten der vergangenen  Jahrzehnte in der Bundesrepublik auf Distanz gehen (z.B. Banken- und Euro-Krise). Gleichzeitig richten sie sich aber auch nicht auf eine neue Konfliktformation im europäischen Rahmen aus. Auch dabei spielen beide großen Parteien fatalerweise eine Schlüsselrolle. Die Union, die sich weitgehend und radikal entpolitisiert, um sich alle Bündnisoptionen offen zu halten, die sich unter ihrer Führung anbieten. Die SPD, die sich ebenso radikal große Mühe gibt, über die unumstößliche Proseminarweisheit hinwegzusehen, dass es gute Chancen für die Mehrheit eines linken Lagers auch in Deutschland gibt.

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